Das Salz der Friesen. Andreas Scheepker

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Das Salz der Friesen - Andreas Scheepker

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betrachtete Berend Sanders. Sein Gesicht war nicht nur aufgedunsen von übermäßigem Essen und Trinken. In seine Züge war die Bitterkeit tief eingegraben, der Gram eines Mannes, der immer im Schatten des Bruders leben musste, und der daran gewöhnt war, im Hintergrund zu stehen und sich mit dem zu begnügen, was übrig blieb.

      Lübbert Rimberti wusste plötzlich, wie er mit Sanders ins Gespräch kommen konnte. Während Fockena der Wirtin erklärte, was sie nun zu bringen hatte, begann er: »Der Mord an Eurem Bruder kommt für Euch nicht ganz unerwartet. Habe ich recht? Ihr habt geahnt, dass es einmal so enden würde.«

      Berend Sanders glotzte ihn an.

      »Hätte Euer Bruder öfter auf Euch gehört, wäre es vielleicht nicht so weit gekommen«, sagte Rimberti.

      »Was wisst Ihr?«, fragte Sanders lauernd.

      In diesem Moment stellte die Wirtin einen großen Teller mit Brot und kaltem Braten auf den Tisch, und die Magd brachte drei Zinnbecher und eine Kanne mit dunkelrotem Wein. Fockena schenkte Sanders und sich ein und erhob den Becher. Sanders trank seinen in einem Zug fast leer und schenkte sich selbst nach.

      »Ich weiß, was ich sehe«, antwortete Rimberti und nahm einen kleinen Schluck aus seinem Bierkrug. »Ich sehe vor mir einen Mann in den besten Jahren, der bisher nur wenig Gelegenheit hatte, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Nun kommen große Aufgaben auf Euch zu: die Verantwortung für das Geschäft, die Sorge um Eure Schwägerin. Ihr seid nicht zu beneiden. Das alles ruht jetzt auf Euren Schultern. Doch Eure Schultern sind stark genug. Ein Mann ohne Eure Erfahrung wäre dem sicher nicht gewachsen. Aber Ihr werdet es schaffen.«

      Staunend hatte Berend Sanders zugehört. Den Becher, den er erneut zum Trinken erhoben hatte, stellte er zurück auf den Tisch. »Jakob konnte den Hals nicht voll genug kriegen. Das war schon immer so.«

      Nun kam das, was Rimberti und Fockena erwartet und erwünscht hatten. Berend Sanders erzählte seine Geschichte, die Geschichte des zu kurz gekommenen älteren Bruders, der nicht so begabt, nicht so durchsetzungsfähig, nicht so gut aussehend, nicht so rücksichtslos, nicht so verschlagen war wie der jüngere Bruder, auf den immer die Augen der Eltern gerichtet gewesen waren.

      Natürlich hatte Jakob die bessere Ausbildung in auswärtigen Kontoren in Hamburg, London und Antwerpen genossen, während Berend zu Hause lediglich Schreibarbeiten und Botengänge verrichtet hatte. Natürlich war Jakob bei seiner Rückkehr vom Vater in die Leitung des Handelshauses aufgenommen und bei Verhandlungen und Vertragsabschlüssen beteiligt worden, und Berend war nur mit Aufgaben betraut worden, die wenig Verantwortung und Eigeninitiative erforderten. Berend musste die wenig versprechende Tochter eines entfernten Verwandten heiraten, die unter die Haube gebracht werden sollte. Jakob heiratete die reiche und selbstbewusste Rinelde, deren Vater mehrere Schiffe besaß.

      Als die Wirtin die zweite Kanne mit schwerem süßem Wein brachte, hatten Rimberti und Fockena genug gehört.

      »Salz.«

      »Salz?«, fragte Sanders erstaunt zurück und sah Lübbert Rimberti an, während Ulfert Fockena ihm und sich selbst nachschenkte.

      »Salz«, wiederholte Rimberti. »Auf Euren toten Bruder hat jemand Salz geschüttet. Habt Ihr dafür eine Erklärung?«

      Berend Sanders zuckte mit den Achseln. Nun, da es nicht mehr um ihn ging, sondern um seinen Bruder, verfiel er wieder in Lethargie. »Vielleicht hat der Einbrecher bei seiner Flucht ein Salzfass umgestoßen, was weiß ich«, murmelte er beiläufig.

      »Euer Bruder hat mit Salz gehandelt?«, fragte Rimberti.

      »Friesensalz«, antwortete Sanders. »Wir haben eine Salzbude in Westermarsch, aber das meiste kommt von Bant. Dort haben wir zwei Salzbuden gepachtet. Ich muss hin und wieder auf die Insel fahren, um nach dem Rechten zu sehen. Ein Wunder, dass mein kleiner Bruder mir so viel Verantwortung zugetraut hat.« Wieder war die Bitterkeit in seiner Stimme. Er stopfte sich ein Stück Bratenfleisch in den Mund und spülte es mit Rotwein hinunter. »Aber mein Herr Bruder hatte so seine kleinen Geheimnisse.«

      Erwartungsvoll sahen Rimberti und Fockena ihn an. Sanders lehnte sich behaglich zurück und trank den Becher leer. Rimberti schenkte ihm nach. Er konnte warten. Er wusste, dass Berend Sanders das Interesse an seiner Person genoss. Der Mann würde ihnen ein paar Informationen liefern müssen, um diese Aufmerksamkeit zu erhalten.

      »Manchmal trafen spät abends Männer ein. Und wenn ich im Kontor war, ließ er sie warten, bis ich weg war. Ich habe nie etwas von dem mitbekommen, was sie besprochen haben. Manchmal brachte ein Bote einen Brief. Der Bote gab ihn nicht etwa mir. Bestand immer darauf, den Brief nur meinem Bruder persönlich aushändigen zu dürfen. Man kann sich ja denken …« Mit verschwörerischem Blick nahm Sanders den Weinbecher und trank.

      »Ja?«, fragte Fockena.

      Berend Sanders stutzte einen Moment. Vermutlich hatte er keine Ahnung, worum es in diesen Angelegenheiten gegangen war. Er druckste ein wenig. »Für Rinelde war das auch nicht immer einfach. Wenn ich da nicht hin und wieder mit Rat und Tat …« Geräuschvoll stieß Sanders auf. Er schien das Befremden auf Fockenas und Rimbertis Gesichtern zu genießen.

      »Was denkt Ihr, wie das ohne mich gegangen wäre?«, setzte er wichtigtuerisch fort. »Neulich war mein Herr Bruder über ein halbes Jahr fort. Und niemand wusste, wo Jakob war. Nur seinen Knecht hatte er bei sich. Rinelde tat so, als wüsste sie genau, wo Jakob ist. Aber ich habe gemerkt, dass da etwas nicht stimmt. Sie antwortete immer ausweichend. Vor ein paar Wochen war er plötzlich wieder da. Er sah hundeelend aus und gab vor, auf der Geschäftsreise schwer krank geworden zu sein.«

      »Und? Wo ist er gewesen?«, fragte Rimberti, während Fockena Sanders wieder einen gefüllten Becher zuschob.

      »Kein Wort hat er gesagt. Nix«, sagte Sanders, dessen Blick immer glasiger wurde und dessen Gesichtsfarbe immer mehr der des Weines ähnelte. »Und der Knecht war nicht mehr bei ihm. Jakob sagte, sein Knecht sei in die neue Welt gegangen. Er wollte sein Glück im Goldland machen. Mein Bruder hatte Verbindungen zu den Welsern in Augsburg. Der Kaiser hat dieser Familie die Statthalterschaft über ein riesiges Gebiet in der neuen Welt überlassen.« Sanders rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Gegen Bares natürlich. Viele vermuten dort das Goldland. Kein Wunder, dass viele Abenteurer und Taugenichtse dort reich werden wollen.«

      Rimberti hoffte, dass Berend Sanders noch so lange klar im Kopf blieb, bis er Antworten geliefert hatte. »Und Euer Bruder hat nie darüber geredet, wo er gewesen ist und was passiert ist?«

      »Darüber hat er nich’ mit mir gesprochen«, antwortete Sanders. Er machte ein Schmollgesicht. »Er brauchte ein paar Wochen, um sich zu erholen, und so ganz der Alte war er bis zuletzt nicht.«

      »Nun wird ja alles anders«, brummte Ulfert Fockena und prostete Sanders zu.

      Sanders lächelte dümmlich. Der schwere Wein stieg ihm zu Kopf.

      Was Rimberti wissen wollte, musste er jetzt aus ihm herausholen. Ein paar Weinbecher später würde dazu keine Gelegenheit mehr sein. »Vorhin habt Ihr mit einem Mann gesprochen. Ich meine, dass ich ihn von irgendwoher kenne. Aber ich kann mich nicht mehr an seinen Namen erinnern.«

      »Ich weiß nich’, von wem Ihr redet.« Sanders schüttelte den Kopf.

      Aber Rimberti wollte diese Information unbedingt von ihm haben. »Der Schwarzbärtige mit der Narbe im Gesicht. Ihr habt Euch laut mit ihm unterhalten, und er hat mich noch im Vorbeigehen gegrüßt.«

      »Keine Ahnung. Er hatte

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