Sonst brichst du dir das Herz. Susanne Mischke

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Sonst brichst du dir das Herz - Susanne Mischke

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bei Dunkelheit wegbringen? Wohin? In den Fluss werfen, der kaum noch Wasser führte? Was immer es war – sie hoffte, dass sie nicht dabei sein musste.

      »Jetzt warte doch mal!« Valeria war auf dem Weg zurück ins Haus stehen geblieben und konnte nur um ein Haar der Versuchung widerstehen, wie ein trotziges Kind mit dem Fuß aufzustampfen. »Was ist passiert, warum hast du den Mann erschossen?«

      »Weil es notwendig war«, sagte Rosa, ohne zu zögern. »Er hatte eine Pistole dabei.«

      »Was wollte er denn bei uns?«

      »Nichts Gutes, mein Liebes, glaub mir«, sagte ihre Mutter, ehe sie die Lippen zusammenpresste, sodass ihr Mund mit den kleinen Fältchen aussah wie ein Reißverschluss.

      »Und wen hast du vorhin angerufen?«

      Aber Rosa ging einfach weiter und rief: »Kind, bitte! Löchere mich jetzt nicht mit Fragen, ich muss nachdenken. Wo hast du eigentlich den Pilzkorb gelassen? Egal, es ist sowieso viel zu trocken für Pilze. Nur gut, dass du vorhin nicht da warst. Ja, wirklich, ein Glück. Jetzt geh am besten in dein Zimmer. Ich meine, Mr Wilson hätte dir eine Hausarbeit in Englisch aufgegeben, isn’t it?«

      Der muntere, geschwätzige Tonfall, völlig untypisch für Rosa, jagte Valeria eine Heidenangst ein. »Französisch«, sagte sie automatisch, während sie ihrer Mutter hinterherstolperte. »Einen Aufsatz über Rousseau.«

      »Na, dann los.«

      Als ob sie jetzt auch nur ansatzweise in der Lage wäre, einen vernünftigen Gedanken zu Papier zu bringen! Valeria blieb dennoch den ganzen Nachmittag in ihrem Zimmer. Sie musste das Licht einschalten, denn die Fensterläden zu öffnen, hätte bedeutet, die Hitze hereinzulassen. Sie las in einem englischsprachigen Roman, den ihr Mrs Wilson geliehen hatte. Valeria las gern Geschichten von jungen Frauen, die in herrschaftlichen Häusern lebten. Aber heute drang nicht ein Wort der Schmonzette zu ihr durch. Stattdessen füllten sich ihre Augen immer wieder mit dem Bild des Toten, sogar dann, wenn sie sie zumachte. Dann erst recht.

      So vergingen etliche Stunden. Draußen begann es zu dämmern. Plötzlich näherte sich ein Motorengeräusch. Ein eisiger Schrecken packte Valeria. Die Polizei! Gleich würden sie Rosa mitnehmen. Sie sprang auf, hastete ans Fenster und spähte durch die Ritzen in den Läden. Es war noch schlimmer: Es war der schwarze Wagen des Toten. Er fuhr langsam auf den Hof und hielt an der Stelle, an der noch vor Stunden die Leiche seines Fahrers gelegen hatte. Der Motor wurde gedrosselt, die Tür ging auf, Rosa stieg aus. Erst da ließ Valerias Herzrasen wieder nach.

      Zur üblichen Zeit rief Rosa sie zum Abendessen in die Küche. Es gab geräucherte Forelle mit Kartoffeln und Tomaten aus dem Garten. Wenigstens fragte ihre Mutter nicht, wie Valeria mit dem Aufsatz vorangekommen sei. Sie hatte in der Zwischenzeit die Läden und die Fenster geöffnet, damit die Abendluft hereinströmen konnte.

      »Ein Glück, dass wenigstens die Nächte langsam wieder ein bisschen kühler werden«, meinte Rosa.

      Valeria vermied es, aus dem Fenster zu sehen, wo der fremde Wagen auf dem Hof stand wie ein lauerndes Tier. Ihre Mutter hingegen schaute auffallend oft hinaus und ebenso häufig auf die Wanduhr über dem Kühlschrank. Es sei nun leider geschehen, was sie immer schon befürchtet habe, sagte sie unvermittelt, aber Valeria müsse sich nicht sorgen, sie, Rosa, habe die Situation im Griff.

      Valeria nickte nur, obwohl sie die Bedeutung dieser Worte nicht einmal ansatzweise verstanden hatte. Aber aus irgendeinem Grund war sie nicht in der Lage, auch nur einen Ton zu sagen. Es war ein bisschen wie in diesen Träumen, in denen sie weglaufen wollte und ihre Beine nicht bewegen konnte. Stattdessen machte sich wieder dieses diffuse Angstgefühl in ihr breit. Trotzdem – was war sie nur für ein Monster? – verspürte Valeria auf einmal großen Hunger und wider Erwarten aß sie ihre Portion restlos auf.

      Auch Rosa hatte es den Appetit nicht verschlagen. »Die gute Ersilia mag ein bisschen seltsam sein, aber ihre Fische sind eine Wucht«, bemerkte sie, während sie die Forelle aufklappte und mit chirurgischer Präzision das Rückgrat mitsamt den Gräten vom Fleisch trennte. Ersilia, der ein Fischteich hinter dem Dorf gehörte, besaß einen winzigen Hund mit herausquellenden Froschaugen, dem sie Kleider anzog. Einmal hatte sie Rosa gebeten, den Hund zu malen, und Rosa war der Bitte widerstrebend nachgekommen. Als Valeria das fertige Werk gesehen hatte – ein wirres Geschlinge in Rot- und Grüntönen mit gelben Einsprengseln –, hatte sie im Geist Ersilias Forellen und Rosas Lieblingsseife für alle Zeiten abgeschrieben. Doch Ersilia war in Begeisterung ausgebrochen. Rosa, so ihre Worte, habe das Wesen und die Seele ihres Hundes erkannt und eingefangen.

      Dies hatte Valeria in ihrem Verdacht bestärkt, dass Ersilia einen an der Waffel hatte. Rosa hingegen meinte dazu, Ersilia habe genau verstanden, was abstrakte Malerei bedeute. »Denn die Welt ist nicht so, wie wir sie sehen.«

      Inzwischen war es dunkel geworden. Nur die Lampe über der Haustür brannte, eine trübe Funzel, deren Schein nach wenigen Metern von der Nacht verschluckt wurde. Sie waren beim Abwasch.

      »Mama, was passiert denn jetzt mit dem Mann?«, wagte Valeria einen neuen Vorstoß, doch da wurde die Küche plötzlich in ein grelles Licht getaucht. Ihre eigenen Schatten huschten über die Wände, Valeria schrie auf.

      »Kein Grund zur Aufregung«, sagte Rosa. »Geh in dein Zimmer und rühr dich nicht.«

      Es hatte freundlich und bestimmt geklungen, ohne die geringste Spur von Besorgnis.

      Valeria gehorchte, eilte nach oben und stellte sich im Dunkeln ans Fenster. Neben dem schwarzen Wagen hatte ein weiterer, ähnlicher, angehalten. Zwei Männer in Sweatshirts und Sneakers stiegen aus. Der eine schien etwas jünger zu sein, er trug eine Baseballkappe, der andere war klein und dick. Kaum ausgestiegen, zündete er sich eine Zigarette an. Im Schein des aufflammenden Feuerzeugs sah Valeria ganz kurz sein Gesicht. Ein Mann in den Vierzigern, feist, klein und rundlich. Sie hatte ihn nie zuvor gesehen.

      Rosa trat auf den Hof und sprach mit den beiden, aber sie redeten leise, Valeria konnte nur undeutliche Brocken verstehen. Dann verschwanden alle drei aus ihrem Blickfeld.

      Minuten verstrichen, Valeria starrte wie hypnotisiert nach draußen. Im Lack der zwei Wagen spiegelte sich das Mondlicht.

      Schatten näherten sich. Ihre Mutter und hinter ihr die Männer, die den Toten trugen, scheinbar mühelos, als wäre er ein Leichtgewicht. Rosa stand jetzt im Lichtkreis der Hoflampe. Was hatte sie da für ein Bündel auf dem Arm? Ah, die Plane, mit der die Leiche zugedeckt gewesen war. Eine Heckklappe wurde geöffnet, Rosa legte die Plane auf den Boden des Kofferraums und die zwei Besucher beförderten den Toten mit Schwung hinein, so achtlos, als wäre er ein Stück Wild. Oder Abfall. Mit einem dumpfen Laut wurde die Klappe geschlossen. Es folgte ein kurzer Wortwechsel und am Ende reichte der Dickere Rosa etwas Kleines, Weißes. Ein Päckchen, einen Brief? Türen schlugen zu, Motoren wurden angelassen, kaltweiße Lichtstrahlen irrlichterten über Mauern und Sträucher, als die zwei Wagen nacheinander wendeten und davonfuhren. Schließlich glommen nur noch die Rücklichter durch die Nacht wie gefährliche rote Raubtieraugen. Doch auch sie verschwanden.

      Valeria beugte sich nach vorn und sog die kühle Nachtluft in ihre Lungen. Ihr war, als hätte sie seit Stunden die Luft angehalten. Der Knoten, der den ganzen Nachmittag um ihren Magen geschlungen gewesen war, löste sich langsam auf. Zurück blieb nur ein vages, ungutes Gefühl, das zu ergründen Valeria sich sträubte.

      Es war ein schöner Sommerabend. Der Mond kletterte über die Wipfel der Zypressen und die Silhouette der Bergkette zeichnete sich wie ein Scherenschnitt gegen den indigoblauen Himmel ab. Eine Nachtigall sang, der Igel raschelte im Gebüsch hinter dem Hühnerstall, Grillen zirpten und ein Waldkauz schrie. Alles

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