Wie tief kann ein Engel fallen? Teil 1 und 2: Zwei Romane: Redlight Street 64/65 Doppelband. G. S. Friebel
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wie tief kann ein Engel fallen? Teil 1 und 2: Zwei Romane: Redlight Street 64/65 Doppelband - G. S. Friebel страница 2
Eva war erst achtzehn, also nur ein Jahr älter als Helga, als sie das Kind zur Welt brachte. Egon war erst zwanzig, und sie waren gar nicht lange zusammengegangen, als es passiert war. Bestimmt hätten sie nicht geheiratet, wenn das Kind sich nicht angemeldet hätte. Auf dem Lande war ein uneheliches Kind noch eine Schande, und so wurde denn geheiratet. Aber Eva war missmutig und ärgerlich. Und weil sie jetzt ständig das Kind hüten und Egon bedienen musste und sie selbst noch so gar nichts vom Leben hatte, ließ sie ihre Wut an Helga aus. Sie konnte es einfach nicht ertragen, dass diese fortgehen konnte, keine solchen Pflichten hatte.
Alle hackten sie auf Helga herum. Zu Hause war es schon längst nicht mehr gemütlich. Dazu musste jeder Pfennig fünfmal umgedreht werden. Sie brauchte nur mal in ihrem Zimmer zu sitzen und zu lesen, schon war der Vater da und schimpfte, sie würde zu viel Licht verbrennen und knipste es einfach aus.
»In der Stube ist Licht, dort kannst du lesen, basta.«
»Dass man aber mal allein sein will, das begreifst du wohl nicht!«, schrie sie ihm nach.
Aber sie war noch nicht volljährig, und so durfte sie nichts anderes tun als sich zu fügen.
Jeden Morgen musste sie früh aufstehen und in den einzigen, kleinen Frisiersalon des Ortes gehen, um sich zunächst als Putzfrau zu betätigen, denn sie war ja noch Lehrling. Dann musste sie der Meisterin zur Hand gehen. Und dafür sollte sie noch dankbar und froh sein.
»Viele in deinem Alter bekommen keine Lehrstelle. Du kannst wirklich froh sein, dass ich dich genommen habe, Helga. Und jetzt mach mal ein bisschen flott, und mach nicht so ein muffiges Gesicht. Was sollen denn die Kunden denken?«
Die Kunden, das waren die Mamas und Omas von den herumliegenden Höfen und Arbeiterfrauen, die alle drei Monate nur kamen; zu mehr reichte das Geld nicht. Und Trinkgeld, du liebe Güte, damit kam sie wirklich weit!
Ganz klar und deutlich sah sie die weitere Zukunft vor sich: Mit Ach und Krach würde sie die Prüfung bestehen, das wusste sie jetzt schon. Und dann war sie Gesellin mit einem mickrigen Lohn. Sie würde einen Mann kennenlernen, so einen wie Egon, und man würde eine Zeitlang miteinander gehen, paar Feste mitmachen, und dann verlobte man sich und zog in eine kleine Wohnung, man bekam einen dicken Bauch, Kinder und lebte so wie Mutter. Sie nannten es Glück. Ein Mädchen, das nicht verheiratet war, das hatte auf dem Land einen schweren Stand.
Helga wollte mehr, viel mehr! Nein, sie würde sich nicht so einpacken lassen. Sie würde rausziehen, in die große, weite Welt und das wirkliche Leben genießen.
Wie sie nun so am Zaun stand und grübelte, da kam ihr plötzlich der Gedanke: Warum soll ich eigentlich so lange warten, bis ich volljährig bin? Diese verdammte Lehre! Das Frisieren hängt mir zum Halse heraus. Ich will nicht mehr! Wenn, dann mache ich mich selbst schön.
Ich hasse sie alle, und ich kann sie nicht mehr ausstehen. Wenn ich gehe, dann haben sie mehr Platz im Haus. Froh können sie sein. Jawohl, und das schwöre ich ihnen, ich komme erst zurück, wenn ich etwas geworden bin. Mit einem großen Wagen werde ich vorfahren, und einen Pelz werde ich tragen und rauchen.
Wenn sich erst mal ein Gedanke in ihrem Gehirn festgesetzt hatte, dann ließ er auch nicht mehr so schnell locker. Helga öffnete die kleine Gartentür und ging in den Garten. Sie setzte sich auf die Bank und dachte weiter nach.
Doch dabei störte sie das Geschrei des Babys. Es war einfach zum Verrücktwerden!
Oben wurde das Fenster geöffnet, und Egon rief: »Kannst du den Kleinen nicht mal ausfahren? Du hast doch nichts zu tun.«
Helga gab keine Antwort.
Da kam die Mutter in den Garten.
»Wirklich«, sagte sie müde. »Es muss dir doch Freude machen, und außerdem ist das eine gute Übung für dich.«
»Wie bitte?«, keuchte Helga verblüfft. »Was ist das?«
»Gott, tu doch nicht so! Es wird nicht lange dauern, dann hast du auch Kinder. Du könntest Egon wirklich den Gefallen tun. Er muss die ganze Woche arbeiten und möchte sich am Sonntag ausruhen.«
»Muss ich vielleicht nicht auch in der Woche arbeiten?«, gab sie hitzig zurück.
»Du hast keine Familie, das ist etwas ganz anderes«, sagte die Mutter.
»Ich habe ihn zu dieser Heirat nicht getrieben!«, schrie sie wütend. »Wenn er Ruhe haben will, soll er sein Balg selbst ausfahren!«
»Helga, du benimmst dich wirklich unmöglich. Schrei nicht so laut. Was sollen denn die Nachbarn von uns denken.«
»Das ist mir egal, völlig egal. Ich will auch meine Ruhe haben!«
Sie rannte zum Zaun.
»Wo willst du hin?«
»Das weiß ich noch nicht«, gab sie wütend zurück. »Auf jeden Fall komme ich so schnell nicht wieder.«
»Um acht Uhr bist du spätestens zu Hause!«, rief die Mutter ihr nach.
Voller Zorn rannte sie los, einfach die Hauptstraße hinunter. Helga wusste selbst noch nicht, wohin sie gehen sollte. Vielleicht doch zum Jugendtreff? Sie biss die Zähne zusammen. Nein, sie würde sich doch nicht lächerlich machen!
Als sie zur Besinnung kam, war sie schon weit außerhalb des Ortes auf der Landstraße. Auf einem dicken Findling machte sie erst einmal halt, um zu verschnaufen. Immer noch sehr wütend, blickte sie zum Dorf mit der kleinen Kirchturmspitze zurück.
Sie sollte wirklich sehr lange fortbleiben. Aber das wusste sie jetzt noch nicht.
2
Helga schob ihr blondes Haar aus dem Gesicht. Sie war noch nicht ganz fertig, noch nicht ganz Frau. Im Wachstum hatte sie noch ein wenig von dem Babyspeck, und irgendwie wirkte das noch rührend und hilflos. Überhaupt hatte sie ja so gar keine Erfahrung, hatte nur im Dorf gelebt, im Trott mit den übrigen ihr Leben gelebt.
Als sie nun so allein auf dem Stein saß, ein wenig unglücklich und böse, wusste sie selbst nicht, was sie so recht wollte. Bestimmt wäre sie auch wieder um acht Uhr wie an jedem Abend pünktlich zu Hause gewesen, denn wo hätte sie denn sonst hingehen können – wenn nicht in diesem Augenblick ein elegantes Auto neben ihr gehalten hätte.
Wie konnte Helga Wenda auch ahnen, dass es sich bei dem schicken Mann um einen Zuhälter handelte? Ja, wenn man ihr gesagt hätte, er ist ein Zuhälter, dann hätte sie mit diesem Wort nicht einmal etwas anfangen können. Wenn die Aufklärungswelle auch sämtliche Großstädte überschwemmt hatte, so war auf dem Lande doch vieles ruhiger und normaler verlaufen. Man sprach noch immer nicht über gewisse Dinge – schon gar nicht in Gegenwart von Kindern und Jugendlichen. In der Großstadt hatte man längst herausbekommen, dass es der beste Schutz war, wenn man darüber offen sprach, die Jugendlichen auf diese Gefahren hinwies. Wie konnte man ihnen entgehen, wenn man so ahnungslos war wie Helga?
»Hallo!«, sagte der Mann. Er