Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas

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Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas Die Chroniken des Grauen Mannes

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wieder tun. Niemand wird jemals etwas davon erfahren.“ „Es regnet in Strömen.“ Ich zucke die Schultern. „Na und? Das ist doch aufregend.“ Ich habe das Gefühl, dass der Boden unter meinen Füßen schwankt. „Chrona.“ Achim seufzt tief und schiebt meine Ärmel nach vorn. Sie gleiten von meinem Körper. Die Knöpfe sind gelöst. „Wo liegt dein Nachtzeug?“ Ich ziehe es unter den Decken hervor. Er hilft mir aus meinem Kleid und legt es ordentlich gefaltet über einem Stuhl ab. Achim ist mehr Gentleman als er sein sollte, dreht sich respektvoll um, während ich in Unterwäsche vor ihm stehe und mir den Pyjama anziehe. Der Stoff ist wundervoll weich auf meiner Haut und nimmt meine Körperwärme auf, um sie zurückzustrahlen und mich in seine sichere Umarmung zu ziehen. Ich höre das leise Knistern von Stoff, während Achim sich ebenfalls entkleidet und umzieht. Das Hemd legt er auf mein Kleid, die Hose dazu. Einladend schlägt er die Bettdecke bei Seite und ich krabble darunter. Das war unsere Diskussion. Er hat sie gewonnen, wie jedes Mal. Ich bewundere Achims Raffinesse und Autorität. Seine Selbstbeherrschung und ruhige Kontrolle. Gerade jetzt hätte ich mir mehr einen Mann gewünscht, der mich aus ganzem Herzen liebt und bereit ist, etwas Verrücktes mit mir zu unternehmen. Mich Leben atmen zu lassen. Es juckt mich in den Fingerspitzen auf den Knopf des Aufzugs zu drücken und mit Achim nach unten zu fahren und mich nach draußen in den prasselnden Regen zu stellen, damit seine Kälte meine betäubende Trunkenheit fortwäscht. Stattdessen gebe ich mich Achims Umarmung hin. Er drückt mir einen Kuss ins Haar, der mich wohlig aufseufzen lässt. Ich schmiege mich an ihn, bette den Kopf auf seine Brust und lausche dem regelmäßigen Herzschlag.

      Achim hat Recht. Jedes Mädchen beneidet mich. Nicht nur um meine Schönheit und mein Geld, den Erfolg und die Gesellschaft, sondern vor allem um ihn. Es gibt keinen beherrschteren, verantwortungsvolleren Mann auf dieser Welt, der mit einem ähnlichen Charisma gesegnet wurde. Anstatt mich damit zu befassen, dass Achim nicht mit mir vor die Tür gehen will, sollte ich mich auf seine durchdachten Gründe konzentrieren. Verrückte gibt es überall. Was würden sie dafür tun, um mit mir ein Foto zu erhaschen? Nur von hinten auf mich springen, die Kamera gezückt? Achim allein könnte mich nicht vor ihnen beschützen und ich verstehe ihn, dass er mich in unseren wenigen Stunden mit niemandem teilen möchte. Am wenigsten mit Fans oder Paparazzi. Das was wir haben, ist besser. Mit dem Kopf an seiner Brust einzuschlafen und den Atem regelmäßig kommen und gehen zu hören.

      Achim dämmert schnell weg. Vorsichtig fahre ich mit den Fingerspitzen die Schatten unter seinen geschlossenen Augen nach. Sie erinnern an Blutergüsse. Ich möchte nicht wissen, wie viel Make-Up man ihm aufdrängen musste, um das zu retuschieren. Es ist eine kleine Ehre, ein großer Beweis von Vertrauen, dass Achim sich mir erschöpft zeigt. Seine Verletzlichkeit offenbart. Ich möchte etwas gegen die tiefen Augenringe tun, will, dass er wieder längere Nächte und einen erholsameren Schlaf bekommt. Das gleicht einer Unmöglichkeit, wenn er von Geschäftsessen zu Geschäftsessen, Verhandlung zu Verhandlung eilen muss, ständig hochkonzentriert. Selbst ein brillanter Kopf wird müde und macht Fehler. Vater und Mutter wissen das und versuchen ihn zu entlasten.

      Diese dunklen Schatten beweisen, dass ihre Bemühungen bei Weitem nicht ausreichen. Achim muss am Ende seiner Kräfte angelangt sein. Normalerweise schafft er es selbst im Schlaf, sich zu beherrschen und jede überflüssige Berührung zu vermeiden. Heute Nacht schlingt er die Arme fest um meine Hüfte und vergräbt das Gesicht an meinem Hals. Er schnarcht leise. Ich muss lächeln, streichle ihm durch die weichen Haare. Die Uhr neben meinem eigenen Kamin gibt keinen Mucks von sich, trotzdem glaube ich die Zeiger rennen zu hören. Sie nehmen mir jede Ruhe, tilgen die Erschöpfung und den alkoholisierten Nebel in meinem Kopf. Behutsam schiebe ich Achim von mir und klettere aus dem Bett. Leise flackert die Lampe im Bad auf. Ich schließe die Tür hinter mir und nehme das Make-Up ab, Schicht für Schicht, steige unter die Dusche in der Hoffnung, dass ihre Wärme meine Schläfrigkeit zurückbringt. Stattdessen vervielfacht sie meine undefinierbare Anspannung.

      4

      Lautlos schließe ich den Reißverschluss meines alten Kleides und binde mir die Haare zu einem nachlässigen Pferdeschwanz, ehe ich mir die Kapuze meines Mantels über den Kopf ziehe und den Knopf des Fahrstuhls betätige. Nahezu entschuldigend drehe ich mich noch einmal zu Achim um. Er hat sich an mein Kissen geklammert und das Gesicht darin vergraben. Er wirkt jung und verletzlich, ganz und gar nicht wie ein gefürchteter Aktionär. Seine Sorgen um mich, dass mir unten in der Stadt, allein, Leid zustoßen könnte, lässt mich zögern, als die Aufzugtüren fast lautlos vor mir aufgleiten. Was, wenn ich ernsthaft verletzt werde? Wie sollte ich das erklären? In den Spiegeln des Fahrstuhls flackert mein Bild auf. Die Frau vor mir kann unmöglich Chrona Elizabeth Josephine Hel Clark sein. Ihre Erscheinung grenzt beinahe an ungepflegt, die Augen wirken stumpf, die Lippen schmal. Niemand wird mich in diesem Aufzug erkennen. Am wenigsten meine eigenen Eltern. Ich ziehe scharf die Luft durch die Zähne ein. Dann betrete ich den wartenden Fahrstuhl und sehe angespannt auf mein Spiegelbild, während er mich hinab trägt. Nicht eine Sekunde wage ich es, zu blinzeln. Die unbestimmte Anspannung lässt mich beben. Auf der schmalen Anzeige fliegen die Stockwerke an mir vorbei, verlieren mehr und mehr unter der seichten Musik an Bedeutung, bis der Fahrstuhl hält und mich im Foyer ausspuckt. Ich senke den Kopf und ziehe die Schultern leicht nach oben. Eine Haltung, die sich unnatürlicher nicht anfühlen könnte. Für diesen Moment bin ich nicht mehr als ein kleinlautes Mäuschen, das es kaum wagt, einem Menschen in die Augen zu sehen. Portier und Angestellte kennen dieses jämmerliche Bild gleichermaßen.

      Oft genug schleichen sich die Angestellten des Nachts aus den Zimmern. Ich bin nur eine von Vielen. Die befürchteten Paparazzi lauern vor der Tür, schießen Fotos, aber nicht mit der üblichen Begeisterung. Entgegen meiner Gewohnheit gehe ich nicht aufrecht und mit strahlendem Lächeln, huldvoll winkend an ihnen vorbei. Ich renne fast und kann es kaum erwarten, den sauren Regen auf meinem Gesicht zu spüren.

      Nie zuvor habe ich einen ähnlichen Drang gekannt. Ein Sehnen nach blanker, bebender Freiheit So muss es sich anfühlen, wenn man seit Tagen nichts mehr getrunken hat, Schlafmangel jemanden in den Wahnsinn treibt oder die Isolation in einer Zelle einem die Sinne nimmt. Derart hektisch bin ich nicht mehr als die makellose Aktionärstochter zu erkennen.

      Ein dicker, kalter Tropfen fällt auf meine Kapuze. Ich hebe dem Himmel das Gesicht entgegen und atme tief ein. Die Luft schmeckt nach Abgasen und Chemikalien, verbranntem Gummi und nassem Asphalt. Normalerweise halte ich mich von ihr fern wie vor der Pest. Sie schadet meinem Teint. In diesem Moment aber scheint sie meine wirren, vernebelten Gedanken zu klären und löst einen Teil der Furcht, die meinen Körper wie ein gespanntes Band vibrieren lässt. Hinter mir tritt Monsieur Depót aus dem Hotel, sofort spannt der Chauffeur einen Regenschirm über seinem Kopf auf, und ich ziehe mir reflexartig die Kapuze tiefer ins Gesicht. Beginne zu rennen. Das ist nicht der richtige Augenblick, um meinen künftigen Geschäftspartner zu verabschieden.

      Ich fühle mich, als würde ich verglühen, wenn ich nicht in Bewegung bleibe und die erfolgreichen, fantastischen letzten Stunden verarbeite. Als würde andererseits die mäßig kontrollierte Freude über meine kleinen Erfolge mich auffressen oder die sich legende Spannung meine Muskeln in Pudding verwandeln.

      Mir bleibt nur zu hoffen, dass Achim tief und fest schläft. Sollte er meine Abwesenheit bemerken, winkt mir ein Donnerwetter, das nicht nur er über mich hereinbrechen lassen wird. Achim ist verpflichtet, meine Verfehlungen an Mutter und Vater weiterzugeben. Beide werden mich unsanft darauf aufmerksam machen, wie gefährlich und leichtsinnig diese Aktion hier ist. Was mir alles hätte zustoßen können. Wie sehr ich meinem Image schade, wenn man mich in diesem Zustand antrifft. Die Presse würde sich überschlagen, die Gerüchteküche brodeln, bis sie meinen perfekten Ruf zerkocht hat und nichts mehr davon übriglässt.

      Ich gehe trotzdem weiter und nehme dieses unkalkulierbare Risiko auf mich, während der prasselnde Regen mich von der Welt abschneidet. Tatsache bleibt, das hier ist meine letzte Chance allein Luft zu schnappen. Freiheit zu kosten, ehe der goldene Käfig sich für immer schließt.

      Ab dem morgigen Tag bin ich offiziell volljährig. Von da an wird ein Skandal schwerer wiegen als

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