Zurück im Zorn. Christoph Heiden

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Zurück im Zorn - Christoph Heiden

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sie nickten David zu, worauf er ihnen einen schönen Ausflug wünschte. Er entschuldigte sich bei Anna und verschwand in den Wintergarten, um das benutzte Geschirr abzuräumen.

      Mittlerweile hatte sie den Faden aus der Jeans gefriemelt, ihn um das oberste Glied ihres Zeigefingers gewickelt und zerrte nun daran, sodass sich das Blut in ihrer Fingerkuppe staute. Das letzte Gespräch, das sie dermaßen angespannt hatte, lag Monate zurück. Paul, ihr Exfreund, hatte sie gefragt, warum sie die Briefe nicht weggeworfen habe, obwohl sie es ihm hoch und heilig versprochen hatte. Damals war es noch ein Quartett durchgeknallter Briefe gewesen, das in dem Karton auf einen fünften wartete. Das Gespräch zwischen ihnen hatte in einem Streit gegipfelt und der Streit in handfester Gewalt. Am nächsten Tag war Paul ausgezogen, worauf sie Sonja erzählt hatte, er habe sie betrogen. Das war einfacher gewesen.

      »Und was meinst du nun für Briefe?« David hatte wieder Platz genommen und starrte sie erwartungsvoll an.

      »Ich meine so was wie Drohbriefe?«

      »Wer soll uns denn drohen?«

      »Keine Ahnung.« Sie zögerte. »Die Konkurrenz?«

      »Du meinst Leute aus dem Dorf?«

      »Zum Beispiel.«

      »Wie kommst du denn darauf?«

      »War bloß ein Gedanke«, sagte sie bemüht leichtfertig. »Kennst du einen Danny Schmidt?«

      »Wer kennt den nicht.«

      »Ich habe ihn im Bus getroffen. Er war ziemlich angefressen wegen eures Wintergartens.«

      David winkte ab. »Der schiebt ’nen Film, weiter nichts.«

      »Er klang eher verbittert.«

      »Danny ist seit 20 Jahren verbittert. Keine Ahnung, was bei ihm kaputt gegangen ist, vielleicht liegt’s an seiner Kifferei.«

      »Er hat behauptet, er wäre mit Lennart befreundet gewesen.«

      »Er und Lennart?«

      »Meinte er jedenfalls.«

      »Der will sich bloß wichtigmachen.«

      Aus dem Hintergrund tauchte ein Mädchen auf, teilte David mit, dass der Kakao alle sei, und er entfernte sich durch den Speisesaal in den Wintergarten.

      Anna wandte sich zur Seite und gähnte aus vollem Hals. Aus Angst, vor Müdigkeit vom Stuhl zu kippen, stemmte sie sich hoch und studierte die Bilder an der Wand. Eine Fotografie zeigte ein düster dreinschauendes Elternpaar hinter düster dreinschauenden Kindern; vielleicht die ersten Gutsbesitzer oder irgendein Familienportrait aus dem 19. Jahrhundert, wie man es auf Trödelmärkten zu kaufen bekam. Daneben hing eine grobe Kohlezeichnung vom Schwarzen See und ein Grundriss, der die ursprüngliche Größe des Anwesens dokumentierte. Ein Viereck markierte ein Inspektorhaus, wenige Rechtecke die Wohnstätten der Gutsarbeiter. Nach dem Krieg wurden diese Gebäude wegen des Mangels an Baumaterialien abgetragen. Dann folgten mehrere Fotos, die den Zerfall der Villa zu DDR-Zeiten veranschaulichten. Den Abschluss bildete ein auf alt getrimmtes Familienportrait in schönstem Sepia: David, Helene und Stephan Majakowski vor dem Gutshaus stehend; von der kleinen Anna nicht mal ein Schatten.

      David kehrte zurück, doch statt sich zu setzen, trat er hinter die Rezeption. Er polierte ein Glas nach dem anderen, noch immer die Ruhe in Person. Anna rutschte auf einen Barhocker, positionierte die Kaffeetasse vor sich und sagte:

      »Aber von einem komischen Anruf hast du nichts gehört?«

      »Du meinst von einem seltsamen?« Er grinste sie an, und ihre Finger glitten über ihr Hosenbein, fanden sogleich den losen Faden und zerrten daran.

      »Ja«, entgegnete sie. »Genau, das meine ich.«

      »Ist irgendwas in Berlin passiert?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Sicher?«

      »Absolut.«

      Er warf sich das Tuch über die Schulter, stützte sich auf dem Tresen ab, und seine großen kindlichen Augen verrieten ihr, dass er nicht mehr an die alten Zaubertricks glauben mochte, ganz egal, wie effektvoll sie daherkamen. Mit gehobenen Brauen fragte er:

      »Anna, irgendwas ist doch im Busch«, und der Faden riss von ihrer Jeans.

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