Wer auf dich wartet. Gytha Lodge
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
»Chef?«
»Ist Lightman in der Nähe? Dann kann ich Sie beide gleichzeitig auf Stand bringen.«
»Ja, er ist hier«, sagte Hanson, als ihr Blick Lightmans traf. »Ich stelle den Anruf in ein Besprechungszimmer durch.«
Nachdem sie den Anruf wieder aufgenommen hatten, lauschten beide schweigend, während Sheens schilderte, wie man Zoe gefunden hatte.
»Alles sieht nach Selbstmord aus«, sagte der Chef. »Nur dass man uns erzählt hat, sie sei angegriffen worden. Deshalb ist der erste Punkt auf meiner Liste, ihren Freund aufzuspüren. Außerdem brauche ich einen von Ihnen am Tatort, und ich fürchte, für denjenigen wird es ein langer Abend werden. Die Spurensicherung ist gerade eingetroffen, die Familie ist unterwegs, und ich werde eine Obduktion beantragen.«
»Tut mir leid, Sir. Ich kann nicht«, sagte Lightman, und Hanson sah ihn überrascht an. »Ich muss heute um vier Uhr los.«
Hanson hätte beinahe eingewandt, dass er unmöglich etwas vorhaben konnte. Es war Freitag. Pub-Abend. Freitags gingen sie immer zusammen in den Pub. Zumindest hatten sie das in den letzten vier Monaten getan. Wenn sie nicht völlig in irgendeinem Fall versunken waren, gingen sie die Straße runter zum Anchor und blieben bis acht oder neun. Lightman trank nie mehr als zwei Bier und redete selten viel, aber er kam immer mit.
»Kein Problem«, sagte Sheens. »Juliette?«
»Ich kann kommen«, sagte sie und notierte sich die Adresse, die er ihr nannte.
Als sie den Anruf beendeten, ertappte sie sich dabei, Lightman genau zu mustern. Er schrieb noch etwas auf und erhob sich, so schwer zu durchschauen wie immer. Dabei war sie extrem neugierig zu erfahren, was los war.
»Typisch«, sagte sie und stand ebenfalls auf. »Ich habe drei Wochen gebraucht, um mich in die Erpressungssache einzuarbeiten, und jetzt, wo ich endlich Fortschritte mache, werde ich zu einem anderen Fall abberufen.«
»Ah, tut mir leid«, sagte Lightman mit einem Grinsen. »Meine Schuld. Du hast einen gut bei mir.«
Und damit verließ er das Besprechungszimmer ohne ein weiteres Wort. Hanson sah ihm schlechtgelaunt nach. Eine Erklärung hätte nicht wehgetan, dachte sie.
Aber vielleicht brauchte sie auch gar keine Erklärung. Es war Freitagabend, und Lightman hatte offenbar keine Probleme, weibliche Aufmerksamkeit anzuziehen. Irgendeine Frau, die versuchte, ihn anzumachen, gehörte zum festen Programm ihrer Pub-Abende. Und sie wusste, dass er schon mit Frauen ausgegangen war.
Gut, dachte sie. Soll er zu irgendeinem Date gehen, während ich die harte Arbeit erledige.
4. März – zwanzig Monate vorher
Die Hochzeitsparty war in vollem Gange und hatte sich in zwei Gruppen geteilt: Die eine drängte sich lautstark und erhitzt an der langen schmalen Bar des Hotels, die andere war eine dezent beleuchtete Plauderrunde in dem größeren Speisesaal auf der anderen Seite der Lobby, wo immer noch sieben oder acht Tische besetzt waren.
Zoe hatte sich auf den Weg zur Bar gemacht, jedoch irgendwann den Versuch aufgegeben, einen Drink zu bestellen. Das Problem mit kostenlosen Getränken war, dass alle zu viel bestellten, weshalb alle lange warten mussten und die Situation weiter verschlimmerten, indem sie, wenn sie endlich an der Reihe waren, Getränke auf Vorrat orderten. Deshalb kehrte Zoe mit leeren Händen in den Speisesaal zurück, wo Angeline in ein ernstes Gespräch mit Maeve vertieft war.
Vorhersehbarerweise hielt Maeve Angeline einen leidenschaftlichen Vortrag über positives Denken.
»Hör zu, also, ich meine, ich weiß, dass ich dauernd darüber rede, aber es geht nicht nur darum, sich zu ermahnen, dass man sich selbst aufmuntern muss. Es geht darum, sich zu entscheiden, glücklich zu sein. Sich innerlich und auch laut zu sagen, dass man ein wertvoller Mensch ist.« Maeve hielt sich eine offene Hand vors Gesicht. »Ich sage es mir vor dem Spiegel. Ich sage: ›Ich bin stark, und ich bin schön, und ich bin liebenswert.‹ Und es hilft.«
Zoe musste lächeln. Maeve glaubte so entschieden an die Kraft positiven Denkens, wie sie an Gott glaubte, und sie wiederholte entschlossen ihre persönlichen Mantras darüber, wie sehr sie sich und all jene liebte, die sie verschmähten. Das Problem war nur, dass Maeve von Natur aus alles andere als ein geduldiger und optimistischer Mensch war, und egal wie oft sie sich all diese Dinge einredete, schimmerte manchmal eine ehrlichere Version ihrer selbst durch. Eine, die die Nase von allem voll hatte und andere Menschen bedürftig und nervig fand.
Victor, der rechts neben Maeve saß, spielte mit den Glückssteinen, die auf dem Tisch liegen geblieben waren. Eigentlich sollte man eine Botschaft darauf schreiben und sie in einen Krug legen, doch Victor ignorierte die Stifte und schob die Steine zu einem Haufen zusammen. Er sah aus, als wäre er schlechtgelaunt. Was kaum überraschend war. Offenbar hatte er bis vier Uhr morgens Videospiele gespielt, außerdem fühlte er sich selbst ausgeruht bei gesellschaftlichen Anlässen wie diesem nie sehr wohl.
Zoe ließ sich auf den Stuhl neben ihm sinken und fragte sich, wie sie ihn aus seiner Stimmung herausreißen konnte. Zum Tanzen konnte sie ihn nicht bewegen, obwohl die Band an der Stirnseite des Saales sich als halbwegs brauchbar erwies.
Sie fühlte sich erschöpft. Während des Abendessens hatte es einige angespannte Momente gegeben. Ginas Cousin, ein lauter, wichtigtuerischer Mann um die fünfzig, hatte beobachtet, wie Angeline »zu rosa« gemurmelt und einen Teller mit Räucherlachs weggeschoben hatte. »Komm schon! Hau rein!«, hatte er zu ihr gesagt. »Niemand mag dürre Mädchen!«
Die Wirkung war unmittelbar und verheerend gewesen. Angeline war aschfahl geworden, aufgesprungen und aus dem Saal gestürzt. Maeve hatte Zoe mit hilfloser Miene kopfschüttelnd angesehen, und Zoe war Angeline nachgeeilt. Sie hatte sie weinend in einer Kabine der Damentoilette gefunden und zwanzig Minuten gebraucht, um sie zur Rückkehr an den Tisch zu überreden. Bis dahin waren die Vorspeisen abgeräumt und das aufgetischte Beef Wellington fast kalt.
Während des weiteren Essens hatte es zehn ruhige Minuten gegeben, bis Maeve aufgestanden war, um sich mit der Braut zu unterhalten, stolperte und eine schlanke Frau Mitte vierzig in einem elfenbeinfarbenen Seidenkostüm mit Rotwein bekleckerte. Natürlich hatte es eine Sauerei gegeben, doch das Opfer war trotz Maeves ausgiebiger Entschuldigung boshaft und zickig geblieben, hatte jede Hilfe beim Aufwischen abgelehnt und erklärt, dass ihr Kostüm ruiniert sei und ersetzt werden müsse.
Schließlich hatte Maeve die Frau laut angefaucht: »Sie haben Wein auf Ihre Kleider bekommen, na und? Deswegen müssen Sie sich nicht benehmen wie ein Arschloch. Sie sind erwachsen und sollten langsam wissen, dass nicht immer alles nach Ihren Wünschen läuft, okay?«
Zoe hätte ihre Freundin liebend gern abgeklatscht, aber weil der gesamte Tisch des Brautpaars herübergestarrt hatte, musste sie ihre Schadenfreude unterdrücken. Aber sie hatte Ginas Blick aufgefangen und ihr zugezwinkert.
Victor hatte sich während des gesamten Essens benommen und es sogar geschafft, Ginas anderen Cousin in eine politische Diskussion zu verwickeln, die freundlich geblieben war. Er hatte sich höflich die Reden der anderen angehört, und Zoe war unendlich dankbar gewesen, dass er seinen Jähzorn im Zaum hielt.
Aber jetzt