Blockbuster. Stefan Lüddemann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Blockbuster - Stefan Lüddemann страница 5
Sie haben mit Ausstellungen in der Kunsthalle Tübingen schon früh große Erfolge beim Publikum erzielt. Sehen Sie sich als Erfinder des Formats der Kunst-Großausstellung?
Man zählt mich wohl zu diesem Erfinderkreis. Allerdings war mein Ausgangspunkt immer der der Qualität und nicht der der Quantität. Eine Ausstellung muss nicht groß sein, sie muss gut sein und dadurch die Besucher überzeugen. Nicht zuletzt deshalb habe ich mich niemals einem auf leichte Konsumierbarkeit erpichten Publikum populistisch angedient. Mein Ziel war und ist es anspruchsvolle Ausstellungen zu verwirklichen, die es in dieser Form in Deutschland oder im deutschsprachigen Raum noch nicht gegeben hat. Heute ist es zugegebener Maßen schwieriger diesbezüglich erfolgreich zu sein, da die Konkurrenzsituation größer ist. Das Alleinstellungsmerkmal der Tübinger Ausstellungen von Cézanne, Degas und Renoir bis zu Rousseau oder Picasso – aber auch von Polke, Beuys, Warhol und anderen – war seinerzeit vorhanden und ein entscheidender Faktor für den Publikumszuspruch.
Ist die Zeit dieser Erfolge für Tübingen vorbei?
Es wird in der Tat komplizierter, etwas zu realisieren, was es noch nicht gab. Ich habe vor allem Wert darauf gelegt, die nach meinen persönlichen Interessenlagen ausgewählten Ausstellungen wissenschaftlich zu bearbeiten und mit entsprechend fundierten Katalogen zu versehen. Insbesondere diese Qualitäten, das heißt die spezifischen Inhalte und ihr wissenschaftlicher Anspruch, haben dafür gesorgt, dass die Kunsthalle Tübingen Erfolge zeitigen konnte und auf die Landkarte der international anerkannten sowie vielfach besprochenen Kunstziele gekommen ist. Mir ist klar, dass Erfolge nicht perpetuierbar sind und andere Institutionen jetzt versuchen, auf ähnlichen Schienen zu fahren. Doch das Schienennetz wird immer enger und das Verkehrsaufkommen dichter, sodass Pannen und Reinfälle vorprogrammiert sind.
Das Repertoire ist ja begrenzt.
Meine Chance war es, noch »Marktlücken« ausfindig machen zu können und diese mit attraktiven Inhalten zu füllen. Wahrscheinlich konnte man es sich einfach nicht vorstellen, dass es im deutschsprachigen Raum vor Tübingen keine Ausstellungen mit Werken von Degas, von Renoir, von Rousseau und anderen gegeben hatte und dass Cézanne, Degas oder Toulouse-Lautrec noch nie in diesem Umfang gezeigt worden waren.
Mit Blick auf ihre Ausstellungserfolge haben sich schon viele gefragt: Wie macht der Adriani das bloß? Was war Ihr Erfolgsrezept?
Ich konnte zum richtigen Zeitpunkt wichtige Ausstellungen realisieren, da mich im In- und Ausland zahlreiche private Leihgeber sowie die Kollegen der öffentlichen Sammlungen, die mir über viele Jahre freundschaftlich und kollegial zur Seite gestanden sind, großzügig unterstützt haben. Im Gegensatz zu den oft gigantischen Etats, die inzwischen gang und gäbe sind, hatten wir über dreißig Jahre lang einen jährlichen Ausstellungsetat von 80.000 DM, sprich 40.000 Euro! Damit stellten meine Mitarbeiterin, Frau Engelhardt, und ich, ohne zusätzliche Hilfstruppen geschweige denn entsprechende Marketing- und Werbeteams, die genannten Projekte auf die Beine gestellt. Das wäre heute undenkbar. Ich verließ mich darauf, dass wir unsere Vorhaben, die damals schon Versicherungswerte in Milliarden-DM-Höhe hatten, durch den erhofften Besucherzustrom würden finanzieren können. Nach derzeitigen Kriterien mag es naiv erscheinen, das Risiko einzugehen, mit 40.000 Euro im Rücken Ausstellungen zu stemmen, die Millionen kosteten.
Aber Sie hatten doch Sponsoren?
Wir hatten bei einigen der erwähnten Ausstellungsereignisse Daimler als Sponsor, wobei in erster Linie Ausfallgarantien übernommen wurden, die wir allerdings nie in Anspruch nehmen mussten.
Was halten Sie von den Erwartungen, die Kulturpolitiker und Marketingfachleute an Großausstellungen knüpfen?
Die Ausstellungen in Tübingen haben der Stadt tatsächlich viel Geld gebracht. Bei den Gemälden Cézannes oder Renoirs waren es jeweils rund 25 Millionen DM, die die städtische Wirtschaft durch Umsätze vereinnahmen konnte. Das ist für Politiker eine höchst attraktive Begleiterscheinung. Die Gefahr dabei ist, dass sich mancher dazu verleiten lässt, die gleichen Erfolge immer wieder einzufordern. Das geht natürlich nicht. Politiker müssen auch bereit sein, Durststrecken mitzufinanzieren, in denen es eben nicht um hohe Besucherzahlen gehen kann. Unsere Aufgabe als öffentliche Einrichtungen ist es, nicht nur publikumsträchtige Ausstellungen vorzusehen, sondern auch solche, die diese Erwartungen nicht erfüllen können, die uns aber dennoch wichtig sind und am Herzen liegen. Ich habe in der Kunsthalle immer wieder zeitgenössische Kunst gezeigt. So hatten wir bei der ersten Sigmar-Polke-Retrospektive, die 1976 in der Kunsthalle Tübingen stattfand, kaum 600 Besucher. Auch eine solch geringe Besucherresonanz sollte von der Politik, das heißt von den Geldgebern, im Zusammenhang gesehen und akzeptiert werden.
Sie haben ja nicht nur Geld für die Stadt, sondern auch für die Kunsthalle verdient.
Die Gewinne kamen sowohl dem Neubau eines Verwaltungsgebäudes als auch der 2003 errichteten Stiftung Kunsthalle Tübingen zugute. Dafür brachte die Stadt die von uns im Laufe der Jahre erwirtschafteten Mittel in Höhe von rund sechs Millionen Euro ein. Aus den Erträgen des Stiftungskapitals stehen der Kunsthalle seit 2004 rund 200.000 Euro zur Verfügung.
Sie haben die höchste Besucherzahl 1993 mit den Gemälden von Cézanne erreicht. Damals kamen in drei Monaten 430.000 Besucher in die Kunsthalle Tübingen, und es wurden im selben Zeitraum rund 250.000 Kataloge verkauft. Auch die Renoir-Ausstellung konnte ähnliche Zahlen aufweisen. Aber diese Erfolge gab es ja auch nicht aus dem Stand?
Wir hatten 1978 mit knapp 200 Exponaten erstmals das zeichnerische Werk Cézannes umfassend gezeigt. Damals kamen 30.000 Besucher, darunter kompetente Sammler, die sich für den in Tübingen ausgestellten, bislang nur wenig beachteten Aspekt des cézanneschen Œuvre interessierten. Das hat bei der zweiten Ausstellung mit 123 Cézanne-Aquarellen erheblich weitergeholfen und bei der dritten mit fast 100 Gemälden des Künstlers erst Recht. Wie Sie sehen, habe ich mich Schritt für Schritt an das Thema, an die Leihgeber und an die Besucher herangetastet. Dabei sind deren Zahlen über die Jahre hinweg enorm gestiegen. Nach dem Motto: »Jetzt machen wir auch mal eine Blockbuster-Ausstellung« haben es einige Städte auf ihre Art mit Ausstellungsschnellschüssen in ungeeigneten Stadt- und Messehallen versucht. Aber das funktioniert nicht. Man braucht Jahre, um das Gelingen entstehen zu lassen, um bekannt zu werden und vor allem das Vertrauen der renommierten Sammler und der Kollegen an den Museen weltweit zu gewinnen. Das war nicht immer einfach, zumal die Kunsthalle Tübingen als Ausstellungsinstitut ohne eigenen Bestand, auf Leihgaben nicht mit Gegengaben reagieren kann. Das Gespür für jenes langsame und oft mühsame Wachstum der Projekte, das schließlich zum Erfolg führt, das vermisse ich heute.
Gab es Blockbuster-Ausstellungen in den letzten Jahren, die Sie für missglückt oder überflüssig halten?
Gewiss trifft es zu, dass sich das Format der Großausstellungen zunehmend veräußerlicht. Es wird zu sehr auf Werbung, Marketing und Design abgehoben und zu wenig auf die innovativen Momente. Eine Ausstellung muss ja vor allem Sinn machen. Zum Beispiel finde ich es begrüßenswert, dass in Frankfurts Städel-Museum Elsheimer, Cranach oder Botticelli thematisiert wurden. Das hat natürlich mit Marketing zu tun, aber solche Ausstellungen sind zunächst in besonderer Weise inhaltlich begründet.
Wie verändern Großausstellungen die Wahrnehmung von und den Umgang mit Kunst?
Die Wahrnehmung von Kunst aber auch von deren Vermarktung durch den Handel, durch Spekulanten oder durch sogenannte Kuratoren und deren Kolporteure war noch nie so weitreichend und undifferenziert wie im Augenblick. Und niemals zuvor bot die Kunst derart willfährig den Rahmen für die globalen Jahrmärkte der Eitelkeit. Man fragt sich, ob die von Ihnen genannte Wahrnehmung mit dem Wahr-Nehmen im Wortsinne