Patricia Vanhelsing Sammelband 5 Romane: Sidney Gardner - Übersinnlich. Alfred Bekker

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diese Möglichkeit natürlich nicht. Und dann war da noch ein anderer, schrecklicher Gedanke, der langsam aber sicher an die Oberfläche meines Bewusstseins stieg, obwohl ich ihn weiß Gott lieber unter der Oberfläche gehalten hätte.

      Was, wenn du die Kontrolle verlierst, Patti?

      Das Grauen erfasste mich und legte sich wie eine eisige Hand um mein Herz. Das Gefühl von Enge und tödlicher Bedrohung machte sich in mir breit. Ein Gefühl, als ob ich dem Ersticken nahe war. Ich atmete tief durch.

      Du wärst nicht die erste, die über eine außersinnliche Begabung verfügt und daran zerbricht, rief ich mir ins Gedächtnis.

      In Tante Lizzys Archiv fanden sich Dutzende von Pressemeldungen und Berichte über derartige Fälle. Menschen, die über besondere, parapsychische Begabungen verfügt hatten, dann in die Fänge von Geheimdiensten oder okkulten Zirkeln geraten waren und schließlich mehr oder minder wahnsinnig geworden waren.

      Es war ein schmaler Grad, auf dem ich wandelte. Nicht erst seit heute.

      Aber zuvor war es mir meistens nicht so bewusst gewesen. Ich blickte in den grauen Regen.

      Meine Kleider klebten mir am Leib, und ich musste niesen. Es hat keinen Sinn!, durchzuckte es mich. Ich gab mir einen Ruck, drehte mich herum und ging in Richtung meines 190er Mercedes.

      Und doch...

      Wer war sie?

      Diese Frage blieb.

      Und während ich Schritt für Schritt vorwärts ging, hatte ich das Gefühl, als würde ich im selben Moment beobachtet... Ich glaubte, den Blick eines totenblassen Gesichts auf meinem Rücken spüren zu können. Ich drehte mich herum, aber da war niemand zu sehen.

      Ein Unbehagen blieb...

      Ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend. Und die Ahnung, dass ich die bleiche Lady nicht zum letzten Mal gesehen hatte...

      *

      ALS ICH ZU HAUSE EINTRAF, stand ein Wagen in der Einfahrt von Tante Lizzys Villa. Es war der Lieferwagen eines Schreinermeisters und ich fragte mich, wofür Tante Lizzy ihn wohl bestellt haben mochte. Das Parkett in der Bibliothek sah nicht mehr besonders gut aus, aber wenn es ausgewechselt werden sollte, bedeutete das unter anderem auch, dass sämtliche Bücher in der Zwischenzeit anderswo gelagert werden mussten. Und das konnte ich mir nun beim besten Willen nicht vorstellen.

      Erstens befanden sich in Tante Lizzys Sammlung okkulter Literatur so seltene und kostbare Lederfolianten, dass ich mir kaum denken konnte, dass Tante Lizzy sie etwa im Keller zwischenlagern würde. Zumal sie einen Großteil dieser Bücher selbst liebevoll restauriert hatte! Und zweitens füllte Tante Lizzys Sammlung so gut wie die ganze Villa aus und selbst im Keller wäre kaum noch genügend Platz gewesen.

      Meine okkultfreie Zone!, ging es mir dann siedendheiß durch den Kopf.

      Vielleicht hatte Tante Lizzy daran gedacht, die Stapel von staubigen Büchern in der Zwischenzeit in meinen Räumen zu lagern!

      Ich dachte mit Schrecken daran.

      Der Staub würde mich vermutlich unablässig niesen lassen. Ich ging zur Haustür, trat ein und ging den Flur entlang. Aus der halboffenen Tür zur Bibliothek hörte ich die Stimmen von Tante Lizzy und einem Mann.

      Ich kam näher, blickte durch den Spalt und sah, wie beide sich an dem eigenartigen antiken Schreibtisch zu schaffen machten, den Tante Lizzy vor einiger Zeit erworben hatte. Der Schreibtisch hatte an den Ecken jeweils furchteinflößende Schnitzereien. Köpfe mit zahnbewehrten, weit aufgerissenen Mäulern, die groteske Kreuzungen zwischen menschlichen und tierischen Elementen zu sein schienen. Angeblich sollte sich im Inneren dieses antiken Stücks ein Geheimfach befinden und Tante Lizzy versuchte schon seit längerem vergeblich, dessen Geheimnis zu lüften. Bislang war ihr das allerdings trotz aller Mühe nicht gelungen.

      Offenbar hatte sie sich nun einen Spezialisten ins Haus geholt, der zumindest etwas mehr von Möbelstücken verstand, als sie selbst.

      Der Tischler hantierte an dem guten Stück herum, und Tante Lizzy zeterte lautstark herum. Sie befürchtete offenbar, dass der Tischler zu grob damit umging und eventuell die kostbaren und in ihrer Skurrilität wirklich einzigartigen Schnitzereien beschädigt würden.

      "Mr. Groves! So seien Sie doch etwas vorsichtiger!"

      "Ma'am, ich gehe seit Jahrzehnten mit Holz um und habe noch nie etwas kaputtgemacht!"

      Tante Lizzy seufzte hörbar. "Ich habe ein schwaches Herz, Mr. Groves, und Sie müssen schon entschuldigen, aber es fällt mir sehr schwer, mitanzusehen, wie Sie mit diesem guten Stück umgehen..."

      "Wie ein Fachmann, Ma'am!"

      "Mr. Groves..."

      "Das ist ein Stück Holz, Ma'am. Kein zerbrechliches Baby!" Ich wandte mich vom Türspalt ab und ging möglichst geräuschlos nach oben, wo meine Räume lagen. Ich zog mir die nassen Klamotten aus, duschte mich und stand dann schließlich vor meinem Kleiderschrank.

      Mein Gott, was soll ich nur anziehen?, fragte ich mich. Mein Blick ging zur Uhr. Acht Uhr rückte unaufhaltsam näher. Und dann wollte Tom mich ja schließlich abholen. Ich seufzte, nahm eines der Kleider aus dem Schrank, hielt es mir kurz an und warf es dann auf das Bett. Ich wusste genau, dass keine zehn Minuten vergehen würden, bis sich dort ein ganzer Garderobenberg gebildet hatte...

      Das Rote? Das Lindgrüne?

      Ich hielt plötzlich inne.

      Eine Erinnerung tauchte wie ein Schlaglicht in mir auf. Ich sah die bleiche Lady vor mir, wie sie im Regen stand und doch nicht nass wurde. Ein kalter Schauder überkam mich unwillkürlich, und ich wünschte mir in dieser Sekunde nichts so sehr, als mir nur darüber Sorgen machen zu müssen, ob ich für heute etwas Vernünftiges zum Anziehen finden würde... Mit unerbittlicher Gewalt drängten sich dann Bilder vor mein inneres Auge.

      Bilder, für die meine Gabe verantwortlich war. Ich spürte es ganz deutlich.

      Eine Vision!

      Wieder sah ich die blassgesichtige Frau vor mir. Im Hintergrund ein düsteres Gemäuer. Ihr bleiches Gesicht spiegelte sich in einem dunklen Teich.

      Die junge Frau schmiegte sich an die breite Brust eines dunkel gekleideten, aristokratisch wirkenden Mannes mit schmalem Oberlippenbart.

      Ich sah die Augen dieses Mannes vor mir.

      Sie waren grüngrau.

      Ein Schrecken durchfuhr mich.

      Nein!

      Ich musste schlucken und zitterte.

      Tom...

      Es war nicht sein Gesicht, nur seine Augen und sein Blick. Ja, er war es. Ich fühlte es.

      Dann war alles vorbei. Die Vision war verflogen wie ein böser Traum. Ich stand verwirrt da, fühlte mich ein wenig schwindelig. Und dabei fragte ich mich, was Tom mit dieser bleichen Lady zu tun hatte, die mich bis in

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