Das Salz der Friesen. Andreas Scheepker
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Die Kaufleute:
Jakob Sanders, wohlhabender Kaufmann und Vertrauter des Grafen
Berend Sanders, Bruder von Jakob Sanders, Kaufmann
Rinelde Sanders, Ehefrau von Jakob Sanders
Tjark Andreesen, Lehrling im Handelshaus Sanders
Hilko Boyen, wohlhabender Kaufmann und Kompagnon von Jakob Sanders
Frau Hiske, Schwiegermutter von Hilko Boyen
Die Geistlichen:
Frauke von Oldekamp, Nonne im Klostervorwerk Oldekamp
Meta Hallenga, Vorsteherin des Klostervorwerks Oldekamp
Konrad Sanders, Bruder von Jakob Sanders, Bibliothekar im Kloster Ihlow
Andreas Karlstadt, Professor der Theologie auf Wanderschaft
Adriaan de Beer, Pfarrer in Norden, Seelsorger auf der Insel Bant
Heddo Kankena, Pfarrer der Hager Ansgarikirche
Magister Cornelis, Pfarrer in Wilsum
und:
Junker Balthasar von Esens, Häuptling des Harlingerlandes
Kapitel 1
Meta Hallenga ließ ihren Blick durch das Refektorium schweifen. Keine der anderen Schwestern im Speiseraum des Klostervorwerks schien etwas gehört zu haben. Alle aßen schweigend weiter. Hatte sie sich den Schrei nur eingebildet?
Der Platz von Schwester Frauke war leer, wie so oft in letzter Zeit. Vorsteherin Meta Hallenga wusste, dass es gegen die überlieferten Regeln verstieß, aber in so bewegten Zeiten musste man gegen Regeln verstoßen, um die Ordnung bewahren zu können.
Meta Hallenga hatte ihr Klostervorwerk Oldekamp sicher durch diese stürmischen Zeiten gebracht. Zweiundzwanzig Nonnen lebten außer ihr noch in Oldekamp, und nur sieben Schwestern hatten im vergangenen Jahr das Kloster verlassen. Eine von ihnen war vor einigen Wochen sogar zurückgekommen: Schwester Frauke.
Die kurze Zeit im Leben da draußen hatte Schwester Frauke verändert. Die lebenslustige junge Frau war still geworden. Das Zusammensein mit den anderen war anstrengend für sie. Am liebsten tat sie ihren Dienst draußen bei den Hütten, in denen Kranke versorgt wurden. Schwester Frauke kümmerte sich hingebungsvoll um die beiden alten Frauen, die dort zurzeit gepflegt wurden. Und sie betreute die Bienenkörbe, die in der Nähe standen.
Wegen dieser Aufgaben hatte Schwester Frauke sich die Erlaubnis geben lassen, in Ausnahmefällen nicht zu den gemeinsamen Mahlzeiten erscheinen zu müssen und ihre Gebete auch dort draußen verrichten zu dürfen. Meta Hallenga hatte sich damit einverstanden erklärt, obwohl sie wusste, dass der Grund ein anderer war.
Warum mied Schwester Frauke die Gemeinschaft mit den anderen? Und was hatte sie in den Monaten außerhalb des Klosters erlebt? Vielleicht war es an der Zeit, Schwester Frauke darauf anzusprechen und ein längeres Ausweichen nicht mehr zu dulden. Sicher, alles hatte seine Zeit, das wusste Meta Hallenga. Aber manchmal musste die Liebe auch ungeduldig sein und ein wenig nachhelfen. Sie machte sich Sorgen um Frauke.
Vielleicht war der Schrei, den nur sie gehört hatte, keine Einbildung, sondern ein Zeichen Gottes, dass Schwester Frauke jetzt ihren Beistand brauchte.
Gleich nach der Mahlzeit verließ Meta Hallenga das Kloster und machte sich auf den Weg zu den Krankenhütten. Sie fand Schwester Frauke bei den Bienenkörben.
Meta Hallenga brauchte einen Moment, um das Bild aufzunehmen, das sich ihr bot.
Frauke lag auf dem Rücken, die Arme weit ausgebreitet, mitten in der Brust der Schaft eines Pfeiles. Die Wucht des Geschosses hatte sie in die Bienenkörbe geschleudert, und im Fall musste Frauke zwei Körbe mit umgerissen haben, sodass sie von Bienen umschwärmt wurde.
Langsam löste sich Meta Hallenga aus der Erstarrung, und vorsichtig näherte sie sich Frauke. Lebte die Schwester vielleicht noch?
Plötzlich hörte sie ein Geräusch aus den Büschen, ein Zweig knackte. Ein Tier? Oder hatte sich dort Fraukes Mörder versteckt?
Meta Hallenga war eine furchtlose Frau. Ihr war klar, dass der Mörder nicht zögern würde, auch auf sie zu schießen. Aber der Anblick von Schwester Frauke versetzte sie in Wut. Sie nahm den Knüppel, der an der Tür lehnte, ging schnurstracks auf die Büsche zu und schlug mit dem Stock auf sie ein. Zornig war sie, und sie fühlte sich hilflos. Und die Hilflosigkeit vermehrte ihren Zorn. Immer wieder drosch sie mit dem Knüppel in das dichte Buschwerk. Wenn der Mörder wirklich noch hier wäre, hätte er längst auch auf sie geschossen. Sicher hatte er sich davongemacht.
Meta Hallenga ließ den Stock sinken. Sie sprach mit erhobener Stimme: »Das verspreche ich Euch, wer auch immer Ihr seid: Ich werde nicht Ruhe geben, bis ich Euch von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehe und Rechenschaft von Euch verlange. Darauf gebe ich Euch mein Wort!«
Sie wusste, dass diese Drohung an eine abwesende Person genauso sinnlos war wie ihre Suche mit dem Knüppel im Unterholz. Sie wandte sich ab, um ihre Mitschwestern zu holen.
Atemlos hatte er jedes Wort gehört, das die Vorsteherin in seine Richtung gesprochen hatte. Sein Herz klopfte so laut, dass er dachte, sie müsste es hören. Er hatte keinen zweiten Pfeil für seine Armbrust mitgenommen, nur diesen einen, der für Frauke bestimmt war und seinen Zweck erfüllt hatte. Niemandem sonst wollte er ein Leid zufügen.
Er war erleichtert, als die Frau endlich ging. Ihm würde nicht viel Zeit bleiben. Schon bald würde sie mit den anderen Nonnen hier sein.
Rasch kehrte er zu seinem Opfer zurück, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Vorsteherin wirklich gegangen war. Nun musste er vollenden, was er sich vorgenommen hatte und wobei er von der Vorsteherin gestört worden war. Was er zu tun hatte, war schnell erledigt. Nur wegen der vielen Bienen musste er behutsam sein.
Er nahm einen kleinen Lederbeutel, schnürte ihn auf und schüttete den Inhalt auf die Tote. Salz.
»Salz!«, sagte Evert Bruns, der neben der toten Nonne kniete. Bruns war als Stellvertreter für seinen kranken Drosten ins Klostervorwerk Oldekamp gekommen und sah sich die getötete Schwester Frauke und den Fundort der Leiche an. Vorsteherin Meta Hallenga stand stumm neben ihm, während Bruns’ Männer das Unterholz durchsuchten.
»Arcubalista!«, bemerkte Häuptling Ulfert Fockena, der gerade einen Krankenbesuch beim Drosten gemacht hatte, als die Nachricht von der Ermordung einer Nonne eingetroffen war. Er hatte es sich nicht nehmen lassen wollen, Evert Bruns auf der Jagd nach dem Mörder zu begleiten. Zwei Männer hatten inzwischen die Bienenkörbe beiseitegeschafft, und die Bienen beruhigten sich langsam.
»Arcu … ja, ja, und überall ist es verstreut«, erwiderte Bruns.
»Eure Lateinkenntnisse sind so enorm wie Euer ganzer Verstand!«, foppte Fockena den ratlosen Mann.
»Warum streut denn jemand Salz auf eine Tote?«, murmelte Bruns.
»Und warum ist sie überhaupt ermordet worden?«, fragte Meta Hallenga. »Wer schießt mit einem Bogen auf eine Braut Christi?« Ihre Stimme hatte nicht den sonst üblichen Nachdruck.