Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas
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Читать онлайн книгу Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas страница 15
Mein Kindermädchen spricht mit mir. Das mausbraune Haar fällt ihr in die müden Augen. Wie lange sie letzte Nacht wohl wach war? Als ich bemerke, dass sie auf meine Antwort wartet, richte ich mich auf. „Entschuldige bitte, was hast du gefragt?“ Sie verzieht den Mund. Der Lippenstift wurde nicht sorgfältig entfernt. Dünne Farbspuren, unsichtbar auf die Entfernung, ziehen sich unsauber um ihren Mund. „Woher Ihr diese Brandwunden habt.“ Aus dem deutschen Mittelalter. Der Gedanke lässt mich um ein Haar kichern. „Ich weiß es nicht.“ Oder habe zumindest keine taugliche Erklärung dafür. „Es könnte schwierig werden Euch in dem geplanten Kleid makellos wirken zu lassen“, wirft eine mir unbekannte Angestellte ein. Verbindlich lächle ich sie an. „Ich bin zuversichtlich, dass die Besten dazu fähig sein werden, einige Wunden verschwinden zu lassen. Andererseits sind sie kaum die Besten und sollten ihr Handwerk nicht an mir erlernen.” Meine Aussage ist unmissverständlich. Die Bedienstete presst die Lippen fest aufeinander. Blicke werden getauscht, deren Bedeutungen mir momentan gleichgültiger nicht sein könnte. Es dauert Ewigkeiten, bis der Großteil der Angestellten das Badezimmer verlassen haben und mich mit einem Zimmermädchen alleinlassen.
„Ich habe einen Brief für Euch erhalten”, sagt es. „Er lag auf der Schwelle zu Ihrem Apartment.“ Stur betrachte ich mein Spiegelbild. Ich möchte die Zeilen nicht lesen. Nichts weiter als mein Name prangt auf dem blütenweißen Umschlag. Nummer sieben und allein bei dem Gedanken an den möglichen Inhalt dreht sich mir der Magen um. Die ersten Worte des gestrigen Briefes stehlen sich in meine Erinnerung.
Der Mond treibt mich zur Turmuhr. Oh schlüge sie die Stund, oh kämest du, mein Engel, hinab vom Himmel.
Haftet der Gestank von verbranntem Fleisch noch immer an mir? Das Wasser ist aus der Wanne gelaufen. Vereinzelte rote, duftende Striemen sind auf der hellen Oberfläche zurückgeblieben. Gemeinsam mit einem einsamen Strohhalm.
„Ich lasse Euch einen Moment allein“, sagt die Angestellte. Sie knickst vor mir. Meine verlängerten und neu modellierten Fingernägel kratzen an dem Papier und reißen es auf. Der Inhalt ist vergilbt. Die Handschrift lässt mich stutzen. Handelt es sich um meine eigene? Unmöglich. Ich zittere am gesamten Körper, als ich zu lesen beginne, atemlos und restlos aus dem Konzept gebracht. Nie habe ich einen Brief geschrieben und ihn an mich adressiert. Eine kranke Fälschung?
„Es wird für mich schwer werden, das Folgende nachzuvollziehen. Der Gedanke mir die Vorfälle selbst zu erklären, imponierte mir. Schlussendlich ist es simpel: Manche Flüche sind die größten Geschenke und ich wünsche mir nichts, als dieses Geschenk in das zu verwandeln, was es tatsächlich ist. Ich kann versichern, dass mir lediglich bei meinem ersten Sprung ernstzunehmende Verletzungen zugefügt wurden. Jede Zeit beinhaltet ihren eigenen Zauber und ihre eigenen Tücken. Die Kontinuität zu erkennen und die Sprünge zu lenken, ist das Ziel, bei dem ich tatkräftige Unterstützung finde. Ich bringe die Bitte an, dem zu vertrauen, der es bei dem nächsten Vorfall dieser Art anbietet. Was ohne diese Unterstützung geschieht, will ich nicht erfahren müssen. Es ist seine ganz eigene Qual zu wissen, dass jede neue Entscheidung alles bis hierher Erlebte in ein neues, kaum verständliches Licht rücken wird, weswegen Affekte dringend zu vermeiden sind. In keiner Zeit werde ich allein sein. Die Sprünge sind nichts, was gefürchtet werden muss. Man sollte über sie schweigen.“
Keine Unterschrift. Sie ist nicht notwendig. Das hier ist meine Schrift. Diesen Ausdruck erlernte ich mühsam durch meine Eltern und Achim. Dieser Brief ist der Beweis dafür, dass jemand ein grausiges Spiel mit mir treibt. Ich würde diesen Wortlaut wählen. Allerdings würde ich argumentieren. Wäre ich daran interessiert, mir selbst einen Sachverhalt zu erläutern, täte ich es verständlich und fundiert. Wer auch immer das hier verfasst hat, wünscht sich, mich in den Wahnsinn zu treiben. Diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun. Ich straffe die Schultern. Meine Eltern müssen von diesem Brief erfahren.
Eine Strafanzeige muss erstattet, mein Blut auf Spuren von möglichen Rauschgiften untersucht werden. Ich weigere mich das momentane Geschehen tatenlos hinzunehmen. Die unumstößlichen Fakten liegen auf dem Tisch: Jemand muss mich betäubt und verbrannt haben, um mir genau die Verletzungen zuzufügen, die in meinem verworrenen Hirn Gestalt angenommen haben. Wer weiß, was diese Person als nächstes vorhat. Wurden Fotos geschossen? Wenn an die Öffentlichkeit gelangt, wie ich in Unterwäsche und Schuhen bekleidet dasitze, sind sinkende Kurse mein geringstes Problem.
Nichts könnte mein vorheriges Image wiederherstellen.
Sollten Bilder von mir existieren, wie ich zugedröhnt auf dem Boden kauere, wird meine künftige Hochzeit noch weiter in den Hintergrund rücken als ohnehin schon. Diese Form eines Rauschgiftskandals, dessen Gesicht ich wäre, dürfte man nicht an Achim binden. Nicht nur mein Ruf würde leiden. Auch seiner. Von der Person, die diese Fälschung verfasst hat, hängt vieles ab. Mein Wohl, mein Leid, die unbeantwortete Frage, ob ich erneut fantasieren werde und neue Wunden davontrage. Wie sehr muss man einen Menschen hassen, um ihm diese Form der Qualen zuzufügen? Vermutlich war ich gestern Nacht zu betrunken, bin deswegen auf die Straße gegangen. Dort wurde ich abgefangen, unter Drogen gesetzt, misshandelt und letzten Endes unbemerkt zurück in dieses Apartment getragen, in dem Achim mich fand. Was soll ich Achim erzählen? Wie ihm das Ganze erklären? Sollte er von meinen Vermutungen erfahren? Wenn es jemanden gibt, der den passenden Anwalt und den Täter finden kann, dann ist er es.
Wann immer ich Hilfe benötige, soll ich mich an ihn wenden. Achim bat mich selbst darum. Meine Eltern wiesen mich auf diese Möglichkeit hin. Der Mann an meiner Seite ist ein brillanter Jurist. Ich sollte das für meine Zwecke nutzen. Um noch einen Vorfall dieser Art zu vermeiden.
Aber wann in den nächsten Stunden soll ich diese Problematik mit Achim thematisieren? Zu bald müssen wir in den Wagen steigen, der uns zu dem Brunch fährt.
Das erste Mal in meinem Leben fühle ich mich nicht bereit dazu. Dieser Brief zerstört mich. Dieses Erlebnis, an das ich mich nicht einmal richtig erinnere, es zersetzt mich. Was von diesen Eindrücken zurückgeblieben ist, könnte mich ruinieren.
Ein leises Klopfen an der Badezimmertür. „Darf ich Euch bitten, zu uns zu stoßen?“ Das Holz verzerrt die Stimme des Zimmermädchens. Meine Finger zittern erbärmlich, während ich den Brief zusammenfalte. Wohin damit? Jetzt kann ich ihn niemandem vorzeigen. Wer weiß, ob die Presse davon Wind bekommt. Es bräuchte einen ruhigen Moment und diese sind rar. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für diesen Brief, auf keinen Fall. Das Risiko, dass das Geschriebene gefunden wird, bleibt unkalkulierbar, und die Gewissheit, dass mir in naher Zukunft ein weiteres Exemplar zugestellt werden wird, ist kaum in Worte zu fassen.
Von allein betätige ich den Wasserhahn und durchweiche den Briefbogen, beobachte, wie die Tinte in blauen Schlieren durch den Abguss wandert und das Papier flockig hinterherschwimmt.
„Einen Moment.“ Ich muss die Ruhe wiederfinden, die ich für gewöhnlich in mir trage, sonst wird der heutige Vormittag ein Fiasko. Der Rock des Kleides, das sie mir routiniert anzogen wie einer Schaufensterpuppe, bauscht sich um meine Beine. Die Blasen an meinen Knöcheln wurden geöffnet und überdeckt. Ich kann mich an diese mit Sicherheit schmerzhaften Handgriffe nicht mehr erinnern. Die für das Kleid angefertigten Schuhe werden draußen auf mich warten. Ebenso wie Achim.
Er schenkt mir ein schwaches Lächeln, als ich mich zu ihm und den Mädchen geselle. Sie haben das Bett bereits gemacht und das Fenster zum Lüften angekippt. Eine von ihnen – ich habe sie bisher zwei, drei Mal gesehen – beeilt sich, mir meine Schuhe zu bringen und anzuziehen. Sie sind vorne geschlossen. Niemand wird die aufgerissene Nagelhaut um meine Zehen herum sehen können.
Achims dargebotenen Arm nehme ich dankend an. Hilfesuchend lehne ich mich an ihn, während die Türen des Aufzugs aufgleiten. Mit diesem Fahrstuhl