Die Giftmischerin. Bettina Szrama
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Читать онлайн книгу Die Giftmischerin - Bettina Szrama страница 10
Am nächsten Morgen brannte Gesche darauf, ihr Glück mit der Mutter zu teilen. Überglücklich lief sie hinunter in die Schneiderwerkstatt. Margarethe stand mit einem Gürtel voller Nadeln um die Hüften und hochgeschlagenen Ärmeln vor einer Schneiderpuppe und versuchte gerade, einen Tuchballen von mehreren Fuß über das Podest zu ziehen. Nachdem sie ihn endlich in die richtige Lage gebracht hatte, griff sie nach dem Gewicht zum Falteneinpressen. Doch die Tochter kam ihr zuvor und nahm ihr das Eisen übermütig aus der Hand. Die Neuigkeit war ihr wichtiger als der Wollstoff.
»Mutter, stell dir vor, gestern Abend hat mich der junge Herr Miltenberg vom Theater nach Hause gebracht. Er ist ein recht feiner Herr, und, Mutter, er ist wohlhabend, so reich, reich«, sprudelte es aus ihr heraus.
Jubelnd umfasste sie die Hüften der Mutter und schwenkte sie einmal im Halbkreis herum. »Ach Mamachen, deine Finger werden nie wieder zerstochen sein. Sonntags werden wir, in Samt und Seide gekleidet, in den Parks spazieren gehen und uns auf großen Festlichkeiten bewundern lassen. Wir werden Pferde haben, eine eigene Kutsche und ein großes Haus. Oh, wie werden uns die Nachbarn um dieses Glück beneiden und erst meine Freundinnen.« Von Gefühlen für den Herrn Miltenberg sprach Gesche dabei nicht, bis Margarethe sie mit den Worten aus ihren Träumen riss: »Es ist wichtig, dass ihr immer Brot habt. Aber Kind, gefallen muss dir der junge Herr auch. Wo bleibt in deinen Träumen die Liebe?«
Obwohl die Frage etwas unerwartet kam, hatte sie sofort eine Antwort auf den Lippen. Sie ließ die Mutter plötzlich los, sodass diese sich an einer Schneiderpuppe festhalten musste, und antwortete ihr ungeduldig: »Die wird sich mit der Zeit schon einstellen. Warum sollte ich einen Mann nicht lieben lernen, der mir Glück und Reichtum verspricht.«
Einen Augenblick lang beobachtete sie schweigend die Wirkung ihrer Worte, bevor sie sich sogleich wieder lachend und trällernd ein fertiges Kleid einer Schneiderpuppe über den Kopf zog. »Wie steht mir das?«, fragte sie und drehte sich damit kokett vor dem Spiegel.
»Gut, mein Kind. Die Farbe passt gut zu deinem blonden Haar und deiner grazilen Figur. Aber hänge das Kleid wieder zurück auf das Podest. Frau Geheimrätin wird sonst nie wieder ein schwarzes Taftkleid bei uns bestellen, wenn du es zerdrückst.« Sie nahm es ihr vorsichtig aus den Händen und stülpte es raschelnd über die weißen Batistunterhöschen. Dann zupfte sie eine Weile schweigsam an den Unterröcken und Volants herum, bis sie in Gedanken äußerte: »Du solltest lieber Weiß tragen, niemals ein Trauerkleid.« Mit den Nadeln im Mundwinkel sah sie Gesche nachdenklich an. Dann stellte sie plötzlich die eigentlich wichtigste Frage: »Bist du dir auch sicher, dass der Herr Miltenberg als Brautwerber beim Vater um deine Hand anhalten wird?«
Jetzt wich alle Freude aus dem hübschen Mädchengesicht. Wie so oft wollte die Mutter sie wieder einmal nicht verstehen, und die Enttäuschung löste sich in einem Tränenstrom. »Du gönnst mir mein Glück nicht, Mutter. Nie gönnst du mir etwas. Aber ich bin ja auch nicht Christoph, den du im Herzen mehr liebst als mich«, schluchzte sie und stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Wie kannst du überhaupt solche Bedenken hegen. Natürlich wird Gerhard Miltenberg beim Vater vorsprechen. Er hat es mir versprochen.«
»Was hat denn meine Liebe zu Christoph mit deinem Glück zu tun, Gesche«, wendete Margarethe geduldig ein. »Du weißt genau, dass er, seit er in die weite Welt hinausgezogen ist, allzu schnell der verblendenden Lust und Verführung verfallen ist. Alle unsere von Tränen und blutenden Herzen erfüllten Briefe, die ihn in ein ordentliches Leben zurückholen sollen, erreichen ihn nicht, nur für die Taler, die wir ihm schicken, hat er eine offene Hand. Ein undankbarer Sohn ist er, der seinen Eltern Kummer bereitet. Gerade deshalb wünsche ich mir für dich das allergrößte Glück auf dieser Erde. Ich hoffe, dir ist auch bekannt, was für ein unseliger Ruf dem Herrn Miltenberg vorausgeht.«
»Ach, alle die üblen Nachreden über den geschätzten Herrn Miltenberg sind nur infame Lügen der neidischen Nachbarn«, versuchte sie die Bedenken der Mutter zu entkräften. Dabei war ihr nicht wohl, wusste sie doch genau, dass die Mutter recht hatte. Aber ihre Gedanken kreisten immer wieder zu den vielen schönen Kleidern und dem großen Haus zurück, in dem sie künftig leben würde, und diesen Traum wollte sie sich nicht zerreden lassen.
In den nächsten Tagen geschah es ab und an, dass Gerhard Miltenberg der Jungfer Gesche ausgerechnet dann begegnete, wenn sie gerade vor dem Haus die Straße fegte. Jedes Mal grüßte er freundlich und stieg vom Wagen. Er fragte interessiert nach ihrem Befinden, und wenn sie ihm mit geröteten Wangen schlau antwortete: »Gut, Herr Miltenberg. Jetzt geht es mir noch besser«, lobte er ihre Arbeit und äußerte sich artig über ihre Schönheit und ihre Tugend. Dabei verschlang er sie mit den Augen und konnte sich manchmal kleinerer frivoler Bemerkungen, wie sie unter Verliebten üblich sind, nicht enthalten. Seit der Begegnung in der Komödie hatte die schöne Gesche seine Sinne so weit berauscht, dass er, die Hölle seiner Ehe allmählich vergessend, allen Ausschweifungen entsagte und nur noch mit ihrem Bild im Herzen lebte und sich nichts sehnlichster wünschte, als ihren holden Körper endlich in seinen Armen halten zu können.
An einem Sonntag, morgens um zehn Uhr, wurde dann der folgenschwere Gang des Freiwerbers von Post nach dem Haus des Schneidermeisters angetreten. Gerhard Miltenberg lief derweil ungeduldig vor dem Haus auf und ab, während der Magister den Vater Timm zu sprechen wünschte. Gesche stand in der Küche und wusch die Schüsseln. Beim Anblick des ganz in Schwarz gekleideten Magisters lief sie rasch zum Vater und sagte: »Vater, komm doch mal, da ist ein Herr, ich glaube, es ist ein junger Prediger, ganz schwarz gekleidet und von feinem Aussehen.« In ihrer Aufregung lief sie auf zitternden Beinen hinauf in ihr Zimmer, setzte sich mit klopfendem Herzen auf das Bett und faltete die Hände zum Gebet. »Bitte, Herrgott«, flehte sie mit feuchten Augen, »mach, dass alles gut wird und der Vater einer Hochzeit zustimmt.« Dann lauschte sie mit einem Ohr an der Wand, wie der Vater den Brautwerber in die Stube bat und die Mutter rief, sie sollte doch für den Herrn von Post aus der Küche ein wenig Gänseleberpastete und eine Flasche vom besten Wein aus dem Keller bringen. Bei so viel Freigebigkeit wusste sie, dass der Vater den Brautwerber mit allen Ehren empfing. Sie lächelte vor sich hin. Als der große Zeiger der Küchenuhr sich über den kleinen schob, war es zwölf Uhr, und Gesche wurde vom Vater in die Wohnstube gerufen. Am Tisch vor den halb gefüllten Gläsern und dem Porzellangeschirr, das nur sonntags aus dem Schrank geholt wurde, saßen der Herr von Post, der Vater und Mutter Timm mit einem gewissen Ernst auf den Gesichtern, blickten aber auch wohlwollend, als sie Gesches Unsicherheit bemerkten. Vater Timm wies auf den freien Stuhl ihm gegenüber und forderte sie feierlich auf: »Setz dich, mein Kind! Falte deine Hände, wie es bei Tisch schicklich ist, und vernimm, was wir dir zu sagen haben. Der Herr von Post ist gekommen und hat für den einzigen Sohn und Erben des Hauses Miltenberg, Gerhard, bei mir um deine Hand angehalten. Für diese große Ehre solltest du zehn Vaterunser beten und dem Herrgott danken. Der junge Herr, dein zukünftiger Ehemann, ist nämlich der Erbe des größten Hauses in der Pelzerstraße, einschließlich der sieben Nebenhäuser zur Rechten und zur Linken mit einem Wert von 20.000 Talern.« Ergriffen von seinen eigenen Worten, wischte er sich verstohlen eine Träne aus den Augen. »Obendrein erbt er das gesamte köstliche Mobiliar und die wertvolle Gemäldesammlung, worunter sich Stücke von 300 Taler Wert befinden. Also bedenke gut, mein Kind, welches Glück dich in diesem Moment trifft und welche Antwort du dem Herrn Magister gibst.«
Gesche sah die leuchtenden Augen des Vaters und die Mutter, wie sie vor Ergriffenheit in das Taschentuch schnupfte. Längst hatte sie die Entscheidung in den Augen des Vaters gelesen. Niemals würde sie es wagen, diese anzuzweifeln. Als sie mit zitternden Lippen zu einem ›Ja‹ ansetzte, ergänzte von Post, dessen Blicke während der Rede des Vaters ruhig auf ihrem Gesicht gelegen hatten: »Nicht zu vergessen allerdings wäre eine kleine Hypothek von 1.000 Talern, welche das Haus belastet. Dass deine Eltern,