Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas
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Читать онлайн книгу Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas страница 13
„Ich verlange, augenblicklich den Initiator zu sprechen!“ Keine Reaktion. Ein lautes Zischen lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Feuer? Was wollen sie mit Feuer? Das Stroh um mich herum ist trocken und hochentzündlich, genauso der Baumstumpf, auf dem ich sitze und die verteilten Äste. Langsam wird mir die Bedeutung dessen, was hier geschieht, bewusst. „Brenn, brenn, brenn!“ Eine Unmöglichkeit. Ich schüttle den Kopf. Eine Unmöglichkeit! Feuer leckt über die gegenüberliegende Seite des Scheiterhaufens. Berührt den Fuß einer Frau. Sie kreischt auf, gellend genug, dass ich es mir nicht eingebildet haben kann. Unter ihren Schreien verstummt die Turmuhr. Mit dem regelmäßigen Gong verschwindet meine Rationalität. Verzweifelt strample ich und schlage um mich. Das raue Holz reißt mir die Oberschenkel auf und Stroh sticht in meine Arme. Der Henker geht herum, zündet den Kreis aus Heu und Holz, Stroh und Seil an, bis er lichterloh brennt. Frauen schreien, der Gestank von verbranntem Fleisch erfüllt die Nacht und lässt mich würgen. Das ist alles nicht real, nur eine schlechte, boshafte Illusion, jemandem geschuldet, der mir Übles will. Wer war es, der die Drogen in den Champagner mischte? Der junge Italiener? Während er mit mir sprach? Das hier ist nicht wirklich. Es darf nicht wirklich sein. Ich wiederhole diese wankende Überzeugung wieder und wieder wie ein Mantra, selbst als die Hitze um mich herum unerträglich wird und der Mann vor mir in die Knie geht, um das Stroh zu meinen Füßen zu entzünden. „Brenn, Hex“, flüstert er, kaum verständlich über das Knistern und Schreien, Brechen und Betteln hinweg. Das Stroh fängt auf der Stelle Feuer, brennt rot und orange, begierig darauf, sich zu nähren und zu mehren. Das kann nicht real sein. Es streckt die glühenden Finger in meine Richtung aus, beißt in meine Haut, will sie mir vom Körper reißen. Ein grausiges Stechen fährt durch mein Bein, gräbt sich von dort durch das Rückenmark und lässt mich unkontrolliert aufschreien. Ich strample rückwärts, versuche das Stroh zu löschen, während die Flammen von allen Seiten kommen. Ein Blick zur Seite lässt mich verstummen. Entsetzen, kalt und lähmend, nimmt mir für einige Wimpernschläge die Sicht. Wie flüssiges Wachs tropft der Frau neben mir die Haut vom Körper, den Mund hat sie zu einem endlosen Brüllen aufgerissen, während das Haar wie Zunder brennt. Ein Feuergeschöpf, der Grausamkeit gerade leidend genug. Ich kann nicht mehr atmen. Der Rauch erstickt mich gemeinsam mit diesem Anblick. Meine Augen tränen, während ein weiterer glühender Finger sich in meine Haut bohrt. Ich wimmre auf, ziehe die Knie an die Brust. Das hier ist alles nicht wirklich, nur ein böser Traum. Ich liege in meinem Bett, neben Achim. Er hat die Arme um mich geschlungen und das Gesicht im Schlaf an meinem Nacken vergraben.
Einen Meter von mir entfernt verbrennt keine Frau und ich ersticke nicht an dem Qualm eines mittelalterlichen Feuers. Das hier ist nicht real. Meine Sicht verschwimmt. Der nächste Stich. Dieses Mal kommt er von hinten, leckt meinen Rücken hinauf. Das hier ist nicht wirklich. Vor mir wird empörtes Gebrüll laut. Durch die flackernden Flammen, die mich einschließen und fantasieren lassen, drängt sich eine Gestalt, die ich nicht erkennen kann. Schwarze Namen ziehen sich über helle Haut. Das Kreuz eines französischen Skatblatts wurde auf die Stirn gebrannt. Jemand ruft nach mir.
5
Der harte Aufprall entlockt mir ein Wimmern. Das Brennen eines ungekannten Schmerzes zieht sich über meinen Rücken und mein Fußgelenk. Ich rieche Qualm, stickigen, grausamen Qualm, versetzt mit dem Geruch von schreiendem, flehendem Fleisch, das in Flammen aufgeht. Der beißende Gestank hat sich in meinen Kopf gefressen und verharrt dort, die Finger unnachgiebig in meine Erinnerungen gegraben.
„Himmel, Chrona!“ Achim? Ich reiße die Augen auf und suche verzweifelt sein Gesicht, brauche diese Nähe und Sicherheit, die er mir gibt mehr denn je. Diese Gewissheit, dass das alles nur ein böser Traum war, ich nie aus dem Bett geklettert bin und mir nie fremde Männer die Kleidung vom Leib gerissen haben. Dass man mich nie an einen Baumstumpf kettete und anzündete. Neben mir, um mich herum, sind nie Frauen verbrannt, die nichts getan haben. Die nur dort saßen und denen die Haut vom Körper floss wie Wachs. Das fassungslose Japsen des ungepflegten Mannes. Eyne Hex. Die deutsche Sprache, so entstellt, dass ich sie ansatzweise verstanden habe. Allerdings lediglich der vielen Stunden mit einem guten Lehrer wegen. Nur ein Traum? Nur Einbildung? Nie habe ich mir etwas mehr gewünscht.
Achim klettert aus dem Bett und hockt sich neben mich. Seine Hände fahren meine nackten Arme rauf und runter, bringen wieder Wärme in meinen Körper, während ich versuche mich in seinen erschöpften, blauen Augen zu verlieren. Der Schatten verzweifelter, schmerzerfüllter Schreie kettet mich an die Schmerzen, die kribbelnd und beißend durch meinen Körper rasen. „Wo ist dein Schlafanzug?“, flüstert Achim und streicht mir die Haare aus dem Gesicht. Ich will ihm sagen, dass ich mein Nachtzeug trage, so dringend. Diese Behauptung wäre eine offensichtliche Lüge. Der Pyjama liegt, ordentlich gefaltet, auf einem Stuhl. Der Schrank steht ein Stück offen, einen leeren Kleidersack neben sich. Mein Mantel wurde vom Erdboden verschluckt. Die Zehen tun mir weh. Ich trage Schuhe. Sie stinken bestialisch. Dreck, halb verkrustet, haftet an den schimmernden Riemen, zieht sich über meine Waden und meine Hände. Das Herz springt mir aus der Brust, als ich mein Bein eine Winzigkeit drehe. Brandblasen. Weiß, groß, frisch. Mir wurden nie zuvor welche zugefügt. Ich könnte diese Male keinem Geschehen zuordnen, hätte ich nicht den Gestank von brennendem Fleisch in der Nase und wüsste ich nicht zu gut, dass es nur ein paar Minuten mehr gekostet hätte, damit auch meine Haut wie Wachs vom Fleisch hinabtropft.
Achim schüttelt leicht den Kopf und berührt die dünne Kruste aus Schmutz. „Was ist das?“ Langsam klärt sich sein Blick, die Finger schnippen die dünnen Schuppen aus Erde und Fäkalien von meinem Körper. Ich bringe kein Wort hervor. Das kann nur ein schrecklicher Traum sein. Und er will einfach nicht enden. Ich liege in meinem Bett und schlafe. Das alles spielt sich innerhalb meines Kopfes ab. Das hier geschieht nicht wirklich. Achims Mund öffnet sich nicht in Fassungslosigkeit und ich hocke nicht nur mit Unterwäsche und Schuhen bekleidet vor ihm, Brandblasen an den Knöcheln und am Rücken. Eigentlich drücke ich gerade jetzt den Kopf auf seine Brust, während er einen Arm um mich schlingt. In Wirklichkeit liege ich friedlich schlummernd unter Decken und rätsle, wie dieser Traum entstehen konnte. Wer ihn in meinen dösenden Geist gepflanzt hat. Ich stinke nicht nach Dreck, sondern nach Champagner und gutem Parfum.
„Chrona, was ist das auf deinen Schuhen?“ Alles nur ein Traum. Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und atme gegen mein rasendes Herz an. Gleich schreckt der Wecker mich auf oder mein Kindermädchen. Vielleicht auch eine der Visagistinnen oder Achim selbst. Vermutlich steht er gerade jetzt im Badezimmer und rasiert sich, schenkt mir noch ein paar letzte Minuten Ruhe, bevor ich mich dem Ankleiden und der Gesellschaft widme.
„Chrona“, wiederholt er meinen Namen und zieht sanft aber bestimmt die Hände von meinem Gesicht. „Was ist passiert? Wo warst du?“ Zögernd vergräbt Achim die Nase in meinem Haar. „Du riechst nach flambiertem Fleisch.“ Die Frauen haben geschrien, so laut. So laut! Bis meine Ohren klingelten. Bis ich ihr Leid in meinen Knochen gespürt habe. Es war nur Einbildung. Keine Wirklichkeit. Wir schlafen. Achim schüttelt mich leicht. „Liebste, hörst du mich?“ Ich nicke fahrig und drücke das Gesicht an seine Halsbeuge. Gleich wache ich auf. „Wo warst du?“ Er zeichnet ein Muster an meinen Oberarmen nach. Träge drehe ich den Kopf. Blutergüsse in der Form von Fingern, die sich um meinen Körper geklammert haben. Ich wimmere leise auf. Das ist alles nicht real. Gleich weckt Achim mich. Nichts von dieser Nacht fühlt sich wirklich an. Also ist es nie geschehen. Ich weigere mich das Leiden bei Finsternis als Realität zu begreifen.
„Kannst du mich bitte wecken?“, flüstere ich. Flehend klammere ich mich an Achims Schultern. „Von mir aus kneif mich oder betätige den Wecker, aber ich muss aufwachen.“ Achim runzelt die Stirn. „Hast du Rauschmittel zu dir genommen?“ Ich verstehe nicht, was er meint. „Chrona, eine ganz einfache Frage.” Sein Daumen