Wer auf dich wartet. Gytha Lodge
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Er gab seine Nummer auf dem Kommissariat und seine Handynummer an und bat um Rückruf. Dann legte er mit einem Gefühl zunehmender Dringlichkeit auf. Zoes Vater im Netz zu finden war nicht schwer. Martin Swardadine war Investmentbanker bei einem Unternehmen namens Knight and Maynooth. Oben auf der Seite prangte ein einschüchterndes Schwarz-Weiß-Porträt, das aus einem Winkel aufgenommen war, der Martins kantiges Kinn betonte. Darunter fand sich eine Biographie des Mannes. Im letzten Absatz erfuhr Jonah, dass Martin mit einer Ärztin verheiratet war und seine Tochter angehende Künstlerin war.
Martin nahm seinen Anruf mit einem forschen Gruß entgegen, der signalisierte, dass das Telefonat ihm Zeit für sehr wichtige andere Angelegenheiten raubte, wichtige und vergnügliche Angelegenheiten, die eine Menge reicher Leute noch reicher machen würden.
»Hier ist DCI Jonah Sheens von der Hampshire Constabulary. Wir möchten uns vergewissern, dass es Ihrer Tochter gut geht. Ein Freund von ihr hat sich Sorgen gemacht.«
»Vergewissern, dass mit … Zoe alles in Ordnung ist?« Sein selbstbewusster Ton wurde ein wenig brüchig.
»Ja«, bestätigte Jonah. »Haben Sie zum Beispiel heute schon mit ihr gesprochen oder von ihr gehört?«
»Ich … Nein, heute noch nicht«, sagte ihr Vater. »Aber ich habe mit ihr zu Mittag gegessen am … Anfang der Woche. Wahrscheinlich hat sie mir inzwischen eine SMS geschickt. Warten Sie.«
In der Leitung war ein Rascheln und Kratzen zu hören, während Martin vermutlich seine Nachrichten abrief.
»Sie hat mir gestern Abend eine SMS geschickt.«
»Danke«, sagte Jonah. »Um wie viel Uhr war das?«
»20:12 Uhr, steht hier.« Es entstand eine kurze Pause, und als er weitersprach, klang seine Stimme verändert.
»Gibt es Anlass, sich Sorgen zu machen?«
»Ein Freund hat vergeblich versucht, sie zu erreichen«, erklärte Jonah. »Es könnte sich auch als gegenstandslos erweisen. Das ist häufig so. Aber könnten Sie vielleicht bei Zoes Freundinnen nachfragen? Oder bei ihrer Mutter?«
»Okay. Ich … höre mich um.«
Jonah gab ihm die Nummer der Zentrale und legte auf. Er las die zweite Meldung noch einmal sorgfältig durch. Der Absender hatte keine Kontaktdaten angegeben. Die E-Mail-Adresse lautete »[email protected]«, was beunruhigend war. Als Adresse des Tatorts wurde lediglich Southampton genannt.
Sieben Minuten später rief Martin Swardadine zurück, um mitzuteilen, dass seit gestern Abend niemand von Zoe gehört hatte. Weitere zehn Minuten später hatte Jonah das Kommissariat verlassen und raste zu Zoes Wohnung.
Angeline konnte nicht aufhören zu zittern. Das hatte mit dem Polizeiauto angefangen. Bis dahin hatte sie sich eigentlich keine Sorgen gemacht. Das Ganze schien ihr vor allem lästig, aufs Rad zu steigen und im kalten Gegenwind dorthin zu radeln, während sie eigentlich müde und mit ihren Abgabeterminen im Verzug war. Außerdem hatte sie kein geladenes Fahrradlicht gefunden, und es war um halb drei schon so trüb, dass es früh dämmern würde.
Aber der Streifenwagen hatte das irgendwie geändert. Sie hatte sich den Detective, mit dem sie gesprochen hatte, als normale Person vorgestellt, nicht als jemanden in Uniform. Er hatte so gelassen geklungen. Er hatte sie gebeten, einigen Polizisten Zoes Wohnung aufzuschließen. Er würde selbst in Kürze eintreffen und sich vergewissern, dass alles in Ordnung war.
Er hatte so ruhig geklungen, dass sie sich gar nichts dabei gedacht hatte. Aber als sie sich jetzt einem Streifenwagen und einem Polizisten und einer Polizistin in Uniform gegenübersah, wurde ihr fast übel vor Angst.
Sie nickte ihnen zu, lehnte ihr Fahrrad an die Mauer neben der Haustür. Sie brauchte drei Anläufe, um es abzuschließen, so heftig zitterten ihre Hände.
»Sind Sie Angeline?«, frage der große stämmige Polizist. Die schwarze Uniform stand ihm nicht, dachte sie. Die gefütterte Weste mit den vorstehenden Taschen ließ ihn noch fülliger wirken, als er ohnehin war.
»Ja«, antwortete sie und fragte dann ängstlich: »Sie waren doch nicht schon drinnen, oder?«
»Nein, wir haben geklingelt, aber niemand hat aufgemacht. Wir warten nur auf Sie und den Schlüssel«, sagte er mit einem angedeuteten Lächeln. »Wenn Sie uns hereinlassen, sehen wir nach Zoe.«
Angeline nickte mit einem Schauder und kramte den schweren Schlüsselbund aus ihrem Beutel. Nach einer Weile gelang es ihr, den kleinen Ring mit dem klobigen Sicherheitsschlüssel und dem kleineren für die Wohnung zu lösen, den Zoe ihr gegeben hatte.
Sie schloss auf und ließ die Beamten in den Hausflur, der gut zwei Jahre nach dem Erstbezug immer noch nach neuen Teppichen roch. Dabei hätte sie die Tür beinahe versehentlich zufallen lassen, bevor der Polizist eingetreten war. Sie entschuldigte sich, doch er wirkte unbekümmert.
»Ganz nette Adresse für eine Studentenbude«, sagte er locker. Sie merkte, dass er versuchte, sie zu beruhigen.
Das machte es nur noch schlimmer. Ihr war eiskalt, als sie vor den beiden Polizisten die Treppe hinaufging.
Im zweiten Stock führte sie sie durch die lackierte Feuerschutztür in den Flur. Die Tür war ihr sonst immer schwer vorgekommen, doch heute schien sie nichts zu wiegen. Diesmal dachte sie immerhin daran, die Tür hinter sich aufzuhalten.
Der Flur war leer. Zoes Tür war die in der Mitte mit der Nummer sechzehn in großen silbernen Ziffern. Angeline blieb davor stehen und betrachtete ihr Spiegelbild in der Sechs.
»Soll ich …?«, fragte sie und zeigte auf die Tür. Die Polizistin nickte, und sie klopfte. Ihre Knöchel erzeugten fast keinen Laut auf dem Holz. Der stämmige Beamte beugte sich vor und klopfte noch einmal lauter.
»Zoe?«, rief er und senkte den Kopf, als könnte er so besser hören. »Zoe, machen Sie bitte die Tür auf?«
Danach war es still bis auf einen sehr leisen Bass-Beat, der aus einem anderen Stockwerk zu ihnen drang.
»Okay«, sagte der Polizist. »Wenn Sie bitte aufschließen könnten …«
Angeline schaffte es irgendwie, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und ihn umzudrehen. Sie trat einen Schritt zurück, sobald sich die Tür einen Spalt geöffnet hatte.
»Können Sie …?« Sie war unfähig, ihre schreckliche Furcht, die Wohnung zu betreten, in Worte zu fassen, aber die Beamten verstanden sie offenbar auch so.
»Wir sind gleich wieder da«, sagte der Polizist, sah seine Kollegin an, und sie betraten hintereinander die Wohnung.
Angeline schlang die Arme um den Körper, um das Zittern und das wilde Pochen ihres Herzens zu lindern. Noch nie hatte sie sich so sehr gefürchtet. Es fühlte sich an, als könnte sie vor Angst sterben, und je mehr sie daran dachte, desto benommener wurde sie. Als ob ihr Herz schon beschädigt sein könnte.
In der Wohnung blieb es lange still. Dann wurde klickend eine Tür geöffnet, eine Stimme sagte leise etwas, eine zweite antwortete.
Sie hörte leise Schritte, dann tauchte die Polizistin wieder an der Tür auf.
»Geht es ihr gut?«, fragte Angeline,