Das Salz der Friesen. Andreas Scheepker
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Читать онлайн книгу Das Salz der Friesen - Andreas Scheepker страница 11
Rimberti beobachtete, dass der Narbige ganz am Rand der Gemeinde stand und sich unbeteiligt gab. Aber er war es, zu dem andere aus der Gemeinde immer wieder blickten. Der Narbige fasste seinen Sitznachbarn am Arm, einen kräftigen Mann mit roter Gesichtsfarbe und buttergelbem Haar. Er flüsterte ihm etwas zu.
»So spricht der Herr!« Karlstadts Stimme wurde auf einmal wieder heftig und überschlug sich: »Ihre Altäre sollt ihr einreißen, ihre Steinbilder zerbrechen, ihre heiligen Holzbilder umhauen und ihre Götzenbilder mit Feuer verbrennen.«
Für einen Moment wurde es ganz still in der Kirche. Rimberti sah, wie der Mann mit der Narbe den anderen zunickte und dem rotgesichtigen Mann neben sich kurz die Hand auf die Schulter legte. Sofort stand dieser auf. Er stiefelte ein paar Schritte in den Altarraum und griff sich eine kleine Skulptur des Heiligen Georg mit dem Drachen, die dort in einer Wandnische stand.
»So haben wir’s gehört. So müssen wir’s tun. Des Herrn Wort selbst hat es gesagt«, sprach er mit heller und zittriger Stimme. Dann schlug er Georg mitsamt dem Drachen krachend gegen eine Säule. Arme, Beine, Kopf und Rumpf des Heiligen kullerten über den Boden. Nur der Drache blieb heil.
Beherzt erhoben sich einige Männer und begannen, die Mondsichelmadonna aus ihrer Aufhängung zu lösen. Der Mann mit dem roten Gesicht holte eine Axt unter seinem Gewand hervor.
»Siebo Heiken!« Eine Frauenstimme, die das Befehlen gewohnt war, ertönte in der Kirche. Eine Tür klappte, und eine kleine alte Frau kam aufrecht aus ihrem Herrensitz neben dem Lettner. »Siebo Heiken, wage es nicht, die heilige Mutter Gottes mit deinen ungewaschenen Pfoten anzufassen.«
Der Mann mit dem roten Gesicht drehte sich um. »Frau Hiske, Ihr habt gehört, was der Herr sagt.«
»Was der Herr da oben auf der Kanzel gesagt hat, habe ich sehr wohl gehört. Aber höre nun auch, was ich sage: Wenn du es wagst, der Mutter Gottes, die mein seliger Mann unserer Kirche gestiftet hat, etwas zuleide zu tun, dann wirst du in unserer Familie nie wieder auch nur für einen Tag Lohn und Brot erhalten.«
Siebo Heiken ließ die Axt sinken. Mit einem Mal begannen die Leute zu reden. Einige riefen, die Männer sollten weitermachen. Neben Rimberti sprachen zwei Frauen laut ein Ave Maria.
Der Pfarrer stellte sich vor den Altar. Sofort wurde es leiser. »Frau Hiske. Das Wort Gottes gebietet uns, die Götzenbilder aus unserer Kirche zu entfernen. Dieses Wort ist uns lieb und teuer. Darum müssen wir gehorchen, ob wir wollen oder nicht.«
Die kleine alte Frau stellte sich aufrecht vor ihren Herrenstuhl und wirkte auf einmal groß, als sie ihre Stimme erhob. »Magister Cornelis, lieb und teuer ist auch das gute Stück Land, das mein seliger Mann damals mit der Madonna für die Pfarre gestiftet hat und dessen Pachtzins Eurer Pfarre zugutekommt, damit Ihr die Messe für ihn lest. Gebt meiner Familie das Land zurück, und Ihr könnt die Mutter Gottes haben und meinetwegen Brennholz aus ihr machen.«
Pfarrer Cornelis stand mit offenem Mund und fand keine Antwort. Die Leute begannen zu reden. Frau Hiske wandte sich an Heiken: »Siebo, du bringst mit deinen Leuten die Madonna zu mir nach Hause. Und danach könnt ihr mit Pfarrer Cornelis das Haus Gottes zu Kleinholz schlagen, wenn euch danach ist.«
Siebos riesige Arme umklammerten die Madonna und hoben sie vorsichtig aus der Verankerung. Mit zwei anderen trug er sie aus der Kirche. Frau Hiske folgte der Madonna, und etliche schlossen sich ihr an und verließen die Kirche. Als die Tür hinter ihnen geschlossen wurde, begannen andere aus der Gemeinde damit, die Altarbilder und Heiligenfiguren abzunehmen. Das alles hatte wenig von einem Bildersturm aufgebrachter Gemeindeglieder. Wie bestellte Handwerker bauten die Männer alles ab und trugen die Skulpturen und Bilder aus der Kirche.
Auf dem Kirchplatz brannte schon ein Feuer. Die Heiligenfiguren und Bilder wurden hineingelegt. Pfarrer Cornelis breitete die Arme aus und sagt: »Ihre Götzenbilder sollst du mit Feuer verbrennen, spricht der Herr.«
Den Mann mit der Narbe im Gesicht konnte Rimberti nicht mehr entdecken. Vermutlich hatte er sich davongemacht.
»Frau Hiske hat mir imponiert«, brummte Fockena, der das ganze Treiben fast regungslos verfolgt hatte. »Schade, dass sie nicht dreißig Jahre jünger ist.«
Kapitel 8
»Seid froh, dass sie nicht dreißig Jahre jünger ist, Junker Fockena, sonst hättet Ihr sie vielleicht geheiratet und sie hätte Euch das Leben zur Hölle gemacht«, sagte Hilko Boyen mit einer so tiefen Stimme, dass auch im leisen Ton des Kaufmanns jedes Wort zu verstehen war. »Aber als Schwiegersohn bin ich ganz gut mit ihr gefahren, und sie auch wohl mit mir.«
Er sah in die Diele, wo Frau Hiske gerade Siebo Heiken und seine beiden Begleiter anwies, die Madonna mit Säcken zu umwickeln und in Stroh einzupacken. Zwei Mägde waren dabei, in der Upkamer den Tisch für Hilko Boyens Familie und die beiden Gäste zu decken.
»Wenn Frau Hiske in Wittenberg gelebt hätte, dann hätte sich die evangelische Bewegung vermutlich gar nicht erst ausgebreitet«, bemerkte Ulfert Fockena grinsend.
»Da täuscht Ihr Euch«, antwortete der Kaufmann. »Sie hat sogar Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes gekauft. Es ist eine Ausgabe der neuen Auflage vom Dezember 1522, gebunden und mit Initialen geschmückt. Sie hat ein Vermögen gekostet: anderthalb Gulden.«
»Nur ein Teil dessen, was Euer Schwiegervater für Eure Dorfkirche gestiftet hat«, stellte Fockena fest.
»Groß im Nehmen, groß im Geben – das war sein Wahlspruch. Im Herbst vor drei Jahren ist er gestorben. Und Pfarrer Cornelis muss jede Woche eine Messe für ihn lesen, genauso wie sein Vorgänger, Pater Klemens.« Boyen lächelte. »Römisch oder evangelisch: bezahlt ist bezahlt.«
Er lehnte sich zurück. Hilko Boyen war ein untersetzter, kräftiger Mann. Nur wenige graue Fäden durchzogen sein schwarzes Haar, seine Gesichtsfarbe war frisch und gerötet, seine Augen blickten lebendig und wach. Sein Gesicht war glattrasiert, und trotz seiner humorvollen Bemerkungen zogen sich seine Mundwinkel nach unten. Für einen Moment schien er in seinen Gedanken versunken.
Frau Hiske gab den drei Männern ein paar Anweisungen, dann reichte sie ihnen eine Münze. »So habt ihr an diesem Tag doch noch ein gutes Werk getan, während eure Genossen in der Kirche randalieren, als wäre es eine Kneipe.«
Siebo Heiken nahm das Geld und verneigte sich. Dann trottete er mit seinen beiden Begleitern davon.
»Ich werde die Madonna zu meinem Neffen schicken. Er ist Kirchvogt in Bagband. Dort wird man wissen, wie man ein Bild der Mutter Gottes respektvoll behandelt. Ist Ubbius schon da?«, fragte Frau Hiske ihren Schwiegersohn. Der schüttelte den Kopf.
Rimberti und Fockena erhoben sich, um Frau Hiske zu begrüßen. Sie musterte die beiden Männer von oben bis unten und bemerkte: »So, Ihr seid nun die Berater unseres neuen Grafen. Dann werden uns ja glanzvolle Zeiten bevorstehen. Und wenn dazu noch solche tüchtigen Prediger im Land sind wie Karlstadt und Melchior Hofmann, dann ist der Lauf des reinen Wortes Gottes wohl nicht mehr aufzuhalten.«
»Ihr meint doch nicht etwa …«, wollte Rimberti erwidern, doch Frau Hiske unterbrach ihn und wies mit ausgebreiteten Händen auf den reich gedeckten Tisch, auf dem Schüsseln mit Fleisch und Gemüse dampften. »Lasst uns erst danken und essen. Alles andere hat Zeit. Sprecht Ihr das Tischgebet, Junker Ulfert?«
»Salz?«, fragte Hilko Boyen erstaunt, als der Tisch abgeräumt worden und seine Schwiegermutter