Colombia Es Pasión!. Matt Rendell
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Eine Gruppe von Fahrern, die bei der Vuelta del Porvenir 2006 ihr Können nachgewiesen hatte, wurde eingeladen, an der Testreihe teilzunehmen. Als die Punkte addiert wurden, waren die auserkorenen Fahrer Camilo Torres, Óscar Sánchez und Jarlinson Pantano. Im Mai 2007 trat Pantano bei der renommierten Ronde de l’Isard in Frankreich an und gewann die Wertung als bester Nachwuchsfahrer. Saldarriaga erinnert sich daran als einen Wendepunkt für das Projekt Colombia Es Pasión: »Es markiert den Zeitpunkt, da wir wirklich anfingen, uns auf die langfristige Entwicklung von U23-Fahrern zu konzentrieren.«
Pantanos Geschichte wird heute davon überschattet, dass er am 26. Februar 2019 bei einer Kontrolle positiv auf EPO getestet wurde. Vier Monate später, Mitte Juni, erzählte er dem Journalisten Jairo Rodríguez: »Ich kann es nicht erklären und ich fühle mich betrogen. Ich habe mich entschieden, nicht bis zum bitteren Ende dagegen anzukämpfen, denn ich möchte nicht das Vermögen meiner Familie darauf verschwenden, erst in zwei Jahren eine Erklärung zu bekommen.«
Pantanos Trainer bei Trek-Segafredo, Josu Larrazabal, erzählte mir: »Wir waren sehr überrascht. Jarlinson war beim Team mehrfach längere Zeit krank gewesen, er wurde somit vielfach getestet und wir hatten ein sehr umfangreiches physiologisches Bild von ihm. Es gab nie ein Fragezeichen oder ein Warnsignal, niemals auch nur einen leisen Verdacht auf unerlaubte Methoden.«
Tatsächlich verbrachte Jarlinson Pantano sechs Jahre bei Colombia Es Pasión und danach sieben Jahre als Profi, in denen seine Integrität nie zur Debatte gestanden hatte.
Es ist ein kurioser Name – und es hätte schlimmer kommen können: Jarlinsons Vater, José Gabriel Pantano, wollte ihn eigentlich Fafier nennen. »Was soll daran komisch sein?«, fragt er mich. »Ich habe einen Freund namens Fafier, der einen Frisörladen betreibt. Aber ich mochte Harley Davidson, also dachte ich: Harley, Harlin, Jarlinson. Am Tag, als er getauft wurde, grummelte der Priester: ›Was? Jarlinson? Unaussprechlich. Ergibt keinen Sinn. Was spricht gegen einen normalen Namen?‹«
Seine Mutter, Olga Sofía, erzählt mir lachend: »José gab ihm den Namen, ich machte einfach mit.«
Wie dem auch sei, er wurde von allen eh nur País genannt – was so viel wie »Landsmann« bedeutet –, denn so nannte Jarlinson alle anderen.
Pantanos Heimatstadt Cali erstreckt sich auf einer Ebene zwischen zwei Gebirgsketten, 450 Kilometer südwestlich der Hauptstadt. Sie ist umgeben von Anstiegen mit imposanten Namen wie Dapa und La Cumbre (»Der Gipfel«) und dem gewaltigen Tenerife – einem 30 Kilometer langen Ritt bis auf die Höhe von Bogotá –, aber auch solchen, die nicht mal einen richtigen Namen haben, wie »Kilometer 18«, der so heißt, weil er so lang ist. Auf nur tausend Metern Höhe gelegen, ist Cali bekannt für Musik und Salsa-Tänzer, Fußball und brütende Hitze.
»Und für noch etwas«, sagt Jarlinson lachend. »Für Faulheit.«
Alles, nur nicht Radsport.
Gleichwohl hat die Stadt in der Vergangenheit einige herausragende Sprinter hervorgebracht. Der in Cali geborene Leonardo Duque wurde 2008, eingekeilt zwischen Oscar Freire und Erik Zabel, Zweiter einer Etappe der Tour de France, während Luís H. Díaz und Jaime Galeano in den 1960er und 1970er Jahren ausgezeichnete Sprinter waren und an der Seite von Cochise Rodríguez für die Caribú-Mannschaft fuhren.
Jarlinson Pantanos Vater José Gabriel war mit zwei passionierten Radfahrern groß geworden. Einer von ihnen, Ricardo Gallego, von allen nur Richard genannt, schaffte es bis zur Vuelta de la Juventud und wurde später Juwelier: Als Sponsor würde er später maßgeblichen Anteil an Jarlinsons Vorstoß bis in die Weltspitze des Radsports haben. Der andere, Camilo Sepúlveda, wurde Bahnradsportler auf nationaler Ebene.
»Camilo lud mich ins Velodrom ein, um den Fitnessraum zu benutzen«, erinnert sich José Gabriel. »Als ich dort war, sagte er: ›Versuch es doch mal auf dem Rad.‹« Wehmütig fügt er hinzu: »Wir träumten den Traum, in einem Radsportteam zu fahren, einen Traum, der unserer Generation von Lucho Herrera und Fabio Parra eingeimpft wurde.«
Er war 15 und unter den Freunden, mit denen er damals mit dem Radsport anfing, war auch William Palacio, der 16. der Tour de France 1990 wurde und eine Etappe bei der Dauphiné Libéré gewann.
Etwa zu der Zeit zog José Gabriels Familie ins Barrio Floralia, einer armen Gegend im Nordosten der Stadt, anfällig für Überschwemmungen und hauptsächlich von Familien bewohnt, die vertrieben worden waren. Dort lernte er Olga Sofia kennen, die ihre ersten beiden Lebensjahre in San Antonio del Prado, Medellín, verbracht hatte, bevor ihre Mutter mit ihr nach Cali ging. Als sie am 3. März 1984 ihren 16. Geburtstag feierte, war sie bereits schwanger. Acht Tage später, am 11. März, wurde ihr Sohn Carlos Andrés geboren. José Gabriel musste seinen Traum vom Radsport aufgeben und sich einen Job suchen.
Jarlinson kam viereinhalb Jahre später zur Welt. Sie waren von Anfang an eine Radsportfamilie. Olga Sofías Schwester Carolina heiratete Dubán Ramírez, den Neffen von Cochise Rodríguez und Vierten im Zeitfahren bei den Weltmeisterschaften von 1995. Unterdessen unterhielt José Gabriel ein offenes Haus. Wer wegen eines Rennens oder Trainingslagers in der Stadt war, fand bei den Pantanos immer eine Unterkunft. Der spätere UnitedHealthcare-Fahrer Carlos Eduardo Alzate reiste regelmäßig aus dem 90 Kilometer entfernten Tuluá an und stieg bei den Pantanos ab. Franklin López kam eines Tages und ging nicht mehr, er wurde Andrés’ und Jarlinsons inoffizieller Adoptivbruder.
»Olga und meine Mutter waren daheim«, sagt José Gabriel, »und ich hatte einen guten Job bei der Stadt, ich verlangte also nie einen Penny von irgendjemandem.« Nur eine Bedingung gab es: »Ich fing um sieben Uhr morgens mit der Arbeit an, wir brachen daher alle zusammen um drei zum Training auf.«
José Gabriel war es gewohnt, früh aufzustehen. Alles andere als ein Stadtkind, wurde er in Sopó nördlich von Bogotá geboren, wo seine Großeltern einen Bauernhof verwalteten und für eine Schar Landarbeiter und hundert Rinder verantwortlich waren, deren Milch an eine Molkerei namens Alpina geliefert wurde, die in den 1940er Jahren von Schweizer Immigranten gegründet wurde, um kolumbianische Varianten von Emmentaler und Gruyère herzustellen.
Als José Gabriels Großvater von einer Leiter fiel und lebenslange körperliche Einschränkungen davontrug, ging die Aufgabe, sich um die Familie zu kümmern, fortan an seinen Sohn – José Gabriels Vater – Ángel Gabriel Pantano über: »Meine Mutter war ab drei oder vier Uhr morgens, wenn es bitterkalt ist, bei den Kühen und Ziegen. Mein Vater fuhr den Milchlaster zum Betrieb.«
Kolumbiens Priorität in den 1960er Jahren war die Industrialisierung: die Substitution von Importen durch Inlandserzeugnisse. Die verarbeitende Industrie, die 1929 nur 8,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachte, weitete ihren Anteil auf 16,5 Prozent im Jahr 1945 und 20,6 Prozent Anfang der 1960er Jahre aus. Ein Besuch bei einem Onkel in Cali überzeugte Ángel Gabriel, auf der Welle des Fortschritts mitzuschwimmen.
Angestellt, eine Dorfschule in der Nähe von Cali zu streichen, erfuhr er, dass die Stahlwerke Sidelpa – Siderúrgica del Pacifico – nach Leuten suchten. Nachdem er sich eine Weile dort verdingt hatte, heuerte er in einem neuen Wasserkraftwerk an. Erst dann holte er seine Familie nach Cali. Sein Sohn José Gabriel war sieben.