9 ungewöhnliche Western April 2020: Western Sammelband 9006. Alfred Bekker
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Читать онлайн книгу 9 ungewöhnliche Western April 2020: Western Sammelband 9006 - Alfred Bekker страница 18
„Schieß ihm doch ins dumme Köpfchen, Luck!“, schlug einer der Banditen vor.
„Eins!“, zählte der Kerl schräg hinter der bleichen Manuela, die zu mir herunterschaute.
„Hauen Sie ab, Doc!“, brüllte ich. „Diese Halunken spaßen nicht!“
Der Arzt drehte sich um, lief zurück, hob seinen Hut auf und erreichte die Leute an der hinteren Ecke.
Über der Straße löste sich die Pulverdampfwolke langsam auf.
„Mut hat er ja, das muss ihm der Neid lassen.“ Henry Duncan rieb sich über die Stirn.
„Solcher Mut ist hier nicht angebracht“, sagte ich. „Er spitzt die Situation nur weiter zu.“
„Er denkt an seine Patienten.“ Manuela wurde zurückgezogen und das Fenster mit der eingeschlagenen Scheibe geschlossen. Die Gardine schob sich davor.
Ich befand mich in einer Erregung, die klare Überlegungen fortzuspülen drohte. Aber rechtzeitig erkannte ich das, zog mich in den Hintergrund zurück und setzte mich auf die Ladefläche eines herumstehenden Wagens.
„Dieses Warten geht an die Nerven“, brummte der Mietstallbesitzer. „Hätte ich nur gewusst, dass …“
„Sie trifft doch keine Schuld“, unterbrach ich den Mann. „Hören Sie auf, sich etwas vorzuwerfen.“
Duncan kam mit einer Whiskyflasche und drei Gläsern. „Jetzt trinken wir erst mal einen. Das können wir alle drei verdammt gut vertragen.“
Ich nahm das Glas, ließ es mir voll schenken und trank mit den beiden anderen. Dabei kreisten meine Gedanken weiterhin um eine Lösung des Dramas.
„Die wissen selbst nicht mehr, wie sie den verfahrenen Karren aus dem Dreck bringen.“ Henry Duncan schenkte noch einmal die Gläser voll.
„Das macht sie nur doppelt gefährlich.“ Ich trank das Glas leer und stellte es neben mir auf die Ladefläche des Wagens.
Die Menge versammelte sich um uns. Mir gingen die Menschen immer mehr auf die Nerven, aber ich wusste, dass ich das nicht laut sagen durfte.
Doc Walter ging an der Station vorbei auf uns zu und wurde durch die Menge gelassen.
„Sagen Sie nichts“, riet ich ihm.
„Doch, Carringo. Haben Sie gesehen, wie die arme Manuela aussieht?“
„Ja.“
„So bleich sah ich sie noch nie. In ihrem Zustand ist das lebensbedrohend.“
„Die hätten sie abgeknallt“, sagte Duncan. „Und was hätte das Manuela genutzt?“
„Nichts“, gab Doc Walter zu.
„Na also. Wollen Sie einen Drink?“
„Nein.“
Duncan stellte die Flasche neben mich.
„Ich muss irgendwie zu ihr“, murmelte der Arzt, als spreche er zu sich selbst.
„Sie haben großen Mut, Doktor.“ Ich schaute ihn offen an. „Ich danke Ihnen dafür. Aber Henry hat recht. Es sieht nicht so aus, als ob wir den Geiseln jetzt wirklich helfen könnten. Die Banditen explodieren, wenn etwas anders verläuft, als von ihnen erwartet. Und dann fliegen die Geiseln mit in die Luft.“
„So ist es“, stimmte Duncan zu. „Uns muss etwas einfallen, die Geiseln möglichst zu retten.“
„Soweit gingen meine Gedanken nicht“, erwiderte der Arzt beinahe schroff. „Ich wollte nur Manuela helfen und dafür in Kauf nehmen, selbst als Geisel angesehen zu werden.“
„Vielleicht sollten Sie doch einen trinken“, sagte Duncan freundlich. „Es ist bester Whisky. Eine exzellente Nervenstärkung, Doc!“
Walter schien nachzudenken.
Ich drückte ihm mein Glas in die Hand, griff zur Flasche und schenkte ein.
Doc Walter trank und gab mir das Glas zurück. „Ja, er ist gut, bewirkt bei mir aber nichts.“ Er wandte sich ab, durchbrach die Menschenmauer, und tauchte unter.
Duncan zuckte mit den Schultern. „Bisher dachte ich, er wäre die personifizierte Ruhe. Scheint aber nicht ganz richtig zu sein.“
„Die Situation spitzt sich immer mehr zu, aber sie treibt keiner Lösung entgegen.“ Ich stellte das leere Glas und die Flasche aus der Hand. „Was sagten Sie?“
„Nichts von Bedeutung, Henry.“
19
Im Crystal Palace Hotel zu Phoenix stand zur selben Zeit der vornehme Titus Lancaster an einem Fenster in der von ihm gemieteten Zimmerflucht und schaute auf das rege Treiben der Hauptstraße hinunter.
Lancaster war ein sechs Fuß großer, breitschultriger, etwas massiger Mann mit vollen, aschblonden Haaren. Buschige Brauen ließen seine hellblauen Augen dunkler erscheinen, als sie tatsächlich waren, und durch den sauber gestutzten Schnurrbart wirkte er etwas älter, als es seinen fünfundfünfzig Jahren entsprach.
Lancaster trug einen auf Maß geschnittenen Cordanzug von hellgrauer Farbe, ein weißes Hemd mit kostbaren Rüschen und eine weinrote Samtschleife. Lackschuhe und Gamaschen vervollständigten den vornehmen Eindruck.
Napoleon, Lancasters Diener und Kutscher, stand in devoter Haltung ein paar Schritte hinter seinem Herrn am Nussholzschreibtisch und wartete, dass Lancaster sich umwenden würde, was jedoch noch nicht geschah. Der Diener war von hochgewachsener, kräftiger Gestalt, hatte einen markanten Schädel und kleidete sich selbst so erlesen, dass er nicht wie der Diener, sondern eher wie der Bruder des Bosses aussah.
„Hast du Saint gefunden?“, fragte Lancaster gegen die Scheibe.
„Ja, Sir. Er lebt in einer kleinen Absteige in einer Nebengasse und hat einen verletzten Kumpan bei sich.“
„Wie ist dein Eindruck?“
„Es geht ihm offenbar nicht besonders gut, Sir.“
Lancaster wandte sich um. „Er soll mich aufsuchen. Aber durch den Hintereingang.“
Napoleon deutete eine Verbeugung an und verließ das Zimmer. „Napoleon!“
Der Diener wandte sich, schon draußen, um. „Sir?“
„Wo ist Uvalde?“
„Mister Uvalde wollte zum Bahnhof.“ Ein Grinsen huschte über das Gesicht Napoleons. „Der Zug von Norden herunter muss in dieser Stunde eintreffen.“
„Ach so. Ja, es ist gut.“
Napoleon schloss die Tür. Lancaster schaute wieder auf das bunte Treiben hinunter. „Der Zug von Norden.“ Er lachte spöttisch. Aber