Seine schönsten Erzählungen und Biografien. Stefan Zweig

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Seine schönsten Erzählungen und Biografien - Stefan Zweig

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Glanz. Welch ein Anblick, dessen man nie müde wird, diese überfüllten offenen Wagen, wo an den Trittbrettern die Männer wie Bündel weißer Trauben überhängen! Und nachts, wenn sie fahren, das Licht innen ergossen über die schwarzen, braunen, hellen Gesichter – es ist immer, als ob ein Blumenbouquet farbig vorbeigeschleudert würde! Und wie angenehm, in ihnen zu fahren! An den heißesten, den schwülsten Tagen kauft man sich in ihnen für einen Cent die schönste, die erfrischendste Brise und sieht dabei – im Gegensatz zu den Sargkästen der geschlossenen Automobile – rechts und links in die Straße, in die Geschäfte, in das Leben hinein. Nirgends kann man besser Rio, das wirkliche Rio erforschen, nicht im Cookautomobil und im Privatwagen, als in diesem Gefährt des kleinen Volkes; nur dank der bondes (sowie meiner Beine) glaube ich heute Rio wirklich zu kennen. Und ich brauche mich dieser Vorliebe nicht zu schämen, denn auch der Kaiser Dom Pedro II. liebte diese in ihren Gleisen scharf hinschmetternden, altmodischen Wagen so sehr, daß er sich einen eigenen zu seinen demokratischen Spazierfahrten reservierte. Welcher Fehler, wollte man diese ein wenig lärmende und wacklige Romantik verschwinden lassen, um das zu haben, was alle andern haben, und damit etwas zu verlieren, was Rio allein gehört: seine farbige, unbesorgte Lebendigkeit!

      13. Gärten, Berge und Inseln

      Nachts, wenn man an das Fenster tritt und das Meer liegt still und keine Brise geht, dann spürt man es an dem weichen, satten, mit geheimnisvollen Ölen und Harzen durchsüßten Atem der Luft, daß man in Rio immer inmitten von Bäumen und Gärten ist. Man begegnet ihnen überall. Nie eine Minute ohne einen Blick auf Grün. Die Straßen sind vielfach mit Palmen bestanden, um jedes kleine Haus quellen dichte Büschel, mit Blumen und sonderbaren Früchten durchsprenkelt, und je mehr man sich vom Meere entfernt, um so üppiger entfalten sich die Parks, und manche der Villen verschwinden fast völlig in ihrer andrängenden Umfassung. Immer sieht man auf Grün und überall. Manchmal weitet es sich zu breiten Gärten, wie auf der Praça Paris und Praça da República, aber innerhalb der Stadt ist es immer noch gezähmte, gebändigte, gehütete Natur. In Trijuca aber schon wirft sie sich ungestüm wie ein Ozean heran, ein dicht verschlungenes Gewirr von Bäumen und Sträuchern und Lianen, es ist, als ob – so wie beim Meere die Wellen wetteifern, zuerst an den Strand zu gelangen – diese Stämme und Gipfel miteinander ringen und kämpfen würden, um aus dem grünen Dickicht hinauf an die Sonne sich durchzustoßen. Wald ist hier nicht wie bei uns dämmernder Durchblick, sondern dunkle kompakte Masse, und wenn man versucht, in ihn einzudringen – nur einige Schritte – so fühlt man sich gefangen, isoliert wie unter einer Taucherglocke; der Atem spürt die fremde und zusammengedrängte Luft wie den schwülen feuchten Atem eines riesigen und gefährlichen Tiers; man hat – eine Stunde von der Stadt – an die Zone des Urwalds gerührt.

      Darum ist der Botanische Garten Rios, – der nach Aussage aller Fachleute (ich bin es nicht) auch der reichhaltigste der Welt sein soll – ein solches Wunder und eine solche Wohltat. Hier ist alles, was der Urwald enthält, ohne seinen Schrecken, seine Endlosigkeit, seine Unwegsamkeit, seine Gefahr. Hier sind alle Bäume, alle Pflanzen, alle Phänomene der Tropen in ihren großartigsten Exemplaren, und man kann sie mühelos bewundern. Schon die eine gigantische Palmenreihe des Eingangs ist ein wunderbares Bild, die Triumphallee, die sich ein König – König João VI. – vor anderthalb Jahrhunderten errichtet hat, und die so herrlich symmetrisch und aufrecht steht wie die Säulenreihe eines tausendjährigen griechischen Tempels. Man hat unzählige Palmen gesehen, hier in Brasilien und anderorts, und meint doch nie gewußt zu haben, wie herrlich majestätisch, wie wahrhaft königlich eine Palme sein kann, ehe man diese sah – kerzengrade, wunderbar rund der Stamm mit seiner arabisch-feinmaschigen Panzerhaut und hoch dann, o, ganz hoch, viel höher als man jemals den Blick erhoben, die Krone. Und rings herum, zur Rechten, zur Linken dann die Vasallen, herberufen aus allen Ländern und Zonen, aus Sumatra und Malakka, aus Afrika und vom Äquator, ein Riesengeschlecht vielfältigster Art. Man weiß sie nicht anzusprechen, man weiß ihre Namen nicht, man kennt die Früchte nicht, die sonderbar geformten und gefärbten, die sie in ihrem Laubwerk tragen, aber man spürt, daß diese Riesen uralter Herkunft sind, und man sinnt den exotischen Fernen nach, aus denen sie gekommen, um ihre Früchte und Farben vereinigt hier darzubieten. Und dann wieder, überschattet von bunten Sträuchern, im sumpfigen Teich die mächtigen Blüten der Victoria Regia und auf den höheren waldigen Teilen Bäume und Sträucher unserer Zonen, die man wie Freunde in der Fremde erkennt – ein lebendiges Museum einerseits, ist dieser Garten doch gleichzeitig ein vollkommenes Stück Natur. Denn nichts ist genialer in seiner Anlage, als daß er einem der mächtigen Hügel angelehnt ist; dadurch wird die Illusion erweckt, als ginge von hier, mitten aus einem Park und einer Weltstadt, dieses wogende Grün weiter und weiter ins Land, das ganze Reich, die ganze Welt entlang, und man sei erst am Anfang ungeheurer Überraschungen. Nicht einen Augenblick fühlt man sich umgrenzt. Es ist, wie wenn man von einem Vorgebirge jäh an das Meer tritt, eine unvergeßliche Vision von der Unendlichkeit der Natur.

      Aber ist der andere Park Rios, der Parque da Cidade, minder großartig? Er ist nur anders. Er wollte einzig der Schönheit dienen und nicht wie der Jardim Botânico auch der Wissenschaft. Als Garten eines der Patrizier Brasiliens, der ihn der Stadt übermachte, war er geschaffen, um von einer Villa auf der Höhe mit einem Blick alles zu umfassen, was Rios Landschaft an Vielfalt enthält, das Meer und die Berge, die Täler und die Üppigkeit seiner Vegetation. Aber es wurde nicht ein Blick, sondern ein Nichtendenkönnen an Blicken; da sanfte Hänge, dort kunstvolle Blumen, die wetteifern mit den Farbenfanalen der Araras, dieser schönsten aller Papageien, und dazwischen ein Teich und hier wieder eine Terrasse; alle Künste der Gartenarchitektur sind hier wissend enthalten. Und zu all dem muß man sich in Rio immer noch den Himmel erdenken, diesen klaren, reinen Himmel, der wie eine stahlblaue Scheibe alles Licht schärfer und zugleich diffuser verteilt, so daß jede einzelne Farbe mit gleichsam explosiver Kraft sich entlädt und die feinste Kontur eines Baumes sich genau abzeichnet. Und zu all diesen Herrlichkeiten endlich noch diejenige, die Natur erst vollkommen macht: die große Stille. Denn so weiträumig erstrecken sich diese Parks, daß man selten jemandem darin begegnet; hier kann man mitten in einer Weltstadt mit dem Vollkommenen selig allein sein. Hier schweigt der Lärm, und nur mit tausend warmen unsichtbaren Lippen atmet die Erde die weiche, schwülige Luft.

      Einen andern Tag hinauf in höhere Zonen. Kann man Berge sehen inmitten einer Stadt ohne die Lust, sie zu besteigen, ohne das Verlangen, klar ausgebreitet das steinerne und grüne Gewirr zu sehen, in dem man lebt? Es wird einem leicht gemacht, denn der Corcovado, der 700 Meter hoch sich über – oder eigentlich inmitten – der Stadt erhebt und sein nachts elektrisch erhelltes Kreuz mit großartiger Geste segnend über die ganze Bucht von Guanabara hebt, ist nicht einmal ein Ausflug zu nennen; in zwanzig Minuten klettert ein Auto die scharfen Kurven auf den beschatteten Wegen hinan bis zum Gipfel. Und hier tut ein unvergeßliches Panorama sich auf. Endlich, endlich überschaut man die ganze Stadt mit ihrer Bucht, ihren Bergen und Seen, ihren Inseln und Schiffen, ihren Häusern und ihrem Strand! Endlich sieht man, mit blauen, grünen, weißen Linien gezeichnet, den Grundriß ihrer Anlage und gleichzeitig ihre Mächtigkeit. Vom Wind umbraust, an die Riesenstatue des Redentor gelehnt, umfaßt man die ganze Vista; es ist wahrhaftig der Blick aller Blicke und doch unfotografierbar wie alles in Rio, weil zu groß in seinen Perspektiven ausgespannt. Denn überall ist Blick, zur Rechten, zur Linken, nach Ost und West und Nord und Süd, da das Meer, ins Unendliche blauend, dort die Bergkette von Teresópolis, da das flache Land und der Strand und die Bucht und die Stadt; jetzt erst begreift man die einzigartige Kombination aus dieser Höhe des Vogelflugs.

      Und doch ist der Corcovado bloß einer unter den Gipfeln und der beliebteste nur, weil für die Touristen durch Bahn und Autostraße so bequem zugänglich gemacht. Wie viele Wege noch auf diesen Bergen und Hügeln, wieviel Ausblicke auf jedem, der Blick von Boa Vista, vom Pico da Tijuca, von der Mesa do Imperador, von der Vista Chinesa, von Santa Teresa; von all den namenlosen Winkeln und Terrassen! Was von dem Gipfel des Corcovado aus zusammengeschlossen schien, vereinzelt, verteilt sich wieder, das Panorama löst sich filmisch auf in einzelne landschaftliche Szenen: man wird nicht fertig mit Rio. Man kann es nie zu Ende kennen, und das ist seine eigentliche, seine unvergängliche Schönheit.

      Von den Hügeln hat man inmitten der endlos gebreiteten

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