Münchner Gsindl. Martin Arz

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Münchner Gsindl - Martin Arz

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habe absolut null auf den Jogger geachtet«, sagte Pfeffer zum wiederholten Male. »Er hatte ein Hoodie an …«

      »Ein was?«, unterbrach die Rechtsmedizinerin.

      »Ein Hoodie. Einen Kapuzenpulli oder eine Kapuzenjacke für euch jenseits der Fünfzig!«, sagte Pfeffer zur Pettenkoferin. »Ich glaube, der war grau. So ganz normaler hellgrauer Sweatstoff. Und eine schwarze lange Laufhose und die Schuhe mit weißen Sohlen. Keine Ahnung, welche Marke. Ich hab ihn mir nicht richtig angeschaut!«

      »Mach dir keine Vorwürfe«, sagte Bella Hemberger. »Konntest es ja nicht ahnen. Die Alte mit dem Hund hat gar nichts gesehen, nicht mal, dass da ein Jogger war.«

      Die schwergewichtige Medizinerin gab ihm Feuer, zog dann tief an ihrer Zigarette und sagte: »Also, wirklich noch nicht lange tot, unser armes Mädchen. Sie ist um die achtzehn, zwanzig, würde ich sagen. Woran sie genau gestorben ist, kann ich noch nicht schätzen. Es sieht so aus, als wäre sie wohl erdrosselt worden. Ich glaube, ich kann mich jetzt schon festlegen, dass sie nicht hier getötet wurde. Sie wurde nur abgelegt, beziehungsweise so hingesetzt. Quasi in Szene gesetzt.«

      »Wie kommst du darauf?«, fragte Pfeffer.

      »Du hast gesehen, was der oder die Täter mit ihrem Unterleib angestellt haben? Übel. Sie wurde regelrecht verstümmelt. Ich vermute, man hat sie mit einem Eisenstab, vielleicht auch Holz, da müssen wir die Ergebnisse abwarten, vaginal penetriert. Wahrscheinlich auch anal. Sieht zumindest so aus. Wenn das hier der Tatort wäre, müsste es hier deutlich mehr Blut geben.«

      »Der Köter hat leider einiges durcheinandergebracht«, sagte Pfeffer.

      »Polina Komarowa«, platzte Froggy dazwischen, der sich beinahe lautlos der kleinen Gruppe genähert hatte. Gerda Pettenkofer zuckte leicht zusammen. Froggy hieß eigentlich Erdal Zafer, aber weil ein älterer Kollege Erdal Yusufoglu hieß und sich fast alle duzten, nannte man den neuen Erdal nur Froggy. Froggy war schon in der Schule so genannt worden. Froggy, manchmal auch Fröschlein. Wegen Erdal, dem bekannten Schuhpflegemittel, dessen Logo ein Frosch ist. Anfangs hatte sich Erdal Zafer über den Spitznamen geärgert, dann hatte er aber herausgefunden, dass der Frosch im Erdal-Logo eine Krone trug. Damit konnte Froggy dann leben.

      »Wie bitte?«, fragte Bella Hemberger spitz. Sie mochte Froggy nicht besonders und machte keinen Hehl daraus.

      »Polina Komarowa«, wiederholte Froggy und hob einen Ausweis des Münchner Verkehrsverbunds hoch, der in einer Klarsichthülle der Spurensicherung steckte. »Wir haben doch noch einen Hinweis auf ihre Identität gefunden. Sofern es ihre IsarCard ist. Lag da bei den Sträuchern. Ist wohl aus der Hosentasche gefallen, als der Hund die Jeans weggezogen hat.«

      Pfeffer nahm die Hülle mit dem Ausweis, Kommissar Erdal Zafer senkte den Blick. Er hatte noch nie Pfeffers Blick standhalten können. Pfeffer hätte gerne gewusst, warum. Er bekam meist Komplimente für seine Augen, er wusste, dass das rehbraune samtige Kuscheln für ihn arbeitete. Meistens jedenfalls. Frauen schmolzen für gewöhnlich dahin, wenn er es richtig einsetzte. Manche Männer auch. Aber manchmal machte es offenbar auch Angst wie bei Froggy. Wobei – wenn Pfeffer ehrlich zu sich selbst war, wusste er, warum Froggy so distanziert blieb.

      »Neunzehn«, sagte Max Pfeffer. »Neunzehn Jahre alt. Polina ­Komarowa.« Er reichte Froggy den Ausweis zurück. »Dann finde mal heraus, ob unsere Kundin tatsächlich Polina Komarowa ist und wo sie gewohnt hat, Kollege. Ob es Angehörige gibt. Arbeitsstelle. Ausbildungsplatz et cetera. Danke.« Froggy nickte und trabte mit gesenktem Kopf davon. Pfeffer inhalierte den letzten Zug von seiner Zigarette, warf sie auf den Boden und trat sie aus.

      »Max Pfeffer«, sagte die Rechtsmedizinerin streng. »Ich habe hier meinen kleinen mobilen Aschenbecher. Wie immer. Du alte Wutz musst nicht …«

      »Jaja, schon gut.« Pfeffer bückte sich, hob den Stummel auf und legte ihn in den kleinen Aschenbecher, den ihm die Medizinerin hinhielt. »Ich gehe jetzt heim, duschen, und dann sehen wir uns im Büro.«

      »Ach, Chef«, sagte Bella Hemberger, »du willst nach Giesing zurückjoggen? Ich fahr dich schnell heim. Und sag mal, was ist das denn hier überhaupt für eine verrückte Location?«

      »Was? Die Marienklause? Kennst du die nicht? Warst du noch nie hier?«

      »Nein, wir kommen selten weiter als bis zum Flaucher, wenn wir an der Isar sind, oder mal nach Großhesselohe. Halt immer auf der anderen Isarseite.«

      »Die Marienklause hat mal ein Schleusenmeister selbst gebaut, soweit ich weiß«, erklärte Pfeffer. »Aus Dankbarkeit, dass ihn die Muttergottes zigmal vor dem Ertrinken gerettet hat, hat er die Kapelle und den Kreuzweg mit vierzehn Stationen errichtet. Das hier ist eine Stelle an der Isar, die saugefährlich ist wegen der Strömungen. Und früher sind hier wohl viele Flößer ertrunken. Die Legende sagt, besser gesagt, meine Oma hat uns das erzählt, dass hier die Isarnixe hockte und die Floßknechte betörte. Wer ihren Gesang hörte, musste bei der nächsten Floßfahrt sterben. Und bei Hochwasser hat sich die Isar­nixe dann zusätzlich einen Spaß daraus gemacht, nächtliche Wanderer mit Irrlichtern zu foppen und in die reißenden Fluten zu locken. Da, siehst du, unter der kleinen Holzkapelle entspringt eine Quelle, die soll angeblich Heilkräfte haben.«

      »Was du alles so weißt«, sagte Bella ganz unironisch.

      »Solche Geschichten weiß ich jede Menge von meiner Oma. Die war die einzig erträgliche Person in meiner Familie und die Einzige, der man zuhören konnte.«

      3

      Becky öffnete die Balkontür. Sofort fluteten Lärm und Feinstaub die Küche. Die einzige Möglichkeit, in München eine bezahlbare Wohnung zu bekommen, bestand darin, Mängel zu ignorieren. Dass zum Beispiel der Mittlere Ring direkt vor der Tür lag, zwar mit Schalldämmung versehen, aber das brachte kaum etwas, außer hässliche Lamellen als Aussicht. Hinter dem Ring lag dann auch noch die Großbaustelle des ehemaligen Osram-Geländes. Wo früher Glühbirnen gefertigt wurden, dann einige Jahre eine Asylunterkunft existierte, wurden nun neue Wohnungen hochgezogen. »Living Isar« nannte sich das Projekt. Klang toll, klang teuer. Luxuswohnungen statt Fabrikhallen. So wie man das eben in München machte.

      Becky konnte den Lärm inzwischen gut ausblenden, ebenso die nicht besonders frische Luft. Sie reckte ihr Gesicht zu den Sonnenstrahlen, die den Balkon bereits erreichten. Ihren Kaffeebecher hielt sie mit beiden Händen fest umklammert, um die Finger zu wärmen. Nur um an der Zigarette zu ziehen, ließ sie ab und an mit der linken Hand los. Sie überlegte, ob sie zum Bäcker am Candidplatz vorgehen sollte. Croissants wären jetzt lecker.

      Becky hörte trotz des Lärmpegels, wie Lucky in die Küche schlurfte und sich schniefend Kaffee einschenkte. Sie ging in die Küche zurück und schloss die Balkontür.

      »Moinsen«, brummte Lucky und schniefte erneut.

      »Ach, Bussimausi.« Becky umarmte ihren Mitbewohner. »Immer noch unglücklich? Ich dachte, das hätten wir hinter uns. Das ist jetzt auch schon über eine Woche her …«

      »Ich weiß«, antwortete Lucky weinerlich. »Hatte einen Flashback. Scheiß Kerle. Scheiß-fuck alte Säcke.«

      »So ists recht«, bekräftigte Becky. »Und ich wiederhole mich ja gerne: Such dir endlich mal einen Kerl in deinem Alter, und nicht immer einen scheintoten Sugardaddy. Die wollen nur Frischfleisch. Die wollen nur ficken.«

      »Das will ich doch auch«, schniefte Lucky.

      »Nein, du willst die große Liebe mit Engelschören und Glitter und dem ganzen Trallala. Und dann auch noch ein bisschen

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