Die Giftmischerin. Bettina Szrama
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Читать онлайн книгу Die Giftmischerin - Bettina Szrama страница 16
Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, entwand sich Gesche seinen Armen. Im Überschwang ihrer Freude riss sie den Vater mit hoch. Vor Freude klatschte sie in die Hände und zog ihn zur Tür. Das eben geführte Gespräch schnell vergessend, dachte sie nur noch daran, in welchem Kleid sie am Abend auf dem Ball erscheinen würde, um Gottfried zu gefallen.
Unschuldig plauderte sie: »Oh, mein geliebter Vater, du weißt gar nicht, welches Glück du mir eben bereitet hast. Nie werde ich dir das vergessen. Ich schwöre dir bei meiner Tugend, ich werde dir nie wieder Anlass zum Ärger geben.«
Erschrocken hielt Margarethe inne und raffte das Schultertuch fester über der Brust zusammen. Obwohl sie die ärmliche Gegend vor dem Hohentore kannte, zog sie unbewusst ihren Fuß zurück, den sie bereits auf die erste Stufe in die Tiefe gesetzt hatte. Rasch warf sie noch einmal einen Blick auf den Zettel mit der Hausnummer der Kaffeefrau, den ihr Lucia, die Zigeunerin, gegeben hatte. Die Nummer stimmte. Trotzdem grauste es ihr vor dem modrigen Geruch und der eisigen Kälte, die ihr aus der Dunkelheit entgegenschlugen.
Seltsam, dass Menschen so leben können, dachte sie und beugte den Oberkörper etwas vor, um in den durch einen dunklen Gang erreichbaren Hinterhof zu sehen. Als sie am Ende ein schwaches Licht erblickte, fasste sie neuen Mut und stieg die drei Stufen hinab, vorsichtig, immer einen Fuß vor den anderen, um nicht auf dem feuchten Lehmgestein auszurutschen. Schritt für Schritt tastete sie sich weiter vorwärts. Einmal rutschte sie. Nach einem Halt suchend, stützte sie sich mit der Hand an der bröckligen Lehmwand ab. Die Wand war kalt und schmutzig. Gleich darauf zog sie die Nase in krause Falten und schnupperte. Je näher sie dem Licht kam, umso mehr roch es nach menschlichem Unrat. Wieder zögerte sie und überlegte, ob es richtig war, Lucias Rat zu befolgen und Auskünfte über die Zukunft der Tochter von der Kaffeeleserin einzuholen. Doch Lucias gestrige Prophezeiungen aus den Karten, Gesche würde viele Sterbefälle zu beklagen haben und sich ein zweites Mal verheiraten, trieben sie weiter. Die düstere Weissagung ließ ihr keine Ruhe, zumal Lucia danach zu keinem Wort mehr bereit gewesen war. Aber sie hatte recht behalten mit ihrer Warnung vor den Kaffeeleserinnen. Diese Frauen lebten in ärgster Armut. Der Weg dorthin war mit Schmutz beladen und nicht ungefährlich.
Doch nicht nur Lucias Prophezeiung hatten sie zum Hohentore geführt. Die seltsame Verwandlung der Tochter selbst war es gewesen. Sieben Jahre war sie nun mit Miltenberg verheiratet, und die Tochter veränderte sich immer mehr. Ständig gab es Streit wegen ihrer auffälligen Eitelkeit. Obwohl sie ihr bisher nicht nachreden konnte, dass sie Miltenbergs Haushalt vernachlässigte oder sich den Bittenden versagte, verbrachte sie die meiste Zeit vor dem Spiegel, um sich zu schminken und zu putzen, und die Ausgaben ihrer Kleider überstiegen bei Weitem Miltenbergs Vermögen. Wie oft hatte es deswegen Auseinandersetzungen gegeben, zwischen ihr, Gesche und dem Vater, der auf Miltenberg schimpfte, weil er zu wenig Interesse für seine Ehefrau zeigte. Am allerwenigsten konnte sie es verstehen, dass sie ihre Mutterpflichten bei Adeline, ihrer Erstgeborenen, allein der Dienerschaft überließ, um mehr Zeit für ihre Toilette zu haben.
»Treten Sie ein, Madame.«
Margarethe schreckte aus ihren Gedanken auf. Sie stand vor einer in das Mauerwerk eingelassenen Holztür. In Gedanken versunken, hatte sie nicht bemerkt, dass sie geöffnet wurde. Jetzt starrte sie auf einen dunklen Vorhang, hinter dem erneut die Aufforderung erklang, einzutreten. »Kommen Sie, kommen Sie! Es wird kalt, und ich friere leicht.«
Beklommen beeilte sie sich und schloss rasch die Tür hinter sich. Hinter dem Vorhang war es schummrig. In der Mitte des Zimmers empfing sie ein altes Weib, das hinter einer spitz geformten Öllampe saß. Der Lichtschein war auf die große, bauchige Tasse vor ihr auf dem Tisch gerichtet. Die Gesichtszüge wirkten wie eingemeißelt und waren ganz gelb vom Pfeiferauchen. Sie hoben sich gespenstisch von dem dunklen Tuch ab, das die Alte um die Schultern trug.
»Kommen Sie, kommen Sie, ich habe Sie schon erwartet«, brummte die Frau und wies mit ihrer knochigen Hand auf den Holzschemel vor dem Tisch.
Margarethe stutzte, überlegte, ob sie nicht wieder gehen sollte, beeilte sich dann aber, der Aufforderung zu folgen. Etwas steif, mit einem verlegenen Lächeln auf dem Gesicht, ließ sie sich der Frau gegenüber nieder. Dabei zupfte sie nervös an dem Taschentuch zwischen ihren Händen.
Die Alte rückte ihre Haube zurecht und beobachtete sie über den Tassenrand. »Es geht dir nicht gut, meine Tochter. Dich plagen große Zweifel«, schnarrte sie, und Margarethe erschrak. Woher konnte die Alte das wissen?
»Ja. Es ist meine Tochter Gesche, weswegen ich komme«, antwortete sie befangen.
»Ich weiß. Deine Tochter ist dabei, abtrünnig zu werden. Sie verleugnet ihre Tugenden und ergibt sich der Wolllust und dem schnöden Mammon.«
Margarethe erschauerte unter dem Wollstoff ihres Umhangs, einem Geschenk Gesches zu ihrem Geburtstag. Wie erriet die Alte nur ihre geheimsten Gedanken? »Nein, gute Frau. Ganz so ist es nicht«, versuchte sie, die Tochter in Schutz zu nehmen. »Gesche ist eine brave Tochter und macht uns immer viel Freude. Sie beschenkt uns mit ihrer Liebe und ist eine tugendhafte Ehefrau. Doch ihr Ehemann, der Miltenberg Gerhard, vernachlässigt sie. Er ist kaum noch zu Hause. Meistens treibt er sich hier und da umher und überlässt die Geschäfte seiner Ehefrau. Das Kind ist so allein. Wenn Gott und wir sie nicht beschützen würden …«
»Deine Tochter ist nicht allein. Luzifer ist bei ihr und erwärmt ihre einsame Seele«, unterbrach die Alte sie ungeduldig und stocherte in der Tasse mit einer braunen, dickflüssigen Brühe vor ihr.
Nur zu gut ahnte sie, wen die Alte in dem Vergleich mit dem Teufel meinte.
»Ich habe ihr in jedes Kleid einen halben Kreuzgroten und im Kindbett in ein Kissen Kräuter eingenäht, um sie davor zu beschützen«, erwiderte Margarethe kleinlaut.
Doch die Alte schüttelte den Kopf. »Man hat dir prophezeit, dass deine Tochter ihre Familie einmal überlebt, aber dabei niemals glücklich werden wird.« Listig belauerte sie Margarethe.
Margarethe nickte eifrig. Ihre Hände begannen zu schwitzen. »Ja, selbst der Automat in der Obernstraße, der, in dem der dünne Mann mit dem komischen Hut und den großen Zähnen sitzt, hat mir dies vorausgesagt. Aber was besagt diese Prophezeiung? Deshalb, gute Frau, komme ich zu dir und hoffe auf deine Hilfe. Man sagt, du siehst im Kaffeesatz die Zukunft so klar, wie es die Karten nicht vermögen.«
»Das stimmt«, antwortete die Alte und kratzte sich unter der Haube. Margarethes Worte schmeichelten ihr. »Doch, meine Tochter, du solltest wissen, dass der Kaffeesatz nichts Gutes über dein Kind aussagt. Deine Tochter ist äußerlich von schöner Gestalt, aber ihre Seele ist leer und böse. Bis zu ihrem 40. Lebensjahr wird sie viele Sterbefälle zu beklagen haben, und sie wird sich ein zweites Mal verheiraten.«
Plötzlich stieg eine braune Wolke aus dem Kaffeesatz bis hinauf zur grauen Zimmerdecke. Sie reizte zum Husten. Die Alte schniefte laut, hob die Tasse empor, sah kopfschüttelnd darunter und schwenkte sie dann mit leisen, beschwörenden Worten zwischen den Händen. Plötzlich stellte sie die Tasse an ihren Platz zurück, nahm einen silbernen Löffel und rührte schweigend in dem dunklen Satz. Dass sie nicht allein im Raum war, schien sie völlig vergessen zu haben.
»Was ist, gute Frau …?«
Unruhig hatte Margarethe dem unheimlichen Treiben zugesehen. Sie musste plötzlich an Johann, ihren Ehemann, denken, wie er sich vor Kurzem in der Neustadt von einem Zigeuner einen Spiegel hatte zeigen lassen und dabei leichenblass wurde. Lange hatte