Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018. Cedric Balmore
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„Ich werde noch Ihren direkten Vorgesetzten, falls Sie diesen Posten übernehmen sollten, hinzuziehen. Es ist Doktor Wieland Graf, unser Internist im Hause.“
Von ihrem Chef wusste sie, dass Professor Winter einen Ruf mit seiner Klinik, aber auch als hervorragender Gynäkologe hatte. Nur den Mann selbst sah sie nun zum ersten Mal und fand ihn sehr sympathisch. Und schließlich kam Dr. Wieland Graf.
Im ersten Augenblick sah sie nur den Mann in ihm, nicht den Arzt. Ein Mann, der ihr gefiel. Aber das löste in ihr Abwehrreaktionen aus. Sie hatte sich geschworen, nie mehr ein Bündnis mit einem Arzt einzugehen. Das Dilemma, das sie hinter sich hatte, schreckte sie vor allem zurück, was Männer betraf. Sie musste mit ihnen arbeiten, und dazu war sie bereit. Aber darüber hinaus sah sie sich noch nicht dazu imstande. Dass es Dr. Wieland Graf mit den Frauen aus dem gleichen Grunde so erging wie ihr mit den Männern, ahnte sie nicht einmal. Aber es erleichterte sie, dass er sie nur beiläufig musterte, knapp begrüßte und dann auf Winters Aufforderung hin ebenfalls Platz nahm. Sie saßen etwa eine Armlänge auseinander, der Internist und sie, seine zukünftige Sprechstundenhilfe und rechte Hand.
Winter sagte gerade, dass er sie erst einmal unter dem Wust von Bewerbungen ausgesucht habe, um ein Vorstellungsgespräch zu führen. Er habe sich erkundigt und sehr gute Urteile über sie erhalten. Sie werde ihm das hoffentlich nicht übelnehmen.
Wie geistesabwesend schüttelte sie nur den Kopf, hörte nur mit halbem Ohr zu und blickte immer wieder kurz zu Wieland Graf hin. Der wirkte völlig unbeteiligt, hatte die Beine übereinandergeschlagen, wippte mit dem oberen Fuß und wirkte gelangweilt.
Dass er sich so gar nicht für sie interessierte und Winter reden ließ, ohne eine Zwischenbemerkung zu machen oder eine Frage zu stellen, war ihr nur recht.
Schließlich lancierte Winter das Gespräch aber in eine Richtung, wo sich Wieland Graf am Gespräch beteiligen musste, ob er nun wollte oder nicht.
Aber Graf entschied sich, nur sehr wenige das Fach betreffende Fragen zu stellen, und die beantwortete Doris ebenso knapp wie präzise.
Durch eine Bemerkung Winters geriet das Gespräch in eine streng fachliche Bahn. Sie kamen auf einen Fall von Leberzirrhose zu sprechen, und Doris verblüffte beide Ärzte durch erstklassige Fachkenntnisse.
„Donnerwetter“, meinte Winter, „für eine Schwester sind Sie ganz gut im Bilde, finde ich.“
Doris lächelte bescheiden und sagte zu Winter: „Mein geschiedener Mann war Internist. Zwar mit der Fachrichtung Kardiologie. Aber damit hat er eigentlich sehr spät erst begonnen. Vorher ist er mehr allgemeinorientierter Internist gewesen. Und Fälle von Leberzirrhose gehören nun einmal in diese Praxis.“
„Werden auch in Zukunft zu Ihrer Praxis gehören“, sagte Winter. „Umso besser für Sie und die Patienten, wenn Sie so einschlägig fundierte Kenntnisse haben. Ja, mein lieber Herr Graf, gibt es noch Fragen?“ Er wandte sich Dr. Graf zu, und der schüttelte den Kopf.
„Sind Sie also noch weiter interessiert? Oder möchten Sie es erst von einem Rundgang durchs Haus abhängig machen“, fragte Winter.
„Vielleicht ja“, meinte Doris zögernd.
,,Dann werden Sie ihr bitte Ihre Abteilung kurz vorführen, Herr Graf“, schlug Winter vor.
Es war keine normale Schwesterneinstellung. Da hätte man sich diese Mühe vermutlich nicht gemacht. Aber Graf suchte eine rechte Hand, der man also immer absolut vertrauen musste und mit der er engstens zusammenarbeiten wollte. Folglich kam es da auf etwas mehr an als üblich. Und so führte er sie durch seine Abteilung, erklärte ihr sachlich alles, machte keine umschweifenden Worte, blieb konkret beim betreffenden Punkt.
Doris war ihm sehr dankbar dafür. Sie hatte in letzter Zeit einige solcher Gespräche mit Klinikleitern und Abteilungsärzten hinter sich. Die Bewerbung um diese Stelle zwar ihr zwölfter Versuch. Nicht, dass die anderen sie nicht genommen hätten. Im Gegenteil. Sie wollten sie alle haben. Sie war es gewesen, die schließlich ablehnte. Und oft genug hatte es gar nichts mit den betreffenden Kliniken zu tun, sondern in erster Linie mit den in Frage kommenden Ärzten. Der ihr nicht unbekannte Blick von unten nach oben, den Männer beim Betrachten einer Frau oft anwandten, tat ihr beinahe körperlich weh. Sie konnte sich die Gedanken jener Männer vorstellen und wusste, dass das Zusammenarbeiten nicht ohne Probleme bleiben würde. Da hatte sie lieber vorher verzichtet.
Bei Wieland Graf war alles anders. Für ihn, diesen Eindruck hatte sie sofort, schien sie ein absolutes Neutrum zu sein. Ein Wesen, geschlechtslos und unpersönlich. Und genau das hatte sie im Grunde gesucht. Einen Mann, der nicht die Frau in ihr sah, sondern den Mitarbeiter.
Nach dem Rundgang, den Graf hinter sich gebracht hatte wie eine üble Pflicht, gingen sie beide noch einmal zu Professor Winter.
Als sie dann vor ihm saß, schaute er sie gespannt an, und sie sagte lächelnd: „Hier gefällt’s mir. Wenn Sie mich wollen, ich möchte auch.“
Winter lachte und schien sichtlich erleichtert. „Also gut. Und wie sieht es bei Ihnen aus, Herr Graf?“
„Ich bin sehr einverstanden.“
Dieses „sehr“ in seiner Antwort war das erste deutliche Zeichen, dass er Doris nicht ablehnte, sondern sie offenbar akzeptierte. Und als sie ihn daraufhin ansah, lächelte er verstohlen, wurde dann sofort wieder ernst und fügte seinen Worten von eben hinzu:
„Die Voraussetzung wäre natürlich, dass Sie auch die stellvertretende Stationsschwesterrolle übernehmen.“
Nicht Doris, sondern Winter antwortete darauf:
„Mein lieber Herr Graf, das ist Frau Fenzing bekannt. Ich hatte das von vornherein so ausgeschrieben, wenn Sie sich an den Text der Annonce erinnern würden.“
„Ach ja, jetzt fällt es mir ein“, sagte Graf. „Dann ist ja alles klar. Und wann kommen Sie?“
„Den Ersten nächsten Monats. Das ist ein Mittwoch“, sagte Doris, als Graf einen Blick auf den Kalender werfen wollte.
Winter tat es dennoch und nickte bestätigend. „Ja, es ist ein Mittwoch. Wie sieht es denn bei Ihnen mit einer Wohnung aus?“ Er blickte Doris fragend an.
„Das ist ein Problem, das ich schnell gelöst habe. Sie brauchen sich nicht zu bemühen, und ich hatte auch nicht vor, hier im Hause ein Zimmer zu nehmen oder dergleichen.
„Ist auch etwas problematisch. Wir sind knapp an solchen Räumen“, erwiderte Winter. Dann lächelte er und streckte Doris die Hand hin. „Auf gute Zusammenarbeit.“ Er erhob sich gleichzeitig, und sie stand ebenfalls auf. Graf zögerte noch, dann stemmte er sich aus dem Sessel hoch.
Als sie sich dann von ihm verabschiedete, meinte sie einen prüfenden Blick auf sich zu spüren. Der Händedruck von ihm war fest, und er sagte: „Auf gute Zusammenarbeit, Frau Fenzing, oder soll ich schon Schwester Doris sagen? Sie heißen doch Doris, nicht wahr?“
Sie nickte. „Ja. Von mir aus sagen Sie Schwester Doris.“
„Dann sehen wir uns am Ersten früh um acht. Es wäre vielleicht ganz ratsam, wenn Sie hier am Tag vorher noch einmal anrufen, dass alles dabei bleibt. Schließlich müssen wir uns darauf einrichten.“
Sie nickte und versprach es. Dann