Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018. Cedric Balmore
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Doris duschte zuerst, und danach bereitete sie den Kaffee vor. Sie hatte noch Brötchen, buk sie auf, und als Gerti dann kam, tranken sie gemeinsam Kaffee. Sie hatten das Fenster weit geöffnet, und das entschädigte Doris für den Balkon, den sie nicht besaß.
Der Verkehrslärm war weit weg, drang aber leise bis zu ihnen herauf. Auf einem der Bäume, die man vom Fenster aus sehen konnte, zwitscherte eine Amsel. Die Sonne stand tief, und wieder wirkten die Dächer der Häuser und auch die Wipfel der Bäume wie vergoldet.
„Deine Wohnung ist nett“, sagte Gerti anerkennend. „Hübsch eingerichtet hast du sie auch. Nicht so überladen. Und schöne Bilder.“ Sie blickte auf eines der Bilder, ging dann bis zum nächsten und betrachtete es. „Wo hast du die nur her?“
„Selbst ist die Frau.“
Gerti blickte Doris überrascht an. „Die hast du gemalt?“
Doris nickte bescheiden. „Es ist keine große Kunst. Ich weiß. Aber es macht mir Spaß. Und mir gefällt’s halt.“
„Nicht nur dir. Ich finde die Bilder großartig. Hättest du nicht Lust, mir eins zu malen, wenn du mal Zeit hast?“
„Ja, dazu hätte ich Lust. Wenn es nicht eilig ist.“
Gerti ging jetzt von einem Bild zum anderen. „Die sind wirklich hübsch.“
„Auf dem Korridor sind noch zwei. Und in meinem Schlafzimmer auch.“ Doris blieb sitzen und hörte, dass Gerti auch ins Schlafzimmer ging. Hörte einen Ausruf des Überraschens, und dann kam sie zu Doris zurück. „Das ist ja ein Aktbild im Schlafzimmer.“
„Ja“, gab Doris zu, „aber ein Akt von hinten.“
„Wer ist das?“, wollte Gerti wissen. „Du selbst? Sie hat das Haar wie du. Und ich meine, man sieht auch etwas vom Profil. Das bist du, nicht wahr?“ Doris lachte. „Ich habe mal mit dem Selbstauslöser ein Bild gemacht, ein Foto also, und dann das Ölbild gemalt. Es war ein ganz großer Wunsch von Dieter, von meinem geschiedenen Mann. Und ich habe ihm diesen Wunsch erfüllt. Von mir aus hätte ich das nie getan. Eigentlich wollte er das Foto machen. Und natürlich von vorn, so wie die Maja. Aber dazu hatte ich keine Lust. Und deshalb ist das Foto auch von mir. Das Bild habe ich mitgenommen. Es hat ja keinen Sinn mehr für ihn.“
„Das ist wunderschön, dieses Bild. Und du sagst, das sei keine Kunst?“
Doris schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Nicht in dem Sinne, wie du Gemälde in den Ausstellungen siehst. Es ist eben Kunst für mich selbst.“
„Sag mal“, meinte Gerti und blickte Doris nachdenklich an, „du hast eine ganze Menge Qualitäten, die da im verborgenen stecken. Pflänzchen, deren Blüten man nicht sieht, wenn man nicht danach sucht. Das ist mir schon auf unserer Fahrt aufgefallen. Eigentlich bei jedem Gespräch. Es steckt viel mehr in dir, als man vermutet, wenn man hört, dass du Krankenschwester bist. Du hättest studieren können.“
Doris schüttelte unwillig den Kopf. „Bitte, lassen wir das Thema!“
„Gehörst du etwa auch zu denen“, sagte sie unbeeindruckt von Doris’ Ablehnung, „die ihrem Mann das Studium ermöglicht haben und jetzt mit leeren Händen dastehen?“
„Ich stehe nicht mit leeren Händen da. Er hat ganz schön bluten müssen, und ich habe auch nicht für ihn gearbeitet. Nein, damit hat es nichts zu tun. Ich hätte auch nicht studieren können. Ich habe zwar mittlere Reife, aber kein Abitur. Meine Eltern haben mich in eine Realschule gesteckt, und weitermachen wollte ich damals nach der mittleren Reife nicht. Ich hätte auf ein Gymnasium gehen müssen, um die Oberstufe zu machen. Und davor bin ich zurückgeschreckt. Es tut mir nicht leid, wenn du das meinst. Ich möchte auch keine Ärztin sein. Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe. Und ich verdiene auch nicht schlecht. Ich komme jedenfalls sehr gut zurecht.“
Gerti spürte, dass sie sich in diesem Gespräch wieder auf Glatteis begab. Also wechselte sie rasch das Thema. Sie erzählte von sich, von Matthias und gab ein paar Anekdoten um ihren Sohn zum Besten, worüber sie beide lachten. Später dann verabschiedete sie sich und fuhr mit dem Rad davon. Doris war noch mit hinuntergegangen und winkte ihr nach. Als sie Gerti nicht mehr sah, ging sie ins Haus zurück.
Wie immer nahm sie die Treppe, das hielt frisch, obgleich sie heute am liebsten den Fahrstuhl genommen hätte. Denn jetzt spürte sie alle Muskeln ihrer Beine. Und nicht nur die.
Als sie schon fast an ihrer Wohnungstür angelangt war, hörte sie das Läuten des Telefons. Sie ging rasch hinein. Es war kein Irrtum. Es war ihr Telefon, das klingelte.
Als sie abgehoben und sich gemeldet hatte, hörte sie die Stimme von Dr. Graf.
„Schwester Doris“, sagte er, „ich habe von Schwester Silke eine Freikarte für die Oper bekommen und gerade durch Zufall erfahren, dass Sie eine andere Freikarte von ihr haben. Wir würden nebeneinandersitzen. Soll ich meine Freikarte zurückgeben? Oder ...“
Sie fand es in diesem Augenblick rührend, dass er sie deshalb ansprach. „Und Sie haben es wirklich jetzt erst erfahren, Herr Doktor?“, fragte sie.
„Ja. Ich kenne Sie ja und Ihre Einstellung. Im Grunde kann ich das alles verstehen. Und deshalb habe ich angerufen.“
„Sie brauchen Ihre Karte nicht zurückzugeben. Ich gebe meine auch nicht zurück. Es soll sich bloß nicht das vom Kino wiederholen, wenn Sie wissen, was ich meine.“
„Aber nein doch. Da hatte ich etwas getrunken, verstehen Sie das doch. Jeder Mensch rutscht irgendwann mal aus. Das war so ein Ausrutscher. Ich werde Ihnen keine Peinlichkeiten bereiten. Das verspreche ich Ihnen.“
Und plötzlich sagte sie etwas, das ihr einfach so über die Lippen kam, ohne dass sie darüber nachdenken musste:
„Ich freue mich jedenfalls darauf, dass wir zusammen hingehen. Bis Montagmorgen, auch wenn ich dann bei Professor Winter bin.“
Er war so überrascht und hatte mit dieser Bemerkung überhaupt nicht gerechnet, dass er gerade noch einen Gruß murmelte, bevor sie auflegte.
Aber kaum lag der Hörer auf der Gabel, erschrak sie. Warum habe ich das gesagt?, dachte sie. Bin ich verrückt geworden? Ich werfe meine eigenen Prinzipien über den Haufen. Natürlich, ich muss verrückt sein. Warum habe ich das nur gemacht?
Aber da war eine innere Stimme. Und die sagte, dass sie sich freuen sollte. Vielleicht würde der Montagabend sehr schön.
Vielleicht, dachte sie skeptisch.
6
Den Montagmorgen hatte sie Dienst bei Professor Winter. Es war eine angenehme Arbeit mit ihm. Sie sah ihn als einen ausgeglichenen freundlichen Menschen, dessen ruhige Ausstrahlung sich auch auf die Patienten übertrug.
An diesem Vormittag lernte sie auch etwas hinzu: Winters Art, mit den Patienten zu reden, beseitigte deren Ängste, beruhigte die oft erregten Nerven der Patienten, und sie lernte, wie wesentlich für die Therapie die seelische Ausgeglichenheit eines Patienten ist.
Aber doch wollte ihr die Zeit nicht vergehen, so angenehm es war, mit Professor Winter zu arbeiten. Sie dachte an den Abend, an die Oper.
Zu Mittag hatte sie