Wuhan Diary. Fang Fang

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Wuhan Diary - Fang Fang

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      Fang Fang

      Wuhan Diary

      Tagebuch aus einer gesperrten Stadt

      Aus dem Chinesischen von Michael Kahn-Ackermann

      Hoffmann und Campe

      Das Virus ist der gemeinsame Feind der Menschheit

      I

      Als ich meinen Blog auf sina.com erstellt habe, um die ersten Zeichen niederzuschreiben, habe ich im Traum nicht daran gedacht, dass weitere 59 Einträge folgen würden, und ebenso wenig, dass mehrere zig Millionen Leser Tag für Tag bis Mitternacht wach bleiben würden, um den neuesten Eintrag meines Tagebuchs zu lesen. Viele, sehr viele haben mir berichtet, dass sie erst nach der Lektüre beruhigt einschlafen konnten. Am allerwenigsten habe ich daran gedacht, dass diese Aufzeichnungen in einem Buch versammelt sein würden, das innerhalb so kurzer Zeit im Ausland erscheint.

      Der Zufall wollte es, dass am gleichen Tag, an dem ich meinen letzten Eintrag schrieb, die Regierung bekannt gab, dass die Abriegelung Wuhans am 8. April enden würde.

      Wuhan war 76 Tage von der Außenwelt abgeriegelt. Der Tag der Öffnung der Stadt war auch der Tag, an dem mich die Nachricht erreichte, dass mein Tagebuch auf Englisch als Buch erscheinen wird. Auch Ausgaben in mehreren anderen Sprachen sind in Vorbereitung.

      Das alles ist wie in einem Traum, als habe es der Himmel selbst arrangiert.

      II

      Nachdem der chinesische Facharzt Zhong Nanshan1 am 20. Januar bekannt gab, dass die durch ein neuartiges Virus verursachte Lungenentzündung in Wuhan von Mensch zu Mensch übertragbar sei und sich bereits 14 Mitarbeiter des medizinischen Personals der Stadt infiziert hätten, war ich zuerst wie vor den Kopf geschlagen und anschließend wütend. Die Bekanntmachung widersprach allem, was zuvor gesagt und getan worden war. Die offiziellen Medien hatten uns informiert, dass das Virus »nicht von Mensch zu Mensch übertragbar« und »kontrollierbar und eindämmbar« sei. In der Bevölkerung kursierten allerlei Gerüchte, man sprach von SARS.

      Als ich erfuhr, dass die Krankheit eine Inkubationszeit von ungefähr 14 Tagen hat, begann ich sehr kühl zu rekapitulieren, mit welchen Personen ich in dieser Zeit Kontakt gehabt hatte, und zu überlegen, ob die Möglichkeit bestand, dass ich mich angesteckt haben könnte. Ich hatte in dieser Zeit dreimal Bekannte im Krankenhaus besucht und die ersten beiden Male keine Schutzmaske getragen. Ich hatte sieben Tage zuvor an einem Treffen im Haus einer Freundin teilgenommen und mit Familienangehörigen in einem Restaurant gegessen. Am 16. Januar hatten Handwerker in meiner Wohnung einen neuen Heizkessel für die Zentralheizung installiert und getestet. Am 19. Januar war meine Nichte mit ihrem Sohn in die Stadt gekommen, um ihre Eltern zu besuchen, und mein ältester Bruder und seine Frau hatten mich, meinen drittältesten Bruder und dessen Frau zu sich zum Essen eingeladen. Zum Glück kursierte da bereits das Gerücht von einem neuen SARS-Ausbruch, deswegen trugen wir auf der Straße Schutzmasken.

      Ich hatte in dieser kurzen Zeit häufiger das Haus verlassen, als es meine Gepflogenheit ist. Vermutlich hing dieser Umstand mit dem bevorstehenden chinesischen Neujahrsfest zusammen, das als Anlass vieler geselliger Veranstaltungen dient. Ich war nicht in der Lage zu beurteilen, ob ich mich angesteckt haben könnte, und musste deshalb 14 Tage warten, bis ich ganz sicher sein konnte. Jeden Tag verringerte sich die Möglichkeit einer Infizierung. Während dieser Zeit befand ich mich in einer der Verzweiflung nahen Gemütsverfassung.

      Am 22. Januar, dem Vorabend der Absperrung der Stadt, kehrte meine Tochter aus Japan nach Wuhan zurück. Ich holte sie um zehn Uhr abends vom Flughafen ab. Auf den Straßen waren kaum noch Autos und Passanten zu sehen. Die Leute an den Ausgängen des Flughafens trugen zum größten Teil Schutzmasken, die Atmosphäre war angespannt, die Menschen wirkten bedrückt, keine der üblichen lautstarken und von Gelächter begleiteten Begrüßungen waren zu hören.

      In diesen Tagen waren die Wuhaner von nervöser und panischer Anspannung erfasst. Bevor ich auf dem Weg zum Flughafen das Haus verließ, schrieb ich einer Bekannten, ich hätte ein Gefühl, als begebe ich mich »in schneidenden Wind und eisiges Wasser«, wie es in einem Gedicht heißt. Da das Flugzeug Verspätung hatte, war es bereits nach elf, als ich meine Tochter in Empfang nahm.

      Mein Exmann hatte in der Woche zuvor mit meiner Tochter gegessen. Ein paar Tage später erzählte er mir, dass mit seiner Lunge etwas nicht in Ordnung sei. Ich bekam sofort heftiges Herzklopfen. Wenn er sich mit dem neuen Virus infiziert hatte, konnte er auch meine Tochter angesteckt haben. Nachdem ich sie über diese Möglichkeit informiert hatte, beschlossen wir, dass ich sie in ihre Wohnung bringen und sie dort wenigstens eine Woche in Quarantäne bleiben würde. Das Neujahr würden wir getrennt zubringen, jeder für sich. Ich würde ihr Essen vorbeibringen, da sie, gerade zurückgekehrt, keinerlei Vorräte in der Wohnung hatte. Im Wagen trugen wir beide Schutzmaske. Anders als sonst berichtete sie nicht begeistert von ihrer Reise. Wir sprachen nahezu kein Wort miteinander. Die bedrückende und angespannte Stimmung, die ganz Wuhan erfasst hatte, machte sich auch in unserem Auto breit.

      Nachdem ich meine Tochter vor ihrer Wohnung abgesetzt hatte, tankte ich den Wagen voll. Es war ein Uhr, als ich nach Hause kam. Ich startete auf der Stelle meinen Computer und erfuhr auf diesem Weg von der am nächsten Tag beginnenden Abriegelung der Stadt. Obwohl manche Leute bereits früher davon gesprochen hatten, überstieg es meine Vorstellungskraft, wie man eine derart riesige Stadt von der Außenwelt abriegeln könnte. Aber nun sah ich den Befehl zur Absperrung vor mir, und ich begriff, dass die Ansteckungsgefahr in Wuhan ein extrem ernsthaftes Stadium erreicht haben musste.

      Am nächsten Tag ging ich raus, um Schutzmasken und Lebensmittel zu kaufen. Es herrschte eine Eiseskälte. Noch nie hatte Wuhan einen so leergefegten Eindruck gemacht. Angesichts dieser Eiseskälte überkam mich eine tiefe Trauer, die Leere der Straßen kroch in mein Innerstes. Es war ein Gefühl, wie ich es bisher nicht gekannt hatte. Die Ungewissheit über das Schicksal der Stadt, die Ungewissheit, ob meine Familienangehörigen und ich uns infiziert hatten, und die ungewisse Zukunft erfüllten mich mit schwer zu beschreibenden Gefühlen von Angst und Anspannung.

      In den folgenden Tagen unternahm ich mehrfach Versuche, Schutzmasken zu kaufen, und erblickte dabei überall einsame Straßenkehrer, die den Boden fegten. Weil es kaum Passanten gab, gab es auch kaum etwas zu kehren, aber sie verrichteten ihre Arbeit weiterhin mit äußerster Sorgfalt. Dieser Anblick spendete mir großen Trost und verschaffte mir innere Ruhe.

      Auf dem Heimweg fragte ich mich, warum ich, obwohl ich bereits am 31. Dezember erstmals von der Sache gehört hatte, die letzten 20 Tage eine derart gravierende Angelegenheit so gedankenlos und nachlässig behandelt hatte. Hatte uns die SARS-Epidemie im Jahr 2003 nicht eine Lektion erteilt? Ich bin nicht die Einzige, die sich das fragt. Warum?

      Wenn ich ehrlich bin, spielen dabei sowohl die eigene Unaufmerksamkeit als auch objektive Lebensumstände eine Rolle. Aber entscheidend war, dass wir der Regierung allzu sehr vertraut haben. Wir hätten nie geglaubt, dass es die Führung der Provinzregierung von Hubei wagen würde, sich in einer so schicksalhaften Angelegenheit derart achtlos und verantwortungslos zu verhalten. Wir konnten nicht glauben, dass sie sich in einer Angelegenheit, die Einfluss auf Schicksal und Leben von mehreren zehn Millionen Menschen nehmen würde, derart an ihre politischen Rituale, an ihre »politische Korrektheit« und ihre Routinen klammern würde. Und wir konnten nicht glauben, dass es ihr so sehr an gesundem Menschenverstand und Urteilsvermögen mangeln würde. Dieses Vertrauen fand seinen Niederschlag im Internet, wo ich selbst in einer Nachricht an eine Chatgruppe mit Überzeugung versicherte, dass die Behörden nie so weit gehen würden, eine derart gravierende Angelegenheit zu vertuschen. Aber heute sehen wir, nach allem, was geschehen ist, wie groß der Anteil der handelnden Personen an dieser Katastrophe ist.

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