Gesammelte Erzählungen. Charles Dickens

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Gesammelte Erzählungen - Charles Dickens

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wissen Sie keinen, der einen Lehrjungen gebrauchen kann?“ fragte Herr Bumble, der das Gespräch ablenken wollte. „Sehr günstige Bedingungen, sehr günstig.“

      Währenddessen zeigte er mit seinem Stock nach dem Anschlag an der Tür und schlug dreimal bedeutungsvoll auf die großgedruckten Worte „fünf Pfund“.

      „Nun, wie wär’s?“

      „Ach, Sie wissen, Herr Bumble, daß ich viel Armensteuer bezahle.“

      „Nun?“

      „Da dachte ich, wenn ich soviel bezahle, hätte ich auch ein Recht, wieder etwas davon rauszukriegen. Ich möchte deshalb schon den Jungen nehmen.“

      Herr Bumble faßte den Leichenbestatter am Arme und führte ihn ins Haus. Dort hatte Herr Sowerberry eine Unterredung von fünf Minuten mit dem Vorstand, und man kam überein, daß Oliver ihm noch am selben Abend auf Probe übergeben werden solle. Dies wurde Oliver von den Herren mitgeteilt und ihm gleichzeitig angedroht, daß man ihn auf die See schicken würde, wenn er es in der Lehre nicht aushielte und der Gemeinde nochmal lästig fiele. Oliver hörte das schweigend an, dann führte ihn der würdige Herr Bumble an den neuen Schauplatz von Leiden. Als sie dem Orte ihrer Bestimmung näher kamen, sagte Herr Bumble:

      „Schiebe dir die Mütze aus dem Gesicht, und halte den Kopf hoch.“

      Der Leichenbesorger hatte eben die Fensterladen seiner Werkstätte geschlossen und trug beim Schein einer Kerze einige Posten in sein Buch ein, als Herr Bumble eintrat.

      „Sind Sie es, Bumble?“ sagte Sowerberry und blickte von seinem Buche auf.

      „Niemand anders“ versetzte der Gemeindediener, „und da ist der Junge.“

      Oliver machte einen Diener.

      „Also das ist der Junge“, sagte der Leichenbesorger und hob die Kerze hoch, um ihn besser betrachten zu können. „Liebe Frau, komm doch mal herein.“

      Frau Sowerberry kam aus einem kleinen Zimmer hinter der Werkstätte, sie war eine kleine, magere Person mit einem Gesicht wie eine Xanthippe.

      „Das ist der Junge aus dem Armenhause, von dem ich dir gesprochen habe.“

      „,Mein Gott“, sagte sie, der ist aber doch zu klein.“

      „Klein ist er freilich“, bemerkte Herr Bumble, „aber er wird wachsen, sicher, er wird wachsen.“

      „Das glaub’ ich wohl“, sagte Frau Sowerberry, „aber von unserer Kost. – Da, geh die Treppe herunter, kleines Gerippe! Charlotte, gib dem Jungen etwas von dem, was für den Hund zurückgestellt war, der kriegt nichts mehr, da er heute morgen nicht nach Hause gekommen ist“, rief sie dem Dienstmädchen zu.

      Oliver verschlang mit Gier den Hundefraß.

      „Nun“ sagte Frau Sowerberry, „bist du fertig?“ Sie hatte mit Entsetzen und düsterer Ahnungen voll zugesehen, wie ein solcher Appetit in Zukunft zu befriedigen sei. Oliver bejahte.

      „So komm mit. Dein Bett ist unter dem Ladentisch. Ich denke, es macht dir nichts aus, unter den Särgen zu schlafen. Doch gleichviel, eine andere Schlafstelle können wir dir nicht geben.“

      Fünftes Kapitel

      Oliver lernt seine neue Umgebung kennen und nimmt zum erstenmal an einem Leichenbegängnis teil. Er faßt eine ungünstige Meinung vom Geschäfte seines Meisters

      Am Morgen wurde Oliver durch lautes Pochen an der Ladentür geweckt. Während er in seine Kleider fuhr und die Sperrkette zu lösen begann, ließ sich eine Stimme vernehmen:

      „Öffne die Tür, ein bißchen schnell!“

      „Sofort, Herr“, antwortete Oliver und schloß an der Tür.

      „Ich vermute, du bist der neue Lehrling, nicht wahr?“ sagte die Stimme durchs Schlüsselloch.

      „Jawohl“

      „Wie alt?“

      „Zehn Jahre.“

      „Dann setzt es Keile, wenn ich erst drin bin. Paß bloß auf, du Armenhäusler!“ Dann hörte man pfeifen.

      Oliver schob zitternd die Riegel zurück und machte die Tür auf. Ein paar Augenblicke sah Oliver die Straße rauf und runter, im Glauben, der Unbekannte sei einige Schritte weitergegangen. Er sah aber niemand als einen dicken Bengel, der auf einem Stein vor dem Hause saß und ein Butterbrot verschlang.

      Da Oliver sonst niemand in der Nähe sah, sagte er zu ihm: „Verzeihung, haben Sie geklopft?“

      „Jawohl“, antwortete der Bengel.

      „Wünschen Sie einen Sarg?“ fragte Oliver harmlos.

      Der Bengel schnitt ein grimmiges Gesicht und schrie ihn an, es werde nicht lange dauern, bis er selbst einen brauchte, wenn er sich derartige Witze mit seinem Vorgesetzten erlaube.

      „Du weißt wohl nicht, wer ich bin, Armenhäusler?“ fuhr der Bengel fort und kam näher.

      „Allerdings nicht!“

      „Ich bin Herr Noah Claypole, und du bist mein Untergebener“, sagte der Bengel. „Mach die Fensterladen auf, Faultier!“ Mit diesen Worten versetzte Herr Claypole unserm Oliver einen Tritt und ging mit gewichtiger Miene in den Laden.

      Bald nachdem Oliver die Fensterladen aufgemacht hatte, kamen Herr und Frau Sowerberry herunter. Claypole und Oliver gingen nun die steile Treppe zur Küche hinab, um zu frühstücken. Charlotte, die Köchin, legte Noah die besten Bissen vor, während Oliver mit dem Abfall vorliebnehmen mußte.

      Noah war zwar der Zögling einer Armenschule, aber keine Waise. Seine Mutter war eine Waschfrau, und sein Vater ein abgedankter, immer betrunkener Soldat. Sie wohnten in der Nachbarschaft. Die Ladenschwengel schimpften Noah „Lederhose“, „Barmherzigkeitsschüler“ und dergleichen, und er steckte es schweigend ein. Nun warf ihm der Zufall eine namenlose Waise in den Weg, und an dieser nahm er nun mit Wucherzinsen Rache.

      Oliver war schon drei Wochen im Hause des Leichenbesorgers, als eines Morgens Herr Bumble in die Werkstätte trat und aus seiner großen ledernen Brieftasche ein Blatt Papier herausnahm, das er Herrn Sowerberry einhändigte.

      „Aha“, sagte letzterer, „wohl eine Bestellung auf einen Sarg, nicht wahr?“

      „Zuerst auf einen Sarg und dann auf ein Begräbnis“, erwiderte Herr Bumble, sich verab­schiedend.

      „Nun“, meinte Herr Sowerberry und nahm den Hut, „je eher dieses Geschäft erledigt wird, desto besser ist es. Noah, du bleibst in der Werkstatt, und du, Oliver, setzt die Mütze auf und kommst mit mir.“ Sie zogen los und waren bald vor dem Haus, wo man ihrer Dienste bedurfte. Es stand in einer schmutzigen, armseligen Gasse. Sie stiegen die Treppe hinauf und machten an einer offenen Tür halt, die weder Klingel noch Klopfer hatte. Herr Sowerberry pochte. mit dem Finger an. Ein junges Mädchen von vierzehn Jahren öffnete. Sie waren am richtigen Orte. In einem kleinen, der Tür gegenüberliegenden Alkoven lag unter einer Decke die Leiche.

      Der Leichenbesorger zog ein Band aus der Tasche, kniete an der Seite der Toten, eines

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