Die Giftmischerin. Bettina Szrama
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Im Türrahmen drehte er sich ein letztes Mal um und drückte Johann die Hand: »Wenn Ihr das Mädchen durchbringen wollt, Johann, so müsst Ihr Euch beeilen und die Amme umgehend in Euer Haus holen. Am besten noch heute in den frühen Morgenstunden.«
Auf dem Treppenabsatz fiel ihm ein, dass er Johann gar nicht nach den Namen der Kinder gefragt hatte. Er wandte sich um und rief von der Diele aus: »Wie sollen die beiden denn heißen?«
»Der Junge Johann Christoph und das Mädchen Gesche Margarethe.«
Unheilvolle Wurzeln
»Mein Sohn, warum enttäuschst du mich so? Habe ich es dir jemals an Speise und Trank fehlen lassen? Nach welchen Wünschen, mein Sohn, sehnt sich plötzlich dein Herz? Haben wir dich nicht Gehorsam und Gottesfurcht gelehrt, dir immer wieder eingeschärft, nicht nach Dingen zu verlangen, die einfach nicht für dich gedacht sind?«
Johann Timm stand am Fenster der Schneiderwerkstatt zwischen unfertigen Schnürbrüsten, Tuchballen und Bügelblöcken und blickte mit sorgenvollem Gesicht hinaus auf die belebte Straße. Man schrieb den ersten Sonntag im Mai. Die wohlhabenden Bürger in der Pelzerstraße flanierten nach dem Kirchgang unter seinem Fenster vorbei und genossen die wärmenden Sonnenstrahlen. Nicht ohne fachliches Interesse betrachtete Schneidermeister Timm die eleganten englischen Roben, die dunkelfarbigen Röcke, die weich fließenden, unter der Brust gebundenen Gewänder aus feinster Seide und Musselin, die die Damen trugen. Ein sündiger Wohlstand, der ihm Kopfzerbrechen bereitete. Er und sein Weib galten als ehrbare Leute, einfach zwar, stets jedoch rechtschaffen und gläubig. Mit dem sonntäglichen Kirchgang allerdings nahmen sie es nicht so genau. Für Timm war es nahezu selbstverständlich, dass er und seine Gesellen auch die Sonntage zur Arbeit nutzten, um den Kunden die bestellten Mäntel, Hosen und Westen termingerecht liefern zu können. Zudem hielt er nicht allzu viel von zur Schau getragener Frömmigkeit. Die Arbeit ging vor. Nicht umsonst sagten die Nachbarn über ihn, er sei so bienenfleißig in seinem Berufe, dass er beim Nähen sogar den Atem anhalte, um die Anzahl der Nadelstiche pro Minute zu steigern. Diese redliche Arbeitsamkeit und seine Sparsamkeit hatten ihn letztlich aus der Armut herausgeholt und ihm zu einem bescheidenen Wohlstand verholfen. Umso schmerzlicher war nun die bittere Erkenntnis, dass der geliebte Sohn den Verlockungen der sündhaften Habgier verfiel und sich bereits seit Längerem heimlich aus der Haushaltskasse bediente. Nun hatte er seine Diebereien sogar bis auf die Mamsell Stubing im Haus ausgeweitet.
»Herr Vater …«, druckste Christoph leise, den Blick schamvoll gen Dielenboden gesenkt. »Niemals würde ich es wagen, die Hand wider die Gebote Gottes zu erheben. Niemals würde ich es wagen, Ihnen derartigen Kummer zu bereiten.«
»Mein Sohn! Du wagst es auch noch zu leugnen?« Mit einem Seufzer drehte sich Timm vom Fenster weg. Traurig und in maßloser Enttäuschung heftete er die Augen auf den geliebten Spross. Seltsam, dachte er bei sich. Dabei wanderte sein strenger Blick vom blonden Schopf abwärts zur hellen Leinenhose und den abgenutzten Husarenstiefeln, deren langer Schaft das magere Bein bis zum Knie verdeckte. Es war ein Schuhwerk, wie es die Husaren in den napoleonischen Korps trugen, und dem Vater galt es als sicher, dass Christoph die gestohlenen Taler dazu verwendet hatte, seiner offensichtlichen Eitelkeit zu frönen. Beim Gedanken an die Zukunft krampfte sich sein Magen zusammen.
»Knie nieder, mein Sohn, und empfange meine Strafe! Wie ich sehe, stand dir der Sinn nach Husarenstiefeln. Eine Verführung des Bösen, gut genug zum Prahlen vor deinesgleichen. Dabei hätte Schuster Hermann an der Ecke dir sicherlich ein paar ebenso gute Galoschen genäht. Du aber bestiehlst die gute Mamsell und lässt es dann auch noch zu, dass die Mutter und die Gesche auf der Suche nach dem vermissten Taler das ganze Haus durchstreifen. Frevelhafter noch, versuchst du gar den Eindruck zu erwecken, deine Schwester wäre der Dieb gewesen!«, polterte Timm, während er einen liebevollen Blick auf das blasse Mädchen an seiner Seite warf. Es bedrückte ihn, dass Christoph sich so ganz anders als Gesche entwickelte. Schon seit Längerem zeigte er sich still, ja, beinahe verstockt. Nicht einmal der kleinste Widerspruch kam über seine Lippen, während seine temperamentvolle Schwester der Mutter bei jeder Gelegenheit aufs Heftigste widersprach.
Unter dem Blick des Vaters schlug Gesche züchtig die Augen nieder. Als Timm einen Schritt auf sie zu trat, ergriff sie seine Hände und benetzte sie mit ihren Tränen: »Vater! Bitte tut dem Christoph nicht weh. Er ist kein Sünder. Er ist mein Bruder, und ich werde diese Sünde gerne auf mich nehmen, wenn ich Sie damit wieder froh machen kann.« Das war seine kluge Gesche. Die Tränen liefen ihr über die rosigen Wangen, während sie sich um der väterlichen Liebe willen mit fremder Schuld belud. Am liebsten hätte Timm die Tochter vor Rührung an sein ergriffenes Vaterherz gedrückt. Doch unterbrachen ein paar unbequeme Worte Margarethes diesen spontanen Impuls.
»Ruhig Blut, Johann, ich werde schon noch hinter die Wahrheit kommen. Just in dieser Sache habe ich mir diesen Morgen die Karten legen lassen. Nachdem ich der weisen Frau meine Not geklagt hatte, zog diese einen Spiegel hervor, und wie ich hineinsehe, oh Schreck, steht doch der Dieb direkt hinter mir und guckt mir frech über die Schulter.«
Argwöhnisch musterte Margarethe ihre Tochter, deren Wangen sich nun, da sie sich ertappt fühlte, dunkelrot färbten. Lange schon hatte die Mutter Mittel und Wege ersonnen, die Tochter, die sie der Taten verdächtigte, zu überführen. Wie ein Schwert drangen nun die Worte der Älteren in Gesches beinahe noch kindliches Herz. Dass sich die Mutter wieder einmal bei der Zigeunerin Rat geholt hatte, war ihr entgangen. Innerlich zu Tode darüber erschrocken, dass das Gesicht im Spiegel möglicherweise ihre Züge getragen hatte und ihre Taten nun entdeckt worden waren, schwor sie bei sich augenblicklich 1.000 Eide, die Mutter nie wieder zu bestehlen. Im Verstellen aber bereits eine kleine Meisterin, blieb sie nach außen hin gelassen und mimte listig die Unschuldige. »Mutter, ich stehe mit reinem Herzen vor Ihnen. Warum misstrauen Sie mir? Sollte sich in meinem Herzen das Böse eingenistet haben, so will ich nicht länger Ihre Tochter sein, und Gott wird mich auf der Stelle strafen.«
Ein wenig ängstlich ob dieser Lüge, innerlich aber dennoch frohlockend, die schmalen Hände artig vor der Brust gefaltet, erreichte sie, dass der geliebte Vater ihr nun beisprang. Überzeugt von ihrer Unschuld, wies er Margarethe zurecht: »Weib, du wirst doch einer Hexe nicht mehr Glauben schenken als deiner eigenen Tochter! Wenn Gesche eine Diebin wäre, so hätte ich es doch wohl zuerst bemerkt. Würden denn dann nicht die Groten weniger werden, die ich im Topf überm Bett für ihre Aussteuer spare? Nein, Mutter, sieh es dir doch nur an, unser zartes Kind: Sind diese sanften blauen Augen die Augen einer Lügnerin?« Von seinen eignen Worten gerührt, strich er über den blonden Schopf der Tochter.
Verunsichert schaute Margarethe nun vom Sohn zur Tochter und suchte letztlich in den gütigen Augen der grauhaarigen Mamsell, deren rundes Gesicht nun im Türrahmen erschien, nach des Rätsels Lösung. Doch Mamsell Stubing zog nur bedeutungsvoll die rechte Augenbraue etwas hoch und schloss leise die Tür hinter sich. Da fasste Margarethe die vermeintliche Diebin mit den Fingerspitzen fest am Kinn, schaute ihr unverwandt in die Augen und sagte: »Dann hat sich der Spiegel wohl geirrt, und ich muss Gott um Verzeihung bitten, dass ich meine unschuldige Tochter des Diebstahls verdächtigt habe.«
Im selben Moment bedeutete sie ihrem Gatten mit einer Geste, ihr zu einer Unterredung ein Stockwerk höher in die gute Stube zu folgen. Johann ging hinter ihr über eine schmale Treppe in das bescheiden ausgestattete Wohnzimmer. Vor einem ausladenden Schrank mit kleinen eingearbeiteten Schubladen ließ er sich nieder und erwartete mit ernster Miene, was ihm die Gattin Wichtiges zu sagen hatte.
Margarethe befreite sich zunächst vom Maßband auf ihren Schultern und legte es zu der Schneiderkreide auf den Tisch. »Gott möge mir verzeihen, Johann, wenn ich unsere Gesche verdächtige, diese kleinen Betrügereien begangen zu haben. Aber ich beobachte schon länger eine beunruhigende Entwicklung unserer geliebten Tochter, und ich mache mir ernsthafte Vorwürfe, dass wir damals