Von der erschöpften Frau zum schöpferischen Frau-Sein. Dorit Stövhase-Klaunig
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Vorwort
Wenn im Körper die ganze Geschichte der Menschheit ihre Spuren hinterlassen hat, ist die leibliche Selbsterfahrung ein Zugang, um wahrhaftige Erkenntnis über sich selbst und über die kollektive Lebensgeschichte der Menschheit zu erfahren. Die Erinnerungsspur geht zurück bis zur großen schöpferischen Mutter in der Gebärmutter einer Frau. Die Tür dorthin öffnet sich durch eine offenherzige und leidenschaftliche Hingabe zum eigenen Körper. Es geht um eine sinnlich-sexuelle Verbindung zwischen Gebärmutter und Herz, um das göttliche Kind in einer spirituellen Geburt über das Herz zu gebären und sich selbst über den „Geburtskanal“ des Halses zum Ausdruck zu bringen. Dieser Selbstausdruck ist die Präsenz und Energie, die über das „ich bin“ ausstrahlt und über das Dritte Auge den Blick in das „Buch des Lebens“ möglich macht. Es ist die Chance, die Vision meines Lebens zu erkennen, jenes Potential, mit dem ich geboren wurde und was in direkter Verbindung steht mit dem Dritten Auge, dem Herzen und dem schöpferischen Potential der Gebärmutter. Vergleichbar ist diese tiefe Verbundenheit mit der Dreiheit von der Großmutter (Gebärmutter), der Mutter (Herz) und dem göttlichen Kind (Drittes Auge). Es ist jener weibliche Urzustand, in der die Dreiheit zu einer Einheit in menschlicher Form wird, eine Verbundenheit, die das blühende Leben im Ganzen hervorbringt. Dieses weibliche Aufblühen ist das Ergebnis eines beständig wachsenden Prozesses, indem die Wirbelsäule und mit ihr der ganze Lebensfluss und Lebenslauf durchlässig wird für die feinstoffliche Essenz. Das Leben entwickelt sich im Ganzen bis zu jenem Wendepunkt im Leben, an dem die Türen zum Leben und gleichzeitig zum Tod offenstehen. Diese innere Lebendigkeit im Lebensfluss schafft dann die wundervolle Möglichkeit, die Vision des eigenen Lebens zu leben und die Schöpfung mitschöpfend zu gestalten. Das bedeutet, die eigene Vision in ein sichtbares Handeln zu bringen, um Einfluss zu nehmen am schöpferischen Prozess. Es sind die Früchte der „Arbeit“ an sich selbst, die sich aus der Blüte formen, Gestalt annehmen und in Dankbarkeit für das Dasein als Gabe einfach abfallen.
Durch meinen leiblichen Erfahrungs- und Erkenntnisweg entwickelten sich zehn wundervolle magische Übungen, die körperliche, emotionale, mentale und spirituelle Zusammenhänge erkennen lassen und spürbar machen können. Diese Übungen habe ich in diesem Buch detailliert beschrieben. Sie sind über einen QR-Code auf www.youtube.com zu finden. Der QR-Code steht am Anfang jeder Übungsbeschreibung in diesem Buch. Für die Praktizierenden können dadurch energetische Verbindungen spürbar werden, die tiefere Zusammenhänge verstehen lassen, Energien bewegen und ausbalancieren. Durch diese Übungen kann eine innere Tiefe erreicht werden, die an das alte verborgene Wissen über die schöpferische Kraft des Weiblichen erinnert. Dieses verborgene innere Wissen kann mit Bildern und Symbolen der Natur in Verbindung gebracht und verankert werden. Erinnerungen, die durch leibliche Selbsterfahrung spürbar werden, können die Menschen wachrütteln, um die alten Vorstellungen und Glaubenssysteme des Weiblichen zu erlösen und in ein neues aufblühendes Weibliches zu transformieren. Denn es ist jetzt die Zeit der Wandlung, in der das schöpferische Potential in uns selbst erkannt wird, jenes Potential, sich in dieser realen Welt verantwortungsvoll und mitschöpfend einzubringen, sie aktiv mitzugestalten und Wundervolles entstehen zu lassen.
Die Sehnsucht nach der göttlichen Mutter
Die Große Mutter und ihre Kinder
Die weibliche Göttin erfährt die Frau selbst in der Höhle ihrer leiblichen Gebärmutter. Wir erfahren sie in der eigenen leiblichen Tiefe, erleben sie aber auch wie eine ausstrahlende Sonnengöttin an der Spitze des Dritten Auges. Sie leitet und führt das Körperland drinnen wie draußen. Sie ist die Königin, ursprünglich die Hohepriesterin, die Stellvertreterin der Göttin. Der König ist ihr irdischer Vertreter, der mythische Jünglingsgeliebte der Göttin. Er wird von ihr erwählt und ausersehen zum Vollzug der Heiligen Hochzeit. Erst dann galt beispielsweise der sakrale König als inthronisiert, während der Thron selbst in weiblicher Linie blieb. In vielen göttlichen Paaren, wie dem sumerisch-babylonischen Paar Inanna und Tammuz, Kybele und Attis oder Astarte und Adonis vereint sich die Große Göttin mit dem jeweiligen Vegetationsgott, der als jugendliche Gestalt nur ein kosmisches Jahr durchlebt, um mit dem Ende der Vegetationsperiode zu sterben und im Frühling als junger Gott wiedergeboren zu werden. Da die Große Göttin die Mutter aller Götter und Menschen ist, sind auch ihre göttlichen oder menschlichen Partner allesamt ihre Söhne. Sie steht über ihnen. So gesehen macht es auch Sinn, dass beim königlichen Schachspiel die mächtigste und handlungsfähigste Figur die Königin ist, während der König bloße Repräsentationsfigur bleibt. Die handelnden Staatsangelegenheiten erfüllte sowohl in Ägypten als auch in Sumer/Babylon die eigentliche Staatsgöttin, die weibliche Priesterschaft. Bis zum gewaltsamen Untergang der Paläste blieben die höchsten Priesterämter immer den Frauen vorbehalten. Bei dieser vordergründigen Stellung der Frau fiel die Anpassungsleistung mehr den Männern zu, was in einem der ältesten Bücher der Welt, den Maximen des ägyptischen Philosophen Ptahhotep deutlich zum Ausdruck kommt.1 „Liebe dein Weib“, heißt es darin, „sei zärtlich zu ihr und erfülle alle ihre Wünsche, solange du lebst, denn sie ist ein Besitz, der viele Vorteile bringt. Beobachte, was sie wünscht und wonach ihr der Sinn steht, denn dadurch wirst du sie dazu bringen, bei dir zu bleiben. Wenn du dich gegen sie stellst, wird es dein Ruin sein.“2 In einem sumerischen Text heißt es dazu: „Auf das Wort deiner Mutter richte deinen Sinn wie auf das Wort Gottes.“3 Noch deutlicher wird die weibliche kosmische Urkraft im chinesischen Tao und in Gestalt der indischen Shakti. Dazu kommt die ursprünglich größere magische Autorität der Frau als schamanische Priesterin. Ihrem Status als der „von Natur aus Wissenden“ hatte der irdische Mann nichts Entsprechendes entgegenzustellen. Der Mann blieb in der sogenannten Sohnesrolle. Er hat sich nie aus der fürsorglichen Macht der Mütter befreit, sondern blieb äußerlich, und mehr noch innerlich, von ihr abhängig. Er hat die Frau zwar als „Muttersklavin“ beherrscht, aber er konnte nie ohne ihre Nähe und ohne ihre Zuwendung leben. Er hat sich auf Kosten der Frau und auf Kosten unterworfener Sklaven, durch die Erfindung immer raffinierterer Techniken und Maschinen von der gleichförmigen Arbeit des Lebensunterhalts und dem Tun des täglichen Lebens wegbewegt. Er hat sich hinbewegt zu einer religiös-philosophischen Übersteigung des Lebens durch eine abgehobene geistige Existenz. Diese Abkehr vom natürlichen Leben ist der heroische Versuch des Mannes, auf abenteuerliche materielle oder geistige Weise die Natur und den Tod zu transzendieren. Ein Versuch, damit der Tod seine Macht über die Menschen verliert, sowohl in der Suche nach dem Unsterblichkeitskraut durch die Alchemie als auch in der Entwicklung lebensrettender Medikamente durch die moderne Medizin wie auch im religiösen Glauben an eine persönliche Unsterblichkeit. Da diese Rechnung nicht aufgeht und die Herrschaft des Menschen über die Natur durch Wissenschaft und Technik an ihre Grenzen stößt, erleben wir derzeit eine ganz besondere Zeit, in der wir echte Tiefe leiblich erfahren. Eine Tiefe, die zurück führt über die Beziehung zur eigenen Mutter und schließlich zur göttlichen Großen Mutter. Dazu ist es erforderlich, in den ursprünglichen Schöpfungsmythos einzusteigen und sich die Schicksalskräfte bewusst zu machen, um zu verstehen, was für eine tiefe Sehnsucht nach Einheit und Individualität in der Menschheit liegt.
Der Schöpfungsmythos – Enuma Elisch
Enuma Elisch ist der babylonische Schöpfungsmythos. Die ersten Götter Babylons Anshar und Kishar waren Nachkommen der Urkräfte Apsu und Tiamat. Apsu symbolisiert die männliche Seite, das Süßwasser unter der Erde. Tiamat symbolisiert die weibliche Seite der Urkräfte und das Salzwasser, das die Erde umgibt. Als sich die Wasser der beiden vermischten entstanden daraus Lachmu, Lachamu und Kingu, von denen alle anderen Götter abstammen. Enuma Elisch beschreibt die Kämpfe und Verwicklungen der jungen Götter untereinander. Die jungen Götter streiten ständig mit den alten und schließlich beschließt Apsu (Tiamats Gatte), die jüngeren