Colombia Es Pasión!. Matt Rendell

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Colombia Es Pasión! - Matt  Rendell

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Art elementarem Muiscaranto zusammenfassten. Falls dem so wäre, ist alles, was wir über ihre Sprache zu wissen glaubten, hinfällig – und die Conquista hat das Volk der Muisca weniger vernichtet, als dass sie es erschaffen hat.

      Durch die Eingangstür gelangt man in einen leeren Vorbau und dann in das eigentliche Haus. Emiro López, Anfang sechzig, steht auf der Schwelle zwischen der Küche und dem Raum, wo seine Frau Isabel Monroy, genannt Mamá Chavita, seit vielen Jahren den Kindergarten Pato Lucas leitet (obschon sie nicht gerade zart gebaut ist, bedeutet chavita ganz einfach »klein«). Emiros Augen leuchten, als er ein Vierteljahrhundert in der Zeit zurückreist.

      »Er kroch genau hier langsam über den Boden«, sagt er. »Ich hob ihn auf« – er tut so, als würde er ein kleines Kind hochheben, in dessen Blick keine Spur von Wiedererkennen ist – »und sagte zu Isabel: ›Da ist kein Leben in ihm. Der Junge wird sterben.‹«

      Nairito – »Kleiner Nairo« –, acht Monate alt, war abgemagert und von Durchfall geschwächt. Sein Bauch war erschreckend geschwollen, sein Haar borstig. Nur wenige glaubten, er würde das Säuglingsalter überleben.

      Gegenüber von Emiro steht, mit dem Rücken zum Ofen, Mamá Chavita selbst. Sie sagt zu mir, in schönem, bäuerlichem Spanisch: »Tentaron de ese tiempo que lo había tentado era antes de defunto«, was ich ungefähr so verstehe: »Etwa zu der Zeit wurde er von einem Leichnam versucht.« Das Verb tentar hat Anklänge an »reizen« oder »verführen«. Mit anderen Worten: Nairo wurde auf irgendeine Weise von einer fremdartigen Anziehungskraft umworben oder in Versuchung geführt, die von einer toten Frau ausging.

      Er war am 4. Februar 1990 zur Welt gekommen, als Sohn von Luís Quintana, einem Markthändler aus dem benachbarten Vereda Salvial, und seiner Frau Eloísa Rojas. Ihre Gesichter erzählen die Geschichte dieser Hügel: Luís ist rotgesichtig, hellhäutig, grünäugig; Eloísa hat langes glattes Haar und dunkle Muisca-Züge. Als junger Mann mietete Luís eine Hütte an einer geschäftigen Straße und begann, Gemüse zu verkaufen. Der Ort ist leicht zu finden: Man muss nur einen Online-Kartendienst aufrufen und nach Tienda la Villita suchen. Das imposante Gebäude, das man dort sieht, ist Beleg für Luís’ Geschäftstüchtigkeit: Der Laden ermöglichte ihm, das Land zu kaufen – von dem er einen Teil für die Landwirtschaft nutzbar machte –, das Grundstück zu vergrößern und Eloísa Rojas zu heiraten, eine Kundin aus Vereda San Rafael, quasi auf der anderen Straßenseite gelegen.

      Als sie 20 war, war Eloísa schwanger mit Willington Alfredo – benannt nach dem Fußballer Willington Ortiz, der 49-mal für Kolumbien spielte, allerdings von allen immer nur Alfredo genannt. Danach kamen Esperanza, zu Deutsch »Hoffnung«, und Leidy, ein Name, der Verbreitung fand, als Diana im Jahr 1981 Prinz Charles heiratete. Alfredo glaubt, dass seine Eltern die Namen der Geschwister vier und fünf, Nairo Alexander und Dayer Uberney, aus der Zeitung haben.

      Eloísa war als Kind verlassen worden. »Ich war eins von acht Kindern«, erzählte sie mir, »was ich aber erst seit kurzem weiß. Ich wurde von einer Frau namens Sagrario Rojas aufgezogen, die mich liebte wie ihre eigene Tochter.«

      Sagrario verstarb wenige Monate nach Nairos Geburt. Eloísa zog los, um ihr die letzte Ehre zu erweisen, und nahm das Baby mit.

      »Die Krankheit setzte drei Tage danach ein«, sagte Eloísa. »Der Mann, der den Leichnam hergerichtet hatte, muss den kleinen Nairo berührt haben.«

      Nairo erzählte mir später von einem althergebrachten Glauben, demzufolge tote Körper eine »kalte Energie« absondern, die, bei Berührung, in ungeborene Kinder und Säuglinge eindringt.

      »Für die Behandlung können nur natürliche Heilmittel verwendet werden. Das ist keine Sache wissenschaftlicher Medizin.«

      Als Sportler ist Nairo seit seiner Teenagerzeit wissenschaftlicher Methodik unterworfen, und er weiß genau, wovon er spricht: dass moderne Wissenschaft und Medizin, bei allem Nutzen, den sie der Welt bringen, einer Lebenspraxis angehören, die die Gedankenwelt seiner eigenen Kindheit verdrängt hat. Das macht seine Krankheit und sein Überleben als Baby mindestens ebenso sehr zum Ausdruck von Identität und sogar zu einer Form von Widerstand, als sie medizinische oder biografische Fakten sind.

      »Los antiguos«, erzählte mir Isabel Monroy, bezogen auf die Gemeindeältesten, »wiesen Doña Eloísa an, die Knospen von neun Heilpflanzen zu sammeln, sie zu kochen und Nairito in dem Wasser zu baden.« Mir wurde nicht klar, ob das Ritual des Sammelns der Knospen selbst bereits Teil der Heilung war.

      Die Quintana-Kinder bekamen nur selten ein Fernsehgerät zu Gesicht. Deshalb war ihnen die filmische Sprache aus Gestik und Mimik, selbstverständliche Gewohnheit für diejenigen, die vor dem Bildschirm sozialisiert wurden, fremd. Auch hatten sie wenig Zeit für Musik und Tanz, wenngleich die Hügel rund um Cómbita widerhallten von den Klängen der tiples – 3/4-Gitarren mit vier Chören mit je drei Saiten – und der noch kleineren requintos und von einer Musikrichtung, die der Außenwelt als carranga bekannt ist, ausgeübt von Sängern wie Jorge Velosa und Ildefonzo Barrera, die beide, viele Jahre später, Lieder über Nairo komponieren würden.

      Eingebunden in diese Kultur aus heimischer Musik- und Tanztradition war eine Form improvisierten Sprechgesangs in vierzeiligen Strophen, die sogenannten coplas. Orlando Fals Bordas Abhandlung über Saucío nennt das Beispiel eines tres genannten Tanzes, bei dem drei Feiernde eine Acht beschreiben: »Wenn ein Tänzer ›schneidet‹, d.h. zwischen seinen beiden Partnern hindurchschreitet, wird von ihm erwartet, eine copla zu ›singen‹, ein vierzeiliges Liedchen im Reimschema a-b-c-b. Bis der Tänzer sich abwendet, um seine nächste ›Acht‹ zu beschreiben, ist er fertig mit Singen und einer seiner beiden Partner ist an der Reihe.«

      Die bemerkenswerte örtliche Lehrerin Elba Rosa Camargo – niemand Geringeres als Kolumbiens »Lehrerin des Jahres 2015« – verriet mir mehr über die coplas. Sie war im Jahr 2006 an das Umwelttechnische Institut in Vereda Sote Panelas versetzt worden, nicht weit von dem Haus, in dem Nairo aufwuchs, allerdings höher am Hang gelegen, weiter weg von der Hauptstraße. »Ich hatte zuvor in Tunja gearbeitet, in einer städtischen Schule, wo die Kinder sich laut und freimütig unterhielten«, erzählte sie mir. »Plötzlich fand ich mich in einer sehr ruhigen Gemeinde wieder, deren Mitglieder weit voneinander entfernt lebten und denen Hausbesuche unangenehm waren. Ich war nur 20 Minuten von Tunja entfernt, aber es fühlte sich ziemlich fremd an. Ich empfand die Stille als schrecklich.«

      Coplas boten eine Möglichkeit, das eisige Schweigen in ihrem Klassenzimmer zu brechen. Vor ihren Kindern trug sie eine vor, die sie sich ausgedacht hatte:

       Dame un besito, mi vida,

       como siempre me lo dabas,

       con un tricito de lengua

       con nariz, mocos y babas.

      (Küss mich, mein Liebling,

      wie wir uns früher küssten,

      mit ein bisschen Zunge,

      etwas Nase, Schnodder und Spucke.)

      Meisterhaft darauf ausgerichtet, bei ihren Schülern Überraschung und Ekel zu provozieren, erregte der Vortrag deren gespannte Aufmerksamkeit. Kannte einer von ihnen, wollte sie wissen, selbst irgendwelche coplas?

      Ein Junge hob die Hand:

      

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