Isola Mortale. Giulia Conti

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Isola Mortale - Giulia Conti

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zu beurteilen, sollten Sie mir überlassen, Madre«, sagte Carla.

      Die Oberin schwieg.

      »Hat sie denn eine Aufgabe hier gehabt?« Simon suchte einen Weg, wie er Carla gegen die definitionsmächtige Oberin unterstützen konnte, und hoffte, der Äbtissin vielleicht auf diesem Umweg ein paar der Geheimnisse des Klosters entlocken zu können.

      »Ja, sie hat die Bibliothek betreut. Wir sind ja ein Schweigekloster und leben in Klausur. Aber da sie Novizin war und die bayerischen Schwestern wegen der besonderen Situation, also der Suche nach ihrer Mutter, darum gebeten haben, hatte sie noch Kontakt nach außen. Sie war so etwas wie eine Freigängerin. Das ist ungewöhnlich, war aber für uns ganz nützlich, für die Bibliothek. Wenn man sich um die kümmert, muss man schon mal raus aus dem Kloster.«

      Simon spürte, wie Carla die Ohren spitzte. Auch ihn elektrisierte diese Antwort, aber er hielt sich jetzt zurück.

      »Mit wem hatte sie denn Kontakt?«

      »Wir haben nicht jeden ihrer Schritte verfolgt. Aber die Insel hat sie normalerweise nicht verlassen.«

      »Was heißt normalerweise?«

      »Wenn sie das Schiffstaxi genommen hat, hat sie sich bei mir abgemeldet. Das war zum letzten Mal vor gut drei Wochen.«

      »Um was zu machen?«

      »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wahrscheinlich ging es um ihre Mutter.«

      »Wissen Sie denn, was sie gestern gemacht hat?«

      »Das ist bei uns relativ einfach. Wir Benediktinerinnen machen jeden Tag dasselbe. Ora et labora, das ist Ihnen ja bestimmt ein Begriff. Wir haben unsere Andachten und Messen, und wir arbeiten, stellen Paramente her, also Altartücher, Stolen, Messgewänder und dergleichen. Das ist unser Alltag von morgens sehr früh bis abends. Dazwischen essen wir natürlich auch, frühstücken, essen zu Mittag und zu Abend, ganz wie andere Menschen auch. In Ihrer Welt würde man das wohl unsere Work-Life-Balance nennen.« Jetzt umspielte wieder ein Lächeln ihr Gesicht.

      »Also hat Suor Teresa gestern das Kloster nicht verlassen?«

      »Doch.«

      Simon und Carla sahen sich an.

      »Um was zu machen?« Dass Carla ihre Formulierung wiederholte, war ein Zeichen ihres wachsenden Unwillens, das spürte Simon. Sie war genervt von der Verschlossenheit der Äbtissin. Die stand auf, nahm die Akte der Nonne an sich, schien das Gespräch beenden zu wollen, aber dann antwortete sie doch, ebenfalls mit einer Spur von Unwillen: »Es gibt hier einen Nachbarn auf der Insel. Ein Deutscher wie Sie, Signor Strasser. Ein reicher Mann. Mit einer wertvollen Bibliothek. Und ein sehr großzügiger Mann. Er wollte dem Kloster ein paar Bücher überlassen, theologische Handschriften aus dem Mittelalter. Die hat er vorgestern Suor Teresa übergeben. Er hat darum gebeten, dass sie sie bei ihm abholt. Das hat sie am späten Nachmittag getan.«

      Simon und Carla tauschten einen Blick. Das musste der Deutsche sein, in dessen Boot Leonie auf dem Wasser getrieben war.

      »Und haben Sie die Bücher?«, fragte Carla.

      »Nein.«

      »Und haben Sie Leonie danach noch gesehen?«

      »Nein, niemand hat Suor Teresa danach noch gesehen. Er war der Letzte. Zumindest soweit wir wissen.«

      6

      »Wow«, sagte Simon. »Sie hatten recht, das ist wirklich eine eindrucksvolle Frau, diese Äbtissin. Aber eine Offenbarung war das trotzdem nicht gerade, eher im Gegenteil. Man merkt, dass sie Übung in Verschwiegenheit hat.«

      »Ja, leider. Ich frage mich, ob sie etwas zu verbergen hat. Dass sie die Zelle von Leonie schon hat ausräumen und putzen lassen, könnte darauf hindeuten. Und die Nonnen haben wirklich ganze Arbeit geleistet, die Spurensicherung brauche ich da nicht mehr hinzuschicken. Wir haben alles gesehen, was da noch zu sehen war, also nichts.«

      Simon und Carla saßen an einem Fenstertisch im Inselrestaurant, wo sie die einzigen Gäste waren. Im Sommer war das Ristorante Terrazzina mit seiner Terrasse zum See gut besucht, sogar ein hauseigenes Schiff brachte die Gäste dann von Orta San Giulio in das Lokal auf der Insel und wieder zurück. Der Gastraum mit den antiken Möbeln, den mit Fresken ausgemalten Decken, gerahmten Spiegeln, halbhoch getäfelten Wänden und weißen Tischdecken hatte Atmosphäre, und als sie an dem Lokal vorbeikamen und überrascht feststellten, dass es nicht, wie im Dezember eigentlich üblich, geschlossen war, schlug Carla vor, zum Mittagessen dort einzukehren. Sie hatte Hunger und wollte etwas im Magen haben, bevor sie dem verdächtigen Deutschen mit den wertvollen Handschriften begegnen würden.

      Sie aßen das Tagesmenü, ebenfalls keine Offenbarung, sondern italienischer Standard, pasta al ragù, filetto di maiale und eine panna cotta zum Abschluss. Simon genoss das einfache Mittagessen, denn es kam selten vor, dass er und Carla gemeinsam irgendwo einkehrten. Im Kamin des Gastraums brannte ein Holzfeuer und verbreitete behagliche Wärme.

      »Wenn sie tatsächlich etwas verschweigt«, Carla nahm eher lustlos einen Löffel von ihrem Dessert, »werde ich mir die Zähne an ihr ausbeißen. Die Oberin ist eine Eminenz am See, die hält alle möglichen Fäden in der Hand, hat Beziehungen zu allen, die was zu sagen haben. Sie haben sie ja erlebt, die wäre bestimmt auch als Managerin in der Wirtschaft erfolgreich. Haben Sie ihre Brille bemerkt?«

      »Ja, das war jedenfalls kein Kassenmodell. Ziemlich extravagant für eine Äbtissin. Aber sie hat mir trotz allem gefallen. Vielleicht gerade deshalb, weil sie so gar nicht dem Klischee einer frommen Kirchenfrau entspricht.«

      Carla nickte. »Ja, obwohl sie das natürlich ist. Und außerdem noch eine allseits anerkannte Theologin. Ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie ein Verbrechen deckt. Die ist wahrscheinlich einfach nur aus Gewohnheit so verschwiegen.«

      »Ist sie eigentlich schon lange hier am See?«

      »Sie hat den Posten vor zwanzig Jahren von ihrer Vorgängerin übernommen. Das Kloster gibt es erst seit rund fünfzig Jahren, angefangen hat es mit gerade mal vier Nonnen, inzwischen sind es sechzig. Und das in Zeiten, in denen sich junge Frauen ja nicht gerade darum reißen, Nonne zu werden. Die meisten Klöster haben Nachwuchsprobleme, sie nicht. Obwohl das ja die besonders harte Variante ist, in so einer kargen Zelle zu leben, immer mitten in der Nacht aufzustehen, ständig zu beten und zu schweigen und sich immer nur unter diesen Nonnen zu bewegen, ohne Kontakt zur Außenwelt. Von wegen Work-Life-Balance. Darunter stelle ich mir jedenfalls etwas anderes vor.«

      »Haben Sie die denn?« Simon ergriff die Gelegenheit beim Schopf, einmal etwas Privates von Carla zu erfahren.

      »Nein.« Mehr schien sie dazu nicht sagen zu wollen.

      Simon ließ nicht locker. »Aber Sie leben in einer Wohnung und nicht in einer Kaserne?«

      »Ja, in einer Wohnung. Bei dem Job ist es allerdings nicht immer einfach, die Distanz zu halten. Aber von so einem rigiden Alltag, wie ihn diese Nonnen haben, ist mein Leben doch weit entfernt.«

      »Wenn schon Kloster, dann vielleicht richtig Kloster, also rigide«, entgegnete Simon. »Haben Sie schon mal den Begriff kostspielige Hingabe gehört?«

      Carla blickte Simon nur fragend an.

      »Der

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