Patricia Vanhelsing Sammelband 5 Romane: Sidney Gardner - Übersinnlich. Alfred Bekker
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Читать онлайн книгу Patricia Vanhelsing Sammelband 5 Romane: Sidney Gardner - Übersinnlich - Alfred Bekker страница 22
Hass fühlte er in sich aufsteigen. Lady Mary hatte ihm den Menschen genommen, der ihm am meisten bedeutete. Bilder stiegen vor seinem inneren Auge auf. Jener Augenblick, als sie sich das erste Mal in der Redaktion der LONDON EXPRESS NEWS begegnet waren und er sie beinahe umgelaufen hatte. Der Blick ihrer Augen... Erinnerungen an Augenblicke voller Zärtlichkeit, an den Geschmack ihrer Lippen und den Schlag ihres Herzens, den er nahe bei sich gespürt hatte. Im ersten Moment war ihm alles gleichgültig. Er wollte sich auf das Monstrum stürzen, zu dem Mary geworden war. Aber dann hielt er doch inne.
Es hatte keinen Sinn. Er konnte sie nicht angreifen. In ihrer eigenen Welt schien sie mehr oder minder unverletzlich zu sein. Ihre dämonisch leuchtenden Augen schienen ihn kalt und unbeteiligt zu mustern.
Das drohende Knurren drang wieder über ihre Lippen. Aber der übergroße Mund mit den auf groteske Weise verlängerten Zähnen schloss sich nun.
Tom Hamilton stand wie erstarrt da.
Und Lady Marys grotesk verzerrte Gestalt verwandelte sich zurück. Die Auswüchse an ihrer Stirn schrumpften und der tierhafte Mund verkleinerte sich wieder. Sekunden nur und und das elfenbeinfarbene Gesicht war wieder in seiner alten Schönheit hergestellt.
Einer kalten Schönheit.
Das grelle Leuchten verschwand aus ihren Augen. Die Lichtaura, die sie bis jetzt umgeben hatte ebenfalls.
"Du hast sie getötet!", stellte Tom bitter fest, während sein Blick zu Boden glitt.
Das grauweiße Pulver, das noch von Patti geblieben war, löste sich nun ebenfalls auf. Es schien einfach zu verschwinden. Jener seltsame, kalte Wind, der aus dem Nichts zu kommen schien, verwehte den letzten Rest. Es war so, als hätte es sie nie gegeben. Nichts würde von ihr bleiben. Nicht ein Staubkorn.
"Du bist jetzt frei!", sagte Mary auf eine Weise, die ausdrückte, dass sie das völlig ernst meinte. "Du bist frei, Tom! Sie hat dich keinen klaren Gedanken fassen lassen und deine Seele verwirrt. Aber nun wirst du erkennen, wohin du wirklich gehörst..." Sie lächelte, umrundete den Tisch und trat auf Tom Hamilton zu.
*
"DU BIST WAHNSINNIG, Mary!", stieß Tom hervor.
"Wahnsinnig vor Liebe!", erwiderte sie. "Gestern Nacht waren ihre Kräfte noch zu stark. Ich konnte ihr nichts anhaben unter anderem natürlich auch deshalb, weil du so töricht warst, dich zwischen sie und jene Mächte zu stellen, die Patricia Vanhelsing aus dieser Welt verbannen sollten..."
"Du sprichst von dem Monstrum aus dem Teich."
"Eine andere Gestalt meiner selbst", erwiderte sie. "Bewegt einzig und allein durch die Kraft meines Geistes. So wie alles hier..."
Leben kam jetzt in die als starre Mumien dasitzenden Gäste - wenn das vielleicht auch nicht ganz das richtige Wort war. Sie bewegten sich, wandten die Köpfe, hoben die Arme und standen schließlich auf. Rau kratzen die Füße der Stuhlbeine über den steinernen Boden. Die grauweiße Schicht aus Spinnweben, die aussah, als hätte sie sich in vielen Jahren Stück um Stück gebildet, verschwand innerhalb von Augenblicken.
Sie scheint wirklich selbst die Zeit beherrschen zu können, ging es Tom Hamilton schaudernd durch den Kopf. Anders war das, was vor seinen Augen geschah, nicht zu erklären. All diese Menschen starrten Tom an. Sie verteilten sich im Raum. Tom wich noch etwas zurück, doch ehe er sich versah umgaben sie ihn in einem Halbkreis.
Lady Mary lächelte.
Im selben Moment sah er das gleiche kalte Lächeln auf allen anderen Gesichtern.
Es war gespenstisch.
"Ich kann dir hier jeden Wunsch erfüllen, Tom! Jeden!", sagte Mary dann.
Und Dostan Radvanyi, jener begnadete Pianist, dem sie am vorhergehenden Abend im Salon gelauscht hatten, fügte hinzu: "Die Macht meines Geistes ist hier unbegrenzt, Tom..." Radvanyi lachte schallend, als er die Verwunderung in Toms Gesicht sah. "Ja, auch ich bin nur eine Maske, Tom. Hinter all dem steht nichts anderes, als der Geist von Mary Delancie!"
Jetzt meldete sich eine der Damen zu Wort, die zu der Gästegesellschaft gehörten. "Du solltest aber auf keinen Fall auf den Gedanken kommen, dich gegen mich zu stellen!"
"Ich kann mit dir jederzeit mit Leichtigkeit dasselbe tun, wie mit Patricia!", kam es jetzt wieder über Mary eigene Lippen. Aber auch all das, was zuvor gesagt worden war, war ihrer Seele entsprungen. Fast zwei Dutzend Augenpaare starrten Tom an.
"Du hast schon einmal davor zurückgeschreckt!", erinnerte Tom sie.
"Du sprichst von gestern Nacht."
"Ja."
"Verlass dich nicht darauf, dass das immer so sein muss!" Ihr Gesicht bekam einen säuerlichen Ausdruck. "Liebe verwandelt sich mitunter auch in Hass, Tom! Daran solltest du immer denken!"
Eine Drohung!, durchfuhr es Tom. Es war eine unverhohlene Drohung. Er war ein Gefangener und es schien keinen Ausweg zu geben. Und keine Macht, die es mit der ihren hätte aufnehmen können.
"Was ist mit Willard?", fragte Tom dann plötzlich. "Ist er auch nur ein Produkt deines Geistes? Hast du ihn ebenso unter Kontrolle wie alles andere?"
"Natürlich", flüsterte sie.
"Dann zeig es mir!", forderte Tom. "Ruf ihn her! Zeig mir, dass du ihn so unter Kontrolle hast, wie alles andere! Ich glaube dir nämlich nicht!"
Für einen Augenblick begann sich Marys Gesicht wieder zu verformen. Es verzog sich zu einer grimmigen, wütenden Maske. Ein fauchender Laut ging von ihr aus.
Gleichzeitig schien sich Dostan Radvanyis Gesicht für einen Moment zu verwandeln.
Für Sekunden nur zeigte sein Kopf das Antlitz von Willard Delancie, so wie Tom es bei dem Reiter gesehen hatte. Doch das währte nicht länger als einen Augenaufschlag, dann war der alte Zustand wieder hergestellt. Ein Schrei der Wut ging über Marys Lippen.
Tom machte ein paar schnelle Schritte und war bei der Tür. Er riss sie auf, stieß den Butler zur Seite, der dahinter zum Vorschein kam und rannte den langen Flur entlang. Dann hatte er die Eingangshalle erreicht.
Er blickte sich kurz um, riss die Tür auf und trat hinaus auf die Stufen des Portals. Der Nebel schien noch dichter geworden zu sein.
Die Kälte war unmenschlich.
Er lief die Stufen hinab.
Ich habe es mir gedacht, schoss es ihm durch den Kopf. Sie kann Willard nicht kontrollieren!
Woran auch immer das liegen mochte. Ihr Geist steckte in dieser seltsamen Zwischenwelt hinter allem. Hinter fast allem. Sie schien nicht allein hier zu sein.
Ich muss Willard finden!, dachte Tom. Vielleicht konnte er ihm helfen.
Er lief in den Nebel hinein.
Niemand folgte ihm.