Die Giftmischerin. Bettina Szrama
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Gesche kämpfte erneut gegen ihre Verlegenheit, und flinker als Marie antwortete sie: »Es ist uns eine Ehre, mein Herr.« Keusch senkte sie dabei den Blick zu Boden, als sie bemerkte, dass Kassow ihr die größere Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ.
»Sind die Damen das erste Mal in der Komödie?«, fragte er neugierig und hakte sich bei beiden unter. Gleich darauf promenierte er zwischen ihren raschelnden Gewändern.
Gesche nickte, und von seiner lockeren Art angetan, fragte sie neugierig: »Sind Sie Russe, Herr Kassow?«
»Sogar ein waschechter, mein Fräulein«, antwortete Kassow und zwirbelte sein schwarzes Oberlippenbärtchen, als sie vor der letzten Tür stehen blieben.
Die Augen auf ihr Dekolleté gerichtet, in freudiger Erwartung auf ein zartes Liebesabenteuer, schnitt er nun ein Thema an, das zurzeit in den Salons heftig diskutiert wurde und ihm die Bewunderung der Damen einbrachte.
»Seitdem Großbritannien und mein Mütterlein Russland vorhaben, die Schweiz und Holland aus der Gewalt Napoleons zu befreien, gilt für einen Weinhändler wie mich nur eines: schnellstens meine Geschäfte mit England zu retten, bevor der Wahnsinnige«, hier kam er Gesches Ohr sehr nahe, »was mir aus vertrauter Quelle zugetragen wurde, gemeinsam mit den Spaniern und den Briten den Krieg zur See eröffnet.«
»Mein Herr, Sie sind wohl kein Freund unseres französischen Kaisers Napoleon?«
Mehr überrascht als erschrocken schaute Gesche auf den hochgewachsenen blonden Herrn, der leise hinter sie getreten war und sich ohne Aufforderung am Gespräch beteiligte.
»Ein so mächtiger Herrscher, der uns eine ganz neue Welt mit außergewöhnlichen Bildungs-, Verwaltungs- und Finanzreformen verspricht. Meine Damen, wollen Sie einen solchen Propheten des Fortschritts wegen ein paar kleiner kriegerischer Auseinandersetzungen von unserem Herrn Kassow denunzieren lassen?«, versuchte er den Russen vor den Damen auszustechen, um die Aufmerksamkeit des schönen Geschlechts auf sich zu lenken.
»Kleine Kriege? Aber Herr Miltenberg, was soll das, in der Gegenwart zweier so schöner, sanfter Geschöpfe die Gefahr zu beschönigen? Glauben Sie, die Damen sind nicht informiert?«, rechtfertigte sich Kassow ob der Störung und zwinkerte Gesche zu.
Gerard Miltenberg überhörte den Einwurf. Auch er hatte nur Augen für die schöne Gesche. Aufmerksam beugte er sich über die dargebotene Hand, während Kassow seine Meinung vor den Damen erneut verteidigte.
»Stellen Sie sich nur vor, dieser verrückte Korse hat die Sklaverei wieder eingeführt. Oder denken Sie an die unlängst standrechtliche Erschießung des Herzogs von Enghien im März 1804, was das für uns Deutsche für Folgen haben wird. Zu allem Unglück hat der Wahnsinnige sich jetzt auch noch zum Kaiser krönen lassen.«
Gerhard Miltenbergs Gesicht überzog ein gelangweiltes Lächeln. Gesche mit den Augen heftige Avancen machend, versuchte er, dem Gespräch ein Ende zu setzen.
»Gehen Sie zu Ihrem Mütterchen Russland zurück, Kassow! Es wird Sie bald nötiger brauchen als Ihre englischen Geschäfte.«
Kassow wendete sich ihm jetzt mit hochrotem Gesicht zu und musterte ihn ärgerlich aus schmalen Augenschlitzen. Brachte Miltenberg sein Mütterchen Russland mit ins Streitgespräch, dann ging sein hitziges Temperament mit ihm durch. Die Hand am Degenknauf, suchte er nach Worten, um die verletzte Ehre vor den Damen wiederherzustellen.
Miltenberg bemerkte es und versuchte nun, mit Charme und Witz einzulenken. Ein Duell hier an diesem Ort, ausgerechnet vor seiner Auserwählten, war nicht in seinem Interesse. Außerdem hatte er das Weinlager des Weinaufsehers, das seinem Haus nur wenige Meter schräg gegenüberlag, längst als einen unversieglichen Quell unentgeltlichen Weingenusses entdeckt.
»Herr Kassow hat seinen Logenplatz bereits einer schon lange von ihm verehrten Schönheit angeboten, wie er mir gestern Abend im Spielsalon heimlich gestand«, log er mit einem listigen Augenzwinkern, Kassow dabei im Auge behaltend. Sein Blick bat ihn dabei heimlich um Verständnis. »So wird mir das Glück zuteil, die Damen in meine bescheidene Loge zu bitten.«
Artig beugte er sich zum Kuss über Gesches Hand, nicht ohne sie aus den Augen zu lassen, während diese etwas verständnislos von einem zum anderen sah, was wiederum sein Herz entzückte. Die Jungfer in ihrer Hilflosigkeit wirkte noch viel schöner und zarter, als er es sich erträumt hatte.
Gesche betrachtete derweil nachdenklich Miltenbergs elegante Erscheinung im dunkelbraunen zweireihig geknöpften Frack. Blitzschnell kehrte das Gespräch mit Christoph in ihr Gedächtnis zurück. Miltenberg war nicht uninteressant, er gefiel ihr, obwohl sein werbender Blick nicht die gleiche Erregung in ihr entfachte wie der glutvolle von Kassow. Dafür faszinierte sie der aufwendige Stil seiner Kleidung umso mehr.
»Mit Freuden werden wir Ihr Angebot annehmen, mein Herr«, kokettierte sie und reichte Miltenberg zum Einverständnis den Arm. Den ungewollten Seufzer, der ihr dabei entfuhr, quittierte sie bei sich mit einem Lächeln. Viel lieber hätte sie die charmante Einladung Kassows angenommen und beobachtete verstohlen, versteckt hinter ihrem seidenen Fächer, den Russen, der sich nun mit ihrer Freundin Marie tröstete. Noch einmal wollte es der Zufall, dass sie ein Blick aus seinen glutschwarzen Augen traf. Doch tapfer bekämpfte sie das Klopfen ihres Herzens und lächelte Miltenberg auffordernd zu, der es geschickt verstand, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
»Ihr seufzt, Demoiselle, ist Euch meine Aufdringlichkeit unangenehm?«, fragte er, während Gesche rasch das Versäumnis nachholte, sich vorzustellen.
»Demoiselle Gesine, mein Herr«, beeilte sie sich hinzuzufügen und log. »Gesine Timm.«
»Ein wunderschöner Name, Demoiselle Timm«, schmeichelte ihr Miltenberg. »So schön wie Eure Augen und Euer goldenes Haar«, verzauberte er sie, während sie ihm, betört von seinen Worten, gnädig die Hand überließ. Die Worte überdeckten das fehlende Gefühl in ihrem Herzen und nährten geschickt den Stachel der Eitelkeit.
Stolz wie eine Königin schritt sie nun neben ihm durch die Gänge eines Seitenflügels. An dessen Ende erwartete sie der Theatersaal mit einem ovalen Zuschauerraum und einer ziemlich tiefen Bühne. In seiner Loge bot er ihr mit einer galanten Bewegung den Stuhl neben sich an. Marie hatte in der Nachbarloge Platz genommen und unterhielt sich angeregt mit Kassow. Die unterhaltsame Art des Russen brachte die Freundin zum Lachen, was sich anhörte wie das leise Gurren eines Täubchens. Für einen Augenblick verspürte Gesche heimliche Eifersucht. Dann wurde sie betäubt von dem barocken Schein, der sie umgab, den vielen Zuschauern, welche zu den Rängen strömten, den glitzernden Roben der Damen, den farbenfrohen Gemälden an den Wänden und den auf Säulen kunstvoll kreierten Wasserspielen. Der dunkelrote Samtvorhang war geöffnet. Die Kulissen stellten eine bürgerliche Wohnung dar, die so raffiniert gemalt war, dass man nicht den Eindruck hatte, auf Wände aus Leinwand und Pappe zu sehen, sondern wirklich in einem Raum mit englischen Stilmöbeln, fein gewebten Spitzendeckchen und echtem Porzellan zu sein. Bei so viel strahlendem Glanz vergaß sie rasch den wohlhabenden Gerhard Miltenberg an ihrer Seite. Sie spürte weder seine Fingerspitzen, die sanft ihren Arm hinaufstrichen, noch vernahm sie seine geistreichen Erklärungen über das Trauerspiel, welches sich in fünf Akten vor ihr auf der Bühne abspielte. Ihre weiche Seele, schon von Kindesbeinen an dem Theaterspielen zugetan, versank in einer für sie völlig neuen Sphäre. Ergriffen und mit Tränen in den Augen verfolgte sie die tragische Liebe zwischen dem adligen Ferdinand und der Musikertochter Luise. Insbesondere die Figur der Luise hatte es ihr angetan. Sie mochte die Augen nicht einen Moment von deren Schönheit lassen und identifizierte sich so sehr mit ihrem Schicksal, dass sie zum Schluss fast in Tränen aufgelöst in Miltenbergs Arme sank, während dieser, mutig geworden,