Religion, Wissenschaft und die Erkenntnis der Wirklichkeit. Abraham Ehrlich
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Das bedeutet also, dass das Göttliche nicht mit Hilfe eines diskursiven Verfahrens erfasst werden kann. Wäre das der Fall, wäre das möglich, so bräuchten wir nur unseren Verstand auf eine gültige Weise zu betätigen, so, wie wir es im Bereich der Wissenschaft oder der Mathematik tun, und wir wären beim Göttlichen angelangt – oder wir wären dann gezwungen, zur Kenntnis zu nehmen, dass es das Göttliche nicht gibt.
Zugang zum Göttlichen, wenn überhaupt, ermöglicht uns die Intuition, die in diesem Fall tiefer in das innere Wesen der Wirklichkeit eindringen kann, als es jegliche Wahrnehmung oder jegliches diskursive Verfahren je erreichen kann.
Es ist ein unmittelbares Erfassen des Grundes der Einheit aller Erscheinungsformen als des wahren Seins. Hier werden die Erscheinungen gewissermaßen mit anderen Augen gesehen: Es ist ein Blick, der zwar von außen kommt, aber von Innen völlig zum Wesen des Seins durchdringt. Das ist das Geheimnis der Mystik und der mystischen Schau als der so genannten unio mystica.
Diese Tatsache betont allerdings das fundamentale Vertrauen, von dem die Religion Gebrauch macht, ja machen muss. Dieses Vertrauen ist aber keinesfalls ein blindes Vertrauen. Hier geht es nicht bloß um einen Mangel an Information und an Wissen, was uns zwingen würde, einfach zu glauben. Diese Art des fundamentalen Vertrauens ist bis zu einem gewissen Punkt überprüfbar.
Die Einsicht in das Wesen der Wirklichkeit ist insofern überprüfbar, als sie dem erkenntnismäßigen Erfassen der Wirklichkeit entspricht. Entspricht das so Erfahrene dem erkenntnismäßigen Wesen der Wirklichkeit nicht, so hat es mit ihr nichts zu tun und kann somit keine sinnvolle religiöse Bedeutung besitzen.
5. Welche religiöse Bedeutung haben aber derartigen Erfahrungen? Solche Einsichten und Erfahrungen haben zunächst insofern religiöse Bedeutung, als sie zeigen, dass die Wirklichkeit eine geschlossene, systematische Einheit darstellt, in der kein Faktor, aber auch nicht die Wirklichkeit als Ganzes „Übermacht“ besitzt, sie also keine „göttlichen“ Kräfte besitzen können, weil sie in jeder Hinsicht gebunden sind.
Diese Einsichten und Erfahrungen zeigen einerseits, dass Religionen der ersten Gruppe bezüglich der oben genannten Kriterien falsch sein müssen, andererseits aber geben sie uns nicht mehr als eine Ahnung von dem, was das Göttliche, falls es dieses gibt, sein könnte, nämlich von dem, was im Zentrum der Religionen der zweiten Gruppe stehen sollte.
Mit anderen Worten, wenn es tatsächlich ein wahres Göttliches gibt, so muss es zwangläufig außerhalb der Grenzen der von uns erkennbaren Wirklichkeit bestehen. Erst seine Offenbarung kann uns die Sicherheit verschaffen, dass es wirklich da ist.
Aber das ist nur eine punktuelle Angelegenheit: Wenn das Göttliche das sein soll, was ihm zugeschrieben wird, dann muss es uns irgendwie davon in Kenntnis setzen und uns eine Lebensweise zeigen, die der Natur der Wirklichkeit wie auch unserer Natur entspricht.
Hier müssen wir lernen zu extrapolieren, sozusagen Zwischenwerte zu bestimmen. Die einzelnen Hinweise und Andeutungen, die wir feststellen können, sollen von uns zu einem sinnvollen, informativen Ganzen verbunden werden, in dem die Bedeutung dieser Hinweise und Andeutungen klar wird.
Das Göttliche muss uns also einen planmäßigen Rahmen des Lebens geben, in dem das individuelle wie das gemeinschaftliche Leben als das, was es ist, konkret möglich ist.
Diese Information wird uns ermöglichen, die Berichte der Religionsstifter und der Mystiker als religiöse Erscheinungen zu verstehen und bis zu einem gewissen Punkt zu überprüfen. Mit anderen Worten, dem Göttlichen selbst werden wir nie direkt begegnen können, es muss uns jedoch die Information bzw. die Hinweise geben, wie man sich seiner in der Welt vergewissern kann.
Das kann sicherlich nicht jedermann tun; da spielt schon Vertrauen eine große Rolle; dieses Vertrauen lässt sich aber, wie gesagt, nur bis zu einer gewissen Grenze überprüfen und begründen.
Das Göttliche muss uns diese Möglichkeit der Überprüfung gewähren. Wenn es will, dass man es und die von ihm offenbarte Lebenslehre ernst nimmt und dass man ihm aus klarer Überzeugung und mit gutem Gewissen dienen soll, dann muss es uns die Möglichkeit geben, von seiner Wahrheit überzeugt zu werden. Ist das nicht möglich, so bleiben uns nur die Natur im Allgemeinen und die menschliche Natur im Besonderen als die bestimmenden Faktoren menschlicher Orientierung in dieser Welt übrig.
Die besagte Überprüfung kann nur darin bestehen, dass das uns Offenbarte dem Wesen der Wirklichkeit und dem Wesen des Menschen entspricht. Beim Menschen reicht jedoch diese Entsprechung noch nicht aus: Die von Gott offenbarte Lebenslehre muss auch unbedingt das wesensmäßige Wachstum des Menschlichen fördern – individuell und gemeinschaftlich.
Das größte Problem in Bezug auf die Wahrheit ist nicht die Frage nach ihrer Erkennbarkeit, sondern eher die Bereitschaft der Menschen, sich ihr gegenüber zu öffnen: Oft ist das die ganz banale menschliche Eigenschaft, die uns daran hindert, verpflichtende Einsichten erkennen zu wollen und sie zu verinnerlichen.
Sich der Wahrheit als Wirklichkeit zu öffnen und die Folgen für sich aus den damit verbundenen Einsichten zu erkennen und sie somit zu verinnerlichen und zu leben, darin besteht das Wesen des menschlichen Wachstums und der menschlichen Reife als Maßstab des Fortschritts dieses Wachstums.
6. Was bedeuten nun die bisherigen Ausführungen für die Wahrheit einer möglichen Religion im eigentlichen Sinne? Welche Gestalt muss eine gültige Religion annehmen?
Bedenken wir, dass im Zentrum einer Religion das Göttliche steht, so bestimmt das Göttliche das, was die Religionsform genannt wird.
Nach unseren Überlegungen gibt es nur die Religionsform des Monotheismus als Antwort auf die oben gestellten Fragen.
Der Monotheismus wird oft als Eingott-Religion, als der Glaube an einen einzigen Gott definiert. Diese Definition ist aber irreführend und falsch.
Der Monotheismus behauptet nicht nur die (numerische) Einzigkeit des Göttlichen, sondern in erster Linie die absolute Andersartigkeit und die absolute Einzigartigkeit des Göttlichen, woraus die Einzigkeit notwendigerweise folgt. Diese Andersartigkeit und Einzigartigkeit kennen keine Ausnahme und sie sind uneingeschränkt in ihrer Geltung.
Andersartigkeit und Einzigartigkeit eines Etwas können wir nur durch Vergleich des Etwas mit einem anderen Etwas bestimmen. Mit dem monotheistischen Göttlichen verhält sich das jedoch anders. Per definitionem kann man es nicht mit irgendetwas vergleichen: Es ist buchstäblich nicht von dieser Welt.
Die Andersartigkeit und die Einzigartigkeit des Göttlichen sind eben ohne einen möglichen Vergleich, also absolut bestimmt. Die numerische Einzigkeit des monotheistisch bestimmten Göttlichen ist die unmittelbare, notwendige Folge der Absolutheit der Andersartigkeit und der Einzigartigkeit dieses Göttlichen.
Das Göttliche als etwas zu verstehen, das in jeder Hinsicht und ohne Ausnahme und auf gar keine Weise mit weltlichen Kategorien bestimmt und verstanden werden kann, bedeutet, dass das Göttliche notwendigerweise als unendlich und ewig verstanden werden muss.
Dass dieses Göttliche nicht nur da ist, sondern dass es die Welt geschaffen hat, dass es ein personales Göttliches für Welt und Mensch ist, dass es in das Weltgeschehen und in das Leben des Menschen eingreift, dass es die Welt lenkt und erhält, unser Wissen von dem,