Pistengeier: Berlin Turbo #9. Glenn Stirling
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„Um den Lastzug brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, der ist sehr hoch versichert. Seit Sie und Herr Nerlinger diese Marokko-Fahrten machen, haben wir die Versicherung sehr erhöht. Nach den Erfahrungen, die Sie am Anfang bei Ihrer zweiten Tour ...“
„Schon gut“, meinte Klaus. „Aber ich möchte diesen Rittlinger doch genauer kennenlernen. Mir wäre lieber, es führe einer mit, den ich kenne, einer von uns hier. Und wenn es einer vom Nahverkehr ist. Dann können Sie Rittlinger ja solange im Nahverkehr fahren lassen.“
„Tut mir leid, hier kann ich keinen entbehren. Und da sind auch einige, die haben nur Klasse drei. Auf den Siebeneinhalbtonnern ist das ja möglich, aber Ihren Zug ...“ Sie redete und redete, und am Schluss gab Klaus nach. Dabei kannte er diesen Paul Rittlinger immer noch nicht.
Eine halbe Stunde später sollte er ihn kennenlernen, denn da kam er. Irgendjemand hatte ihn nach dem Telefonat mit Kirchlechner geholt.
Im ersten Augenblick konnte sich Klaus nicht allzu viel beim Anblick dieses Mannes denken. Er war etwa so groß wie er selbst, schmal, schätzungsweise Anfang Dreißig. Er grinste verlegen und schief, sah aber sonst aus wie einer, der das Arbeiten gewohnt war. Jedenfalls hatte er hornige Pranken, das spürte Klaus bei der Begrüßung. Was Klaus aber sofort auffiel, war die Fahne von Bierdunst, die ihm bei der Begrüßung entgegenschlug.
„Ist das der Zug da drüben?“, fragte Paul Rittlinger mit deutlichem Berliner Akzent, und er deutete auf den Magirus 360 M 19 und den Blumhardthänger dahinter.
„Ja, das ist er“, brummte Klaus nur. „Hast du schon so einen Bock gefahren?“
Rittlinger winkte ab.
„Mein Gott, wenn ich die Kisten alle zählen müsste. Der Typ genau war nicht drunter, aber der 320er.“
„Also gut“, meinte Klaus, „dann komm mal mit, dann sage ich noch ein paar Takte dazu. Kannst du denn sofort abkommen?“
„Ja, ja, ich hole bloß schnell meine Klamotten. Das dauert höchstens eine halbe Stunde.“
„Und hör mal“, meinte Klaus mahnend, „trink nichts mehr! Hast du schon viel intus?“
„Zwei Mollen, mehr nicht“, behauptete Paul Rittlinger. „Ich müsste bloß eine Karre haben, die mich hinbringt.“
„Zu deiner Wohnung?“
Rittlinger nickte.
„Ich regle das. In einer halben Stunde bist du da. Frag Kirchlechner, er kann dich fahren. Ich habe keinen Bock, meinen Wagen aus dem Schuppen zu ziehen.“
Rittlinger war es zufrieden, verschwand im Büro, und kurz darauf fuhr Kirchlechner ihn selbst weg. Klaus hatte seinen Wagen fix und fertig zum Fahren, aufgetankt bis an den Rand, Öl nachgesehen, Filter gewechselt, auch den Luftfilter erneuert, alles war wieder bereit zur großen Fahrt. Einer der Auszubildenden, die bei Addi Piltz in der Werkstatt arbeiteten, prüfte noch die Luft vom Anhänger. Und als auch das alles geschehen war, kam Addi Piltz und sagte: „Hör mal, Cowboy, wir haben alles abgeschmiert, was abzuschmieren ist. Viel ist das ja heutzutage nicht mehr. Die Lichtanlage ist auch in Ordnung. Nun sieh zu, dass du die Kiste heil zurückbringst. Bevor du das nächste Mal startest, erneuern wir den Kotflügel hinten rechts. Das ist ja bloß noch ein Trümmerhaufen.“
„Wenn du die Pisten siehst da unten und hörst, wie die Steine fliegen und gegen die Kotflügel donnern, Addi“, meinte Klaus, „dann wunderst du dich auch nicht, wie der Kotflügel nachher aussieht.“
„Und die Reifen“, meinte Addi, „wechseln wir auch aus, wenn du das nächste Mal zurückkommst.“
„Ich bin gespannt, ob der Bursche in einer halben Stunde wieder hier ist. Fünf Minuten davon sind schon vergangen“, meinte Klaus.
„Sieh das nicht so eng! Leg dich was pennen oder komm mit rein, hier draußen ist es zu kalt. Wie warm habt ihr es denn da unten?“
„Nachts ist es kalt, Addi“, sagte Klaus. „Am Tag schmilzt du so weg. Aber nachts um zwei und zwischen der Mittagshitze ist ein Unterschied von vierzig Grad. Da klappern dir die Zähne vor Kälte nachts.“
„Du bist jung“, meinte der alte Werkstattmeister, „du wirst es überstehen. Hau dich in deine Koje und penn die halbe Stunde!“
Es wurde mehr als eine halbe Stunde. Nach etwas über einer Stunde kam Kirchlechner endlich mit Paul Rittlinger an. Der hatte sich wohl auch umgezogen, trug jetzt Manchesterhosen, eine blousonartige Windjacke und ein kariertes Hemd. Auf dem Kopf trug er eine Kappe, wie sie im Winter bei der Bundeswehr üblich ist.
Mein Gott, mit diesem Kopfschmuck wird er die Vopos richtig in Wallung bringen, dachte Klaus noch, dann sagte er: „Also gut, Paul, dann leg mal den Riemen auf die Orgel!“
„Du meinst, ich sollte fahren?“
„Ich dachte, du hättest Klasse zwei, oder hast du die nicht?“
„Willst du den Führerschein sehen?“
„Ich hoffe, dass Ralf ihn gesehen hat. Aber zeig ihn mir mal! Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“
Der Führerschein war zehn Jahre alt.
„Zufrieden?“, fragte Paul und grinste Klaus an.
Dieses Grinsen, dachte Klaus, geht mir noch eines Tages auf den Keks. Und er sagte: „Nun heiz die Kiste an, dann schieben wir ab!“
Er stieg auf der Beifahrerseite ein, klappte noch mal den Fahrtenschreiber auf und schrieb den Namen von Rittlinger drauf. Dann erst war Rittlinger eingestiegen, sah sich kurz suchend um, schob, ohne dass der Motor lief, die Gänge hin und her, dann startete er den Motor.
Als der 360 PS starke Diesel losbrummte, sagte Klaus noch: „Du musst die Kupplung gut durchtreten.“
Rittlinger hatte es gehört, nickte, und dann trat er doch nicht weit genug durch, und nach Einlegen des ersten Ganges gab es dann prompt einen Ruck.
„Ich hatte gesagt, gut durchtreten!“, knurrte Klaus und war weit davon entfernt, sich entspannt in die Ecke zu lehnen.
Dann fuhren sie los. Der Zug war voll beladen, aber gewichtsmäßig nicht bis zur Obergrenze. Diese Fertighäuser, die sie drauf hatten, waren nicht so schwer, dass die Gesamtladung zwanzig Tonnen überstieg.
Paul fuhr an, als sei er zum Großen Preis vom Nürburgring aufgerufen.
„Mensch, schieb doch nicht ab wie der Rettungswagen! Du musst das ruhiger sehen, wir kommen schon hin nach Marokko. Du bist nicht Röhrl, und das ist kein Sportwagen."
„Nun mach dir nicht ins Hemd!“, knurrte Paul Rittlinger. „Der Motor ist etwas stärker als die, die ich gewohnt bin.“
„Was hast du denn zuletzt gefahren?“, wollte Klaus misstrauisch wissen.