Die Giftmischerin. Bettina Szrama

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Die Giftmischerin - Bettina Szrama

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Vogt nicht an. Allem Anschein nach hat er ihr Herz unberührt gelassen. Das Kind hat nicht die allerkleinste Achtung vor Gott und den Menschen, Johann.«

      »Aber Mutter, warum siehst du die Dinge so schwarz?« Johann war aufgestanden und zog seine erregte Gattin an die Brust. Eine Geste, die er sich selten erlaubte, obwohl er Margarethe doch über alles liebte. Als rechtschaffene Leute führten sie ein Leben in gesetzmäßiger Strenge, und bei aller Liebe zu den Kindern stand die Sorge um den Lebensunterhalt eben immer im Vordergrund. Johann Timm fragte sich so manches Mal, ob er seinen Kindern nicht ein wenig zu viel abverlangte. »Vielleicht haben wir Gesche zu früh von der Schule genommen und zu viel in Haus und Werkstatt arbeiten lassen?«

      »Für diese Arbeit wird sie reichlich entlohnt. Außerdem macht sie ihr Spaß. Das intelligente Kind nutzt ja sogar seine Lese- und Schreibkünste für deine Kassenabschlüsse. Ohne sie geht es hier einfach nicht mehr. Außerdem hat sie durch die Arbeit bisher viele Taler einsparen können.«

      »Aber seit unserer Entscheidung, sie das Handwerk des Kleidermachens zu lehren, leidet sie zusehends an einer Augenschwäche und bekommt häufig Drüsenentzündungen. Überhaupt wird sie immer zarter und magerer«, verteidigte Johann seine geliebte Gesche. Auf die Tochter ließ er nun mal nichts kommen. Es fehlte ihm einfach die Vorstellungskraft, in dem sanften Kind könne etwas Böses, ja, vielleicht sogar etwas Bedrohliches schlummern.

      Margarethe, die wiederum den Sohn selbst genährt und ihn wahrscheinlich schon deshalb ein wenig mehr ins Herz geschlossen hatte, entzog sich Timm. Die Hände in die ausladenden Hüften gestemmt, belehrte sie ihn: »Daran liegt es auch nicht. Gesche wird nur an drei Tagen der Woche zum Wollnähen herangezogen, eine Fertigkeit, in welcher Majorin Köhnen sie mit viel Hinwendung und Ausdauer unterrichtet. Eben gerade, weil ihr aufgrund dieser Augenschwäche das Erlernen jeder feineren Handarbeit unmöglich ist. Allerdings konnte sie sehr gut sehen, als sie mich einst beim Weißbrot-

      holen bestahl und sich dabei unentdeckt wähnte. Damals schon hätte ich sie zurechtweisen sollen, dann hätte sie vielleicht nie damit begonnen, heimlich aus meiner Tasche erst einen, dann zwei und später drei Groten zu entwenden, bis sie bei zwölfen angelangt war. Zunächst zweifelte auch ich, ob nicht doch auch Christoph dahinterstecken könne. Aber die bestohlene Mamsell hat mich in meinem Verdacht bestärkt.«

      »Nicht die Mamsell war es, Margarethe. Das unheilige Weib, diese Zigeunerin, hat dich wider unsere Tochter aufgehetzt und dir die Augen verblendet. Seit der Geburt der Zwillinge liebst du Christoph mehr als Gesche, gib es doch endlich zu.« Enttäuscht sprach Johann jetzt lauter, als er es beabsichtigt hatte. Nie tat er etwas unüberlegt, und immer war er sich eins mit seinem Weibe. Aber dieses Mal verlor er schlicht die Beherrschung und überschüttete sie geradezu mit Vorwürfen, weil er den Eindruck hatte, dass Margarethe der geliebten Tochter zutiefst Unrecht tat. Als er der schroffen Wirkung seines unbeabsichtigten Gefühlsausbruchs gewahr wurde, vergewisserte er sich zunächst, dass ihn niemand im Hause gehört hatte, und schlug einen leiseren Ton an. Die Hände auf dem Rücken und den Kneifer im Auge, begann er, mit kurzen Schritten nervös vor Margarethe auf und ab zu laufen.

      »Aber Mutter!«, verfiel er wieder in die übliche liebevolle Anrede und blieb vor Margarethe stehen. »Wir haben die Kinder doch zur Einfachheit erzogen. Schon das Geschenk eines Kreuzbrotes kann unsere Gesche ebenso erfreuen wie die kostbarste Gabe. Nie ist Traurigkeit in ihrem Gesicht zu lesen, immer leuchtet ein kleines Lächeln in ihren Augen, und bereitwillig, fast schon glücklich, trägt sie deine abgelegte Kleidung. Margarethe, ich bitte dich, entsinne dich doch einmal, wie sie sich über ihr erstes eigenes Seidenkleid zur Konfirmation gefreut hat. Überglücklich war das Kind. Seitdem beschenkt sie jeden Mittwoch und jeden Freitag die Armen mit übrig gebliebenen Speisen, alten Kleidern oder auch mal einem Groten. Denk nur an das vielstimmige Lob auf unsere liebliche, sanfte Gesche aus den Mündern dieser armen Leute. Sie reden sogar schon von einem Schatz, den wir uns im Hause großziehen. Denk daran, dass dieses Kind vor Mitleid bittere Tränen vergießt, wenn es eine tote Wespe im Honig findet oder der Hofhund an Altersschwäche stirbt. Bist du nun etwa immer noch davon überzeugt, dass so ein wundervoller Mensch die Eltern bestiehlt?«

      Auf Margarethes Gesicht breitete sich ein warmes Lächeln aus. Oh, wie sehr sie ihren Johann doch liebte! Mit seiner Herzenswärme und seinem Verstand hatte er es wieder einmal geschafft, ihr sämtliche Zweifel von der Seele zu reden.

      »Wir werden es noch einmal genau überdenken. Vielleicht ist der Dieb auch unter den Gesellen zu suchen, und wir beschuldigen unsere Kinder zu Unrecht. Du hast recht, Vater! Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Unsere Kinder bekommen die beste Erziehung, die wir ihnen nur geben können. Alles andere wird Gott richten.«

      Ein paar Jahre später, gegen Mitternacht: Der Nachtwächter lief durch die Gassen und läutete die Schlafenszeit ein. Mit dem letzten Glockenschlag der Kirchturmuhr löschte er die Straßenlaternen. Da die Pfähle der Öllampen viel zu hoch für ihn waren, musste er sich weit nach oben strecken, und es dauerte eine Weile, bis auch das letzte Lampenglas erlosch. Nur in den Lesezimmern des englischen Klubs und in einem der Kasinos um die Ecke brannte nun noch schummriges Licht. Ab und zu, wenn die Tür sich öffnete, zerrissen ein paar Männerstimmen die Stille, und Gesprächsfetzen drangen hinaus auf die Straße bis hin zur Schneiderwerkstatt. Hier saß die Jungfer Gesche auf einem Schneiderpodest und trug im trüben Schein der Öllampe die Verdienste des Vaters und die Haushaltsausgaben der Mutter mit einer Feder in das vor ihr liegende Wirtschaftsbuch ein. Für Butter, Brot, Torf und Wintergemüse zählte sie für die Mutter das Geld im Voraus ab und wickelte es in ein Papier, wo-

      rauf sie mit fein säuberlicher Schrift die jeweilige Bestimmung vermerkte. Die frühen Nachmittagsstunden hatte Gesche in der Kirchspielschule mit Rechnen verbracht. Danach war ihr es vergönnt gewesen, ein paar Minuten in ihrem Lieblingsbuch zu lesen. Von dieser Lektüre noch völlig in den Bann gezogen und im Herzen stark berührt, unterbrach sie die Arbeit und ließ den Blick träumerisch in die Ferne schweifen. In diesem Moment betrat ihr Bruder Christoph die Werkstatt, mit schneeweißen Händen, die wilden, sonst ungebändigten Haare im Nacken zum Zopf gebunden, den er mit einer dunklen Schleife auf dem Scheitel befestigt hatte. Eine Weile lang sah er ihr beim Träumen zu, bevor er sie kopfschüttelnd fragte: »Was machst du hier noch zu so später Stunde, Schwester?«

      Als er keine Antwort erhielt, huschte ein kaum merkliches Grinsen über das Gesicht des jungen Mannes. Das Schicksal schien es gut mit ihm zu meinen und gab ihm offenbar die Möglichkeit, sich hier nun wenigstens etwas für die vielen zu Unrecht erlittenen Beschuldigungen zu rächen. Blitzschnell fuhr seine Hand über den Tisch und schob eine Reihe aufgestapelter Groten vom Tisch, die daraufhin klirrend zu Boden rollten. Gesche entfuhr ein spitzer Schrei, doch fing sie die Münzen geschickt mit den Händen an der Tischkante auf. Unwirsch tadelte sie den Bruder: »Warum störst du mich bei der Arbeit und bringst alles in Unordnung?«

      Auf den ebenmäßigen, wie von der Hand eines Bildhauers geschaffenen Zügen lag ein sanfter Vorwurf. In den blauen Augen hinter der grauen Arbeitsbrille schimmerte es feucht. »Du weißt doch, dass die Mutter und der Vater meiner Hilfe in der Buchführung so dringend bedürfen. Also lass mich nun bitte schnell noch die offenen Einnahmen ins Buch eintragen, ja?«

      Rasch sammelte sie die restlichen Geldstücke ein. Als sie die Feder in das Tintenfässchen tauchte, um eine weitere Papierrolle zu beschriften, umschloss Christophs starke Rechte ihr zartes Handgelenk. Kritisch zog er die blonden Brauen nach oben. »Der Vater hat dir verboten, bis in die Nachtstunden hinein zu arbeiten. Er sorgt sich um deine Gesundheit. Wie lange willst du eigentlich den Eltern noch diesen Kummer bereiten?«

      Tapfer hielt Gesche dem Blick des Bruders stand, während sie seiner Umklammerung einen schwachen Widerstand entgegensetzte. Doch die Hand des Schneiders war stark. Er drückte fester zu und näherte sich ihrem Gesicht. Unnachgiebig zwang er sie, ihm in die Augen zu sehen.

      »Du arbeitest doch nicht aus Freude, so wie es die Eltern vermuten. Gib es zu, es ist das Wirtschaftsgeld,

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