Blockbuster. Stefan Lüddemann

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      Wichtiger als die Verwendung des Wortes in der Verlagsbranche oder in der pharmazeutischen Industrie, ist sein Erscheinen im Filmgeschäft. Von dorther entfaltet der »Blockbuster« seinen Vorbildcharakter für die Kultur- und Kunstwelt. Ob der ästhetische Code des globalen Massengeschmacks, das hohe Marketingbudget oder der Fortsetzungscharakter und die immensen Erlöse: Die Kinoindustrie hat das Profil des Kultur-Blockbusters mit scharfen Konturen versehen. Alle anderen Bereiche der Kunst und Kultur leiten ihre Verwendung des Begriffs von diesem Vorbild ab.

      In der Welt des Kinos bezeichnet Blockbuster, wenig überraschend, den Erfolgsfilm. Filme wie Steven Spielbergs Der weiße Hai (1974), Star Wars oder die Batman-Filme der Warner Bros. Studios (1989–1997) gehören in diesen Bereich,17 ebenso wie James Camerons Megaseller Titanic (1997), der von dem 3-D-Abenteuer Avatar übertroffen wurde – übrigens wieder von Cameron verantwortet. Spielbergs Der weiße Hai wird jedenfalls immer wieder genannt, wenn es um den ersten Blockbuster-Film geht. Der Blockbuster-Film liefert deshalb aufschlussreiche Vergleiche, weil er als Parallelphänomen der Blockbuster-Ausstellungen erscheint. Diese kommen nämlich gleichfalls in den 1970er-Jahren auf, erinnert sei hier nur an Klaus Gallwitz’ Salvador-Dalí-Präsentation 1971 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden oder an Werner Hofmanns Ausstellung mit Werken Caspar David Friedrichs 1974 in der Hamburger Kunsthalle, eine Ausstellung, die nicht allein als Wiederentdeckung des großen Malers der Romantik, sondern auch durch die für damalige Zeiten immense, sich um das Museum herum legende Besucherschlange legendär wurde. Später sorgen historische Großausstellungen zu Beginn der 1980er-Jahre für ein verstärktes Einsetzen der Großausstellungswelle.18 Der Megafilm zeichnet vor, was auch für die Ausstellungen größten Formats Standard werden sollte: Die Verwendung erheblicher Teile des Budgets für das Marketing und nachfolgend eine Marketingstrategie, die das Erscheinen des Produkts als Ziel- und Endpunkt eines Prozesses platziert, in dessen Verlauf bei den Adressaten maximale Erwartungshaltungen erzeugt werden. Der Blockbuster definiert sich somit nicht allein als Extremwert des Einsatzes künstlerischer wie finanzieller Mittel. Er muss auch als Dynamik einer ausgefeilten Dramaturgie verstanden werden, die ein entscheidendes Ziel anvisiert: Die Konzentration maximaler Nachfrage auf ein einziges – entschiedener formuliert – auf ein solitäres Produkt. Dem Erfolg des Blockbusters entzieht sich nichts und niemand. In diesem Punkt sammelt sich der Bedeutungsgehalt des Wortes immer wieder wie in einem Brennspiegel – militärischer Gehalt inbegriffen.

      Übersicht: Blockbuster – Daten, Beispiele und eine Definition

      Kein Trend ohne eine große Zahl von Beispielen: Das gilt auch und gerade für die Blockbuster-Ausstellungen. Parallel zu dem in den 1980er-Jahren einsetzenden Museumsboom mit vielen Neubauten von Kunstmuseen19 hat auch die Zahl der großen Publikumsausstellungen der Kunst sprunghaft zugenommen. Der Trend hat längst eine paradoxe Situation geschaffen: Während jeder Blockbuster als Inbegriff des einzigartigen Kunsterlebnisses einen solitären Charakter beanspruchen muss, sorgen immer neue Exemplare dafür, dass sich die Gattung selbst inflationiert. Das Format gehorcht dem Bewegungsgesetz der permanenten Steigerung – auch deshalb, weil es in eine ganze Struktur dynamischer Prozesse eingebunden ist. Immer mehr Museen, immer sensationellere Architekturkonzepte, immer kostbarere Leihgaben, zahlreichere Sponsorengelder, höhere Besucherzahlen: Das Format des Blockbusters steht unter dem Druck einer Erwartung, der es selbst immer neue Nahrung liefert. Blockbuster sind die großen Beweger der Kunstwelt – unter der Bedingung, dass sie selbst hinreichend große Dynamik entfalten.

      Bislang funktioniert dieses Prinzip bestens. Das Paradebeispiel eines Blockbusters der Kunst war 2004 in Berlin zu besichtigen. Das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) zeigte 200 seiner Meisterwerke in der Neuen Nationalgalerie. Der Anlass dieser Präsentation mutete unspektakulär an: Das MoMA schickte Hauptwerke seiner Kollektion für die Entstehungszeit eines Erweiterungsbaus auf die Reise – mit Berlin als einziger Station. Die Zahlen dieser Ausstellung haben ihren geradezu hochexplosiven Charakter hingegen bis heute bewahrt. Zur Erinnerung: 1,2 Millionen Besucher, ein Tagesrekord von 11.800 Besuchern (28. August 2004), 182.000 verkaufte Kataloge, 580.000 verkaufte Postkarten, eine längste Verweildauer in der Ausstellung von zehn Stunden, eine längste Wartezeit von zwölf Stunden.20 Damit stellte die Berliner Ausstellung gleich eine ganze Reihe von Bestmarken auf, die sich zu einem einzigen Szenario der Beeindruckung verdichtet haben.

      Ebenso imposant: Während vor dem Start der Ausstellung fast kein befragter Berliner Passant sagen konnte, was denn die Abkürzung MoMA bedeuten könnte, waren während des Ausstellungsverlaufs 99 Prozent von 1.000 befragten Berlinern auf dem Laufenden. Das Detail zeigt, wann ein Blockbuster als Kulturevent und Marketingaufgabe funktioniert: wenn es gelingt, Gegenstand und Thema der Ausstellung wie eine Marke möglichst vielen Adressaten so präsent zu machen, dass ihnen der Besuch als unumgängliches Muss erscheint. Zur Berliner MoMA-Schau – die Kurzbezeichnung hat in der kulturpolitischen Diskussion inzwischen fast den gleichen faszinierenden Klang wie der sattsam bekannte »Bilbao-Effekt« – gehört deshalb untrennbar das pinkfarbene Plakat, das allein das Wort »MoMA« in goldenen Lettern zeigte.

      Die Berliner Ausstellung markierte nur den vorläufigen Höhepunkt eines Trends, der sich bereits in den Jahren zuvor verdichtet hatte. Schon vor eineinhalb Jahrzehnten bestimmten Großausstellungen der Kunst wie auch der Kulturgeschichte die Kulturszene. Als »Spektakel für reisende Bilderstürmer«21 firmierten Ausstellungen, die schon seinerzeit über eine Million Besucher anziehen konnten, wie etwa eine Cézanne-Ausstellung in Paris und London. Monet zog schon 1995 rund 965.000 Besucher in das Art Institute Chicago. Immerhin 572.000 Besucher bewunderten 1993 die Kunstschätze der russischen Sammler Morosow und Schtschukin im Essener Museum Folkwang. Diese Bestmarke hat in dem Museum bis heute Bestand. In diesen Jahren demonstrierte Götz Adriani mit seiner Tübinger Kunsthalle, dass auch abseits der Kunstmetropolen große Publikumsausstellungen möglich sind. 430.000 Besucher sahen 1993 in Tübingen die Werke Paul Cézannes – nur ein Beispiel für eine ganze Reihe von Erfolgsausstellungen in der kleinen Universitätsstadt.

      Inzwischen hat sich der Erfolg der Blockbuster gefestigt. Rekordmarken werden auch in diesem sich über Spitzenwerte definierenden Segment nicht mit zuverlässiger Regelmäßigkeit erreicht. Dafür werden immer wieder Besucherzahlen von rund 200.000 oder 300.000 für eine Ausstellung erzielt. Seit der MoMA-Schau haben mehrere Ausstellungen dieses Ziel bei den Besucherzahlen erreicht. Das kann als Zeichen für ein immer besser funktionierendes, weil inzwischen professionalisiertes Management der Museen gewertet werden. Zudem haben die Erfolge früherer Blockbuster ganz offensichtlich dazu beigetragen, dass sich ein großes Kunstpublikum herausgebildet hat, das für die Events unter den Ausstellungen zuverlässig zu begeistern ist. Der »Hype um Kunstschauen«22 avancierte in den letzten Jahren zum Normalfall. Als Besonderheit hat er sich so weit abgeschwächt, dass sein Ausnahmecharakter zuweilen kaum noch wahrgenommen wird. Die extrem lange Warteschlange vor dem Museumseinlass, anlässlich der Berliner MoMA-Schau noch als Sensation bestaunt, gehört inzwischen beinahe zum erwarteten Inszenierungselement jedes Blockbusters.

      Auch andere Elemente, die in Berlin seinerzeit noch überraschten, haben sich als gängige Museumspraxis eingebürgert, soweit es sich um die ganz großen Publikumsausstellungen handelt. Nicht ganz zwei Jahre nach der MoMA-Schau folgte die Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen dem Beispiel der auf einen Ausstellungstitel als Markennamen reduzierten Plakatkampagne, als sie ihre Matisse-Ausstellung mit Plakaten ankündigte, die den bloßen Nachnamen des Künstlers wie eine bekannte Markenbezeichnung isoliert aufführten. Mit 295.000 Besuchern fügte sich dieses Ausstellungsereignis ebenso in die Reihe der Blockbuster-Präsentationen wie die Schau Marc, Macke und Delauney, die im Hannoveraner Sprengel Museum 2008 einen ähnlich hohen Besucherzuspruch verzeichnen konnte. Noch erfolgreicher schnitt die Ausstellung Van Gogh. Felder in der Bremer Kunsthalle ab. Mit 322.000 Besuchern wurde sie 2002 im Publikumszuspruch bundesweit nur von der Documenta 11 übertroffen. Das Bremer Haus kultiviert seine Serie großer Publikumsausstellungen seit Mitte der 1990er-Jahre. Nur noch ein Beispiel aus dieser inzwischen langen Erfolgsgeschichte: Zu Monets Camille und das Frauenbildnis des Impressionismus kamen 2005 rund 230.000 Besucher. Allein diese Ausstellung erbrachte

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