Sonst brichst du dir das Herz. Susanne Mischke

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Sonst brichst du dir das Herz - Susanne Mischke

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über die stoppelige Schafweide rannte, begleitet vom Schatten des Falken.

      Rosa saß in ihrem bekleckerten Malkittel auf den Stufen des Hauseingangs. Ein paar drahtige Locken hatten sich aus ihrem Haarknoten gelöst und neben ihr, am Treppengeländer, lehnte die Schrotflinte. Der Topf mit dem Rosmarin war heruntergestürzt, aber das schien sie nicht zu stören. Sie hielt eine Zigarette in ihrer rechten Hand, die ein wenig zitterte, und stieß eine Rauchwolke nach der anderen aus. Sie hatte auch allen Grund, nervös zu sein.

      Mitten im Hof lag ein toter Mann. Dass er tot war, erkannte Valeria sofort, denn seine Augen blickten starr in den gleißenden Sommerhimmel, was ein lebendiger Mensch gar nicht ausgehalten hätte. Zudem hatte sich sein Hemd mit Blut vollgesogen. Blut rann auch von dem kraterartigen Loch in seiner Brust auf die hellen Steinplatten und drang in die Ritzen, aus denen Moos und winzige Blumen wuchsen.

      Als Rosa Tomaso ihre Tochter bemerkte, drückte sie hastig die Zigarette aus und wedelte den Rauch beiseite. Dann umfasste sie den Lauf der Schrotflinte und zog sich mit beiden Händen daran hoch, als wäre die Flinte eine Krücke und sie selbst eine müde, alte Frau. In Wirklichkeit war sie zweiundvierzig, schlank und beweglich wie eine Stahlfeder und auch genauso zäh. Ihr hageres Gesicht hatte keine Falten, sah aber trotzdem nicht mehr jung aus. Nein, an Rosa Tomaso war nichts Weiches, aber auf ihre herbe Art war sie sehr schön. Aus der Tasche des Malkittels lugte der geriffelte Griff einer Waffe hervor. Die musste dem Toten gehört haben.

      »Liebes, geh rauf in dein Zimmer und zieh dir was Altes an.«

      Valeria hatte bis jetzt nur dagestanden, die Hände auf den Mund gepresst, so als hätte ihr jemand verboten zu schreien. Und tatsächlich hatte sie bis jetzt noch keinen einzigen Ton von sich gegeben. Es war das erste Mal, dass sie einen echten Toten sah, und sie wusste einfach nicht, wie sie reagieren sollte. Die klare, in ruhigem Tonfall vorgebrachte Anweisung ihrer Mutter wirkte jedoch einigermaßen beruhigend auf sie. Trotzdem schlug Valeria, als sie auf das Haus zuging, einen weiten Bogen um den Erschossenen, aus der irrationalen Furcht heraus, der Leichnam könnte sich vielleicht wie im Horrorfilm doch noch bewegen und nach ihren Fesseln greifen. Vor den Eingangsstufen bückte sie sich nach dem Rosmarin und stellte die Pflanze wieder zwischen die anderen Kräutertöpfe, die am Rand der Stufen Spalier standen. Der Topf hatte einen Sprung, hielt aber noch zusammen. Valeria fragte sich, ob sie je wieder in der Lage sein würde, auf den Stufen zu sitzen oder den Hof zu betreten, ohne dabei diesen Toten vor Augen zu haben.

      Sie schaffte es die Treppe hinauf und bis in ihr Zimmer. Erst dort zog es ihr die Beine weg und sie ließ sich aufs Bett fallen. Ihr Atem ging stoßweise, ihr war übel und sie zitterte, als hätte man sie gerade aus eiskaltem Wasser gezogen. So lag sie einige Minuten im Dämmerlicht der geschlossenen Fensterläden. Jetzt nur nicht durchdrehen! Dies war die Gelegenheit, Rosa zu beweisen, dass sie kein Kind mehr war, sondern fast erwachsen. Siebzehn. In dem Alter riss man sich zusammen. Ihre Mutter hatte sicher keine andere Wahl gehabt, als den Mann zu erschießen. Bestimmt war er ein Einbrecher, ein Vergewaltiger, ein … nun, jedenfalls konnte er keine guten Absichten gehabt haben. Warum sonst hatte er den Wagen am alten Schafstall stehen lassen? Und dann diese Waffe, die aus Rosas Malkittel herausgeschaut hatte ... Obgleich Valeria und ihre Mutter in letzter Zeit nicht immer einer Meinung gewesen waren, so zweifelte Valeria dennoch nicht im Geringsten an Rosa als moralischer Instanz.

      Ganz sicher hatte sie in Notwehr gehandelt. Ganz sicher gab es für all das eine Erklärung.

      Langsam ließ das Zittern nach und auch die Übelkeit.

      Etwas Altes anziehen. Sie griff nach einer Hose, die ihr zu klein geworden war, aber als sie den Reißverschluss mit Gewalt hochzog, wurde ihr erneut schlecht. Also schlüpfte sie wieder in ihre Jeans und tauschte lediglich das T-Shirt mit den olivgrünen Tarnflecken gegen ein pinkfarbenes, das sie noch nie gemocht hatte. Sie atmete noch ein paar Mal tief durch, dann ging sie die Treppen hinunter.

      Ihre Mutter war im hinteren Zimmer, das große Fensterscheiben hatte und ihr als Maleratelier diente. Sie telefonierte. Valeria sah sie zwischen den Staffeleien hin und her gehen und mit der freien Hand gestikulieren. Sprach sie mit der Polizei? Eine Welle der Angst rollte auf Valeria zu. Was, wenn sie ihre Mutter holten und ins Gefängnis sperrten? Was würde dann aus ihr, Valeria, werden? Den nächsten Satz konnte sie hören, trotz der geschlossenen Tür, weil er ziemlich laut ausgesprochen wurde: »Du bringst das in Ordnung, und zwar sofort!«

      Nein, so redete man nicht mit einem Polizisten, nicht einmal Rosa würde das wagen. Valeria hatte plötzlich das Gefühl, ihre Kehle würde brennen. Sie rannte in die Küche und trank Wasser aus dem Hahn.

      Wenig später kam Rosa herein.

      Valeria wischte sich das Wasser vom Mund. »Mama, was ist denn passiert, wieso hast du …« Sie brachte das Wort »erschossen« einfach nicht über die Lippen. Geradeso, als könnte man es noch ungeschehen machen, solange man es nicht aussprach.

      Rosa ließ die halbe Frage ihrer Tochter im Raum stehen, wies mit einer Kopfbewegung nach draußen und meinte, er müsse schleunigst aus der Sonne.

      Damit hatte sie recht. Fliegen umschwirrten den Leichnam, und als sie ihn bewegten, entwich dem Körper ein fauliger Gestank wie ein böser Geist. Vorn an seiner Hose war ein nasser Fleck. Erneut war Valeria kurz davor, sich zu übergeben. Dabei war sie im Grunde an den Anblick des Todes gewöhnt. Sie war dabei, wenn Rosa Hühner schlachtete, sie half beim Ausnehmen der Rehe und Wildschweine, die die Jäger vorbeibrachten, und im Wald fanden sich immer wieder tote Tiere in sämtlichen Stadien der Verwesung. Sie hatte sogar eine kleine Tierskelettsammlung in einer Kiste in ihrem Zimmer. Aber das hier war etwas ganz anderes. Ein toter Mensch, erschossen von ihrer Mutter. Vielleicht hatte Rosa recht, vielleicht half es, ihn erst einmal wegzubringen. Vielleicht konnte man dann besser darüber reden. Über das Warum.

      »Wohin?«, presste sie hervor.

      »In die Kammer. Nimm du die Beine«, sagte Rosa.

      Durch den Stoff der Hose konnte Valeria sein Fleisch erspüren, die Beweglichkeit der Haut, die Festigkeit der Muskeln. Er war weder steif noch kalt. Er trug schwarze Lederschuhe mit dünnen, etwas abgewetzten Sohlen und über dem Rand der Socken kräuselten sich dunkle Haare auf heller Haut. Das Blut auf dem Hemd war bereits angetrocknet und es floss auch keines mehr aus dem Loch heraus, das die Schrotladung in seine Brust gerissen hatte. Sie wandte den Blick ab und schaute, ohne es zu wollen, in sein Gesicht. Ein Mann Mitte dreißig, dessen leblose Augen sie glasig anstierten. Der offen stehende Mund verlieh seiner Mimik einen grotesk-dümmlichen Ausdruck.

      Das also war der Tod.

      »Los, auf drei«, ächzte Rosa.

      Er war nicht sehr groß, aber kräftig gebaut. Und unglaublich schwer. Es war nicht einfach, ihn ums Haus herumzuschleifen, aber irgendwie schafften sie es. Man könne alles schaffen, wenn man nur wolle, pflegte Mrs Wilson zu sagen, die Lehrersgattin, die mit allen Wassern der Küchenpsychologie gewaschen war.

      Die Kammer war ein fensterloser Anbau auf der Nordseite und bestand, wie das ganze Gehöft, aus festem, grobem Mauerwerk. Sogar im Hochsommer war es darin einigermaßen kühl. Sie legten ihn auf den Boden. Rosa zerrte die Regenschutzplane vom Brennholz, das an der Außenwand gestapelt war, und breitete sie über den Leichnam.

      Dass das die Insekten wirklich abhalten würde, bezweifelte Valeria und der Gedanke, dass zwischen ihren Essensvorräten ein Leichnam verrottete, ließ sie vor Ekel schaudern.

      »Wenigstens ist er nun aus der Sonne«, stellte Rosa

      fest.

      »Muss er nicht auch unter die Erde?«

      »Ist

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