Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Mörder kennen keine Grenzen - Horst Bosetzky страница 16
„Nein, ich bin inzwischen geflohen!“, entgegnete ich ärgerlich, während ich auf das kleine weiße Knöpfchen für den Öffnungsmechanismus drückte. „Kommen Sie bitte rein!“
Draußen summte es, dann wurde die Gartentür zugeschlagen. Ich rief noch schnell ins Zimmer, dass sie sich ein paar Minuten gedulden sollten, dann ließ ich den späten Besucher ins Haus.
Oberkommissar Rannow war mir vom ersten Augenblick an unsympathisch. Seine braunen, etwas asymmetrisch stehenden Augen erinnerten mich an einen eben verprügelten Hund; die wulstigen Lippen, die knollige Nase und die großen Ohren widerten mich an. Und dazu noch der kurze Beamtenhaarschnitt – jedes Haar an seinem Platz ... Er roch ein wenig säuerlich; offenbar war er magenkrank. Zwar bekämpfe ich meinen Hochmut und mein elitäres Bewusstsein, wo immer es geht, aber ich empfand es dennoch als ziemliche Zumutung, dass sie mir ausgerechnet diesen Kretin ins Haus geschickt hatten.
Ich nahm ihm seinen gräulichen Lodenmantel ab, unterließ es aber, nach einem Bügel zu suchen. Er registrierte diesen Affront mit einem unfreundlichen Blick. Dann blieb er ein paar Sekunden vor einem Aquarell stehen, das Friedrich den Großen auf einem Schimmel zeigt, während ein schnauzbärtiger Kroate hinter einem Zaun stehend das Gewehr auf ihn anlegt. Wenn man meinem Vater, der dieses kleine Bild geliebt hatte, trauen durfte, dann hatte der Alte Fritz in dieser Szene ausgerufen: „Kerl, Er hat ja gar kein Pulver auf der Pfanne!“, worauf der Soldat voller Verblüffung seine Waffe fallen gelassen und Reißaus genommen haben soll.
„Nett, nicht ...?“, sagte Rannow.
„Hm ... Bitte!“ Ich stieß die Tür zu meinem Arbeitszimmer auf und wies auf die schwarzen Ledersessel, die vor der rostroten Klinkerwand standen.
„Danke!“ Rannow ließ sich in den bequemsten aller Sessel fallen, musterte kurz das längliche Ölgemälde rechts vom Fenster, eine Straßenszene von Lesser Ury, die an die 20.000 Mark wert ist, staunte über die gewaltige Bücherwand und studierte dann das Muster meines Täbris.
Ich war sicher, Neid in seinem Gesicht zu erkennen, Neid und Frustration. Wie hätte er, der aller Wahrscheinlichkeit nach in einer engen Neubauwohnung lebte und sich seine Einheitsmöbel im nächsten Kaufhaus beschafft hatte, auch anders reagieren können?
„Darf ich Ihnen einen Kognak anbieten?“ Ich bemühte mich um eine gewisse Herzlichkeit, denn natürlich war es unsinnig, ihn unnötig zu reizen.
„Danke, ich bin im Dienst. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps!“
Darauf konnte ich nur im Stillen stöhnen, denn wenn ich etwas hasse, dann sind es Gemeinplätze. Ich goss mir selber ein Glas ein und setzte mich hinter meinen Schreibtisch. Damit hatte ich mir einen kleinen Vorteil verschafft, denn nun befand sich mein Gesicht im Schatten, während Rannow haargenau unter der herabhängenden Studiolampe saß.
„Dürfte ich wissen, was Sie zu so später Stunde noch zu mir geführt hat?“ Ich sprach so prononciert wie ein Schauspielschüler vor einem allmächtigen Intendanten.
„Klar ...“ Rannow zündete sich in aller Ruhe eine Roth-Händle an. „Gestern Nacht ist die Prostituierte Marianne Ihlow ermordet worden ...“
„Das habe ich bereits in der Zeitung gelesen.“
„Man hat Sie wenige Stunden vor der Tat in Begleitung der Ihlow gesehen ...“
„Das ist durchaus möglich ...“ Ich gab mich uninteressiert, lächelte leise und spielte den Überlegenen, aber in Wirklichkeit war ich ziemlich erregt, und mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren.
Der Oberkommissar hatte Recht; am Nachmittag war ich einige Zeit lang in der Wohnung dieser Miezi gewesen. Ich war mit ziemlich klar umrissenen Vorstellungen in Ziegenhals’ ehemalige Wohnung in der Naunynstraße gefahren, deren Bewohner ich über Ziegenhals vorsichtig ausgehorcht hatte, und zwar hatte ich von Miezi und Opa Melzer einige Auskünfte über die meiner Ansicht nach kriminelle Vergangenheit ihres ehemaligen Hausgenossen einholen wollen. Ich hätte wetten mögen, dass Ziegenhals allerhand Dreck am Stecken hatte – dafür sprach schon dieses Milieu. Bei den relativ niedrigen Aufklärungsquoten, die die Kriminalstatistiken ausweisen, konnte er ohne große Schwierigkeiten unentdeckt geblieben sein. Aber bestimmt musste es in dieser Gegend eine Hand voll Leute geben, die von seinen Straftaten wussten. Wenn ich Ziegenhals wirklich etwas nachweisen konnte, dann hatte ich ihn zwar noch nicht in der Hand, aber ich konnte ihn immerhin daran hindern, seine Forderungen höher und höher zu schrauben. Ich hätte schwören können, dass dieser oder jener Autodiebstahl oder Einbruch auf sein Konto ging. Und hatte ich erst einmal Zeugen und Beweise dafür, dann konnte ich ihm jederzeit mit einer Anzeige drohen, ohne fürchten zu müssen, dass er vor Gericht etwas von meinem Plagiat und seiner Erpressung erzählen würde. Damit hätte er sich nur einige zusätzliche Jahre Gefängnis eingehandelt und wäre außerdem um den Genuss meiner regelmäßigen Zahlungen gekommen. Natürlich konnte er mit der Ankündigung kontern, er werde todsicher auspacken, wenn ich ihn wegen der Einbrüche anzeigte, aber ich durfte dennoch ziemlich sicher sein, dass er meine Trümpfe in seine Strategie mit einbezog und auf eine Eskalation seiner Forderungen verzichtete. Kurzum, und ohne weiter spieltheoretischen Erwägungen nachzugeben: Ich brauchte unbedingt beweiskräftiges Material über die Delikte meines Gegners.
„Na, was ist nun?“ Rannow wurde langsam ungeduldig.
Naunynstraße. Ich sah mich wieder die ausgetretenen Stufen zum dritten Stockwerk hinaufsteigen. Auf mein mehrmaliges Klingeln hin hatte mir Miezi geöffnet.
„Ja, wat jibt’s denn?“
„Guten Tag! Entschuldigen Sie, ich suche meinen Neffen, einen Herrn Ziegenhals – Bernd Ziegenhals!“
„Der is vor ’n paar Tagen umjezog’n, tut ma leid.“
Da hatte ich also richtig kalkuliert. Ziegenhals versuchte also, sich unsichtbar zu machen. Offenbar fürchtete er meine Attacken.
„Können Sie mir vielleicht sagen, wo ich ihn jetzt finden kann?
„Da müssen se mal Opa Melzer fragen. Kommse man rin!“ Sie führte mich in Opa Melzers Zimmer. Der hatte zwar Ziegenhals’ neue Adresse auch nicht mehr im Kopf, fand dann aber nach einigem Suchen einen alten Omnibusfahrschein, auf dem er sie notiert hatte.
„Hier, nehm Se’n mit!“ Er drückte mir den Fahrschein in die Hand. „Und ’n schön’n Gruß an den Herrn Neff’n. Der is ja wohl ’n feiner Pinkel jeword’n; na, ick gönn et ihm.“
Ich schenkte Opa Melzer drei Zigarren, und er war vor Freude ganz außer sich.
„Mann, is det ’ne Übarraschung! Da bin ick ja janz baff! Ick hab nämlich nischt mehr zu roochen im Hause als wenn Se det jerochen hätten. Und so ’ne teure Marke ooch noch! Ick bin jerührt wie Appelmus!“ Er nahm ein paar dickleibige Schnellhefter vom Tisch und drückte milden ganzen Stapel in die Hand. „Hier, nehmen se man den janzen Klumpatsch mit. Det sind noch Akten und Manuskripte von ihm, die können se ihm ja jeb’n ...“
So zuvorkommend Melzer in diesem Punkt war, so stur stellte er sich, als ich ihn nach etwaigen kriminellen Delikten von Ziegenhals ausfragte.
„Ick kann ma nich erinnan, det Zicke mal ’n krummet Ding gedreht hat.“
„Mir