Fahlmann. Christopher Ecker
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«Man müsste wahre Namen für alle Berufe entwickeln.» – «Wahre Namen?», fragte ich. – «Der Imker. Er klaut den Bienen den Honig und stellt ihnen Zuckerwasser hin. Müsste eigentlich Bienentäuscher heißen.» – «Oder Kregel», warf ich ein. – «Was bitteschön ist ein Kregel?» – «Eine Berufsbezeichnung. Beruf: Kregel.» Den Kregel musste ich mir merken. «And never forget the good old», das nächste Wort bettelte danach, laut gerülpst zu werden: «BLUMENWURST!» So und nicht anders waren die Erstversionen meiner schWEINe-essIG-Gedichte entstanden. Ich spreche hier bewusst von meinen Gedichten; Achim hätte unser Herumgealber nie in halbwegs brauchbaren Text verwandeln können. Und außerdem hatte er ja darauf bestanden, nicht als Co-Autor genannt zu werden. Dass ihm das jetzt Kummer macht, ist nicht mein Problem. Die Hälfte des Honorars! Lies doch selbst in der VHS, du Faulbacke! Geld will er haben! Diese Schnapsidee ist bestimmt nicht auf deinem Mist gewachsen! Nicht aufregen, schnell, schnell, zwei Gedichte. «Kregel ist doch nicht schlecht», hoffte ich. – «Geht so. Warum fragst du?» – «Ich möchte, dass mein Sohn eines Tages ein Kregel wird.» Achim sah mich nachdenklich an, aber ich verschwieg ihm auch weiterhin, dass ich es gerade bewusst darauf anlegte, brauchbare Ideen, wenn möglich sogar Notizen, zu erbeuten; und tatsächlich entwickelte sich kurz darauf aus einem harmlosen Geplänkel ein großartiger Entwurf. Alles fing damit an, dass Achim stöhnte: «Ich brauch unbedingt nen Job. Aber einen, bei dem ich wenig arbeiten muss!» – «Werd doch Außenminister des Universums», sagte ich. – «Aber das Universum krümmt sich doch in sich selbst hinein.» – «Dann werd Drontenminister!», sagte ich und taumelte einige Stunden später heimwärts, einen vollgekritzelten Bierdeckel in der Hand: Wenn sich das Universum / In sich selbst zurückkrümmt, / Bin ich eigentlich Innenminister, / Dachte der Außenminister des Universums, / Der viel lieber Drontenminister wäre, / Denn dann hätte er / Überhaupt nichts zu tun. //
Bevor ich zu Bett ging, motzte ich diese auf der Kneipentoilette heimlich notierten Zeilen mit den sattsam bekannten Zaubertricks der Lyrischen Moderne auf, legte den Bierdeckel auf die Speichertreppe, die seither bestimmt an Alpträumen leidet, und tippte am folgenden Tag:
das universum es krümmt sich in
krümmt sich in sich selbst zurück in
krümmt es sich zurück also bin ich ja ich
innenminister wenn es sich zurück es sich
krümmt das universum meine ich in sich
in krümmt es sich so dachte der außen
minister des universums ach dronten
minister ach drontenminister ach wäre
viel lieber drontenminister bitte dronten
minister universum bitte bitte dronten
minister ach drontenminister dort unten bitte
Zusammen mit meinem zweiten Meisterwerk, ich sage nur: kregel, ich sage nur: BLUMENWURST, kam das Gedicht in einen Umschlag, z. Hd. von Herrn Rolf Marsitzky, Briefmarke drauf, Jens, könntest du mir bitte einen Gefallen, klar, Papa, und schon hüpfte er mit dem drontenminister die Treppe hinab. Ich freue mich sehr, dass Sie beim Zusammenstellen Ihrer Anthologie an mich gedacht haben … Oh, wie ich Marsitzky hasste! Diesen größenwahnsinnigen Scheißkerl mit seinem großspurigen Gehabe! Er hatte mich seinerzeit durch den Verlag geführt, als gehörte alles ihm persönlich, von der Sekretärin bis zum Fotokopierer, und dabei war er bloß der kleine Gott von nebenan, ein wie ein Primus wirkender Emporkömmling im Designeranzug, Lektor für deutsche Gegenwartsliteratur, in der Jury zahlloser Literaturpreise, ein ahnungsloses Arschloch mit Seepferdchenkrawatte, das in alles reinreden musste. So hatte es in der mond-schein-parade eigentlich heißen sollen:
oma kruse und h. c. affmann
betütelt im «chez darwin»
und nicht:
oma kruse und h. c. knolle
im kurhotel «thoelke»
«Chez klingt wie eine Verballhornung des Vornamens Charles», hatte ich Marsitzky vergeblich zu überzeugen versucht, «aber andererseits gemahnt es an einen Kneipennamen. «‹chez darwin›». Verstehen Sie? Das ist symbolisch. Affenhaus Welt. Die Welt ein Tollhaus. Nur deshalb heißt es gleich in der ersten Zeile h. c. affmann, wobei ich hier zwei weitere Scherze verborgen habe. Zum einen spiele ich damit …» – «Herr Fahlmann!», unterbrach Marsitzky ungerührt. «Ich denke, Sie haben nicht verstanden. Solche», er litt, «Scherze passen nicht zum Image unseres Verlagshauses. Ich kann Ihnen aber eine geistreiche Alternative vorschlagen.» Und so wurde «chez darwin» zum kurhotel «thoelke» – in meinen Augen der fürchterlichste Fehlschlag der Evolution. Nein, das möchte ich an dieser Stelle nicht vertiefen, möchte ich eigentlich nie vertiefen. Jedenfalls klingelte einige Tage, nachdem ich den drontenminister abgeschickt hatte, das Telefon, und Marsitzky begann grußlos: «Ihre Gedichte der weltbeste», Schlucken, «kregel und, äh, krümmungen des inneren außenministers reißen mich nicht vom Hocker.» Ich atmete Angst in den Hörer, und mein Lektor verlangte unwirsch zu wissen, was Dronten seien. «Vögel», erklärte ich verdutzt und bemühte mich, nicht herablassend zu klingen. «Ausgestorbene Vögel. Auf Madagaskar …» Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob die Dronten auf Madagaskar gelebt hatten, und fügte ein klägliches «oder so» hinzu. «Das versteht keiner», sagte Marsitzky. Mauritius? Haben die Dronten nicht auf Mauritius gelebt? «Soll ich die Dronten-Zeilen weglassen?», fragte ich. Natürlich haben die Scheißvögel auf Mauritius gelebt!
«Nein, Sie sollten das ganze Gedicht weglassen! Vergessen Sie, dass Sie es jemals geschrieben haben! Es hat nicht das Niveau der schWEINe-essIG-Texte.» Niveau! Seit wann haben die schWEINe-essIG-Texte Niveau? Kann Kotze sprechen? Ernährt sich ein Tasmanischer Nacktnasenwombat von Altmetall? Wer ist unser lustiger kleiner Hauptbahnhof? Die schWEINe-essIG-Texte und Niveau! Dass ich nicht lache! Am liebsten hätte ich Marsitzky gesagt, wie seine «niveauvollen» Gedichte entstanden waren. Ich holte tief Luft. «Ich könnte Ihnen eine kleine Erzählung …» – «Herr Fahlmann! Die … ja … das mit Ihren Prosatexten haben wir zur Genüge durchgekaut. Ich brauche Gedichte, die mindestens die Qualität Ihrer alten Arbeiten haben. Zwei Gedichte! Gehobene Qualität! Spätestens nächste Woche. Guten Tag.» Er legte so schnell auf, dass mir das unausgesprochene «Auf Wiederhören!» wie Blei auf der Zunge liegen blieb. Nächste Woche. Muss mir beim Saufen wieder Notizen machen. Nicht mal in Frieden saufen lassen sie einen! Gehobene Qualität. Stehe ich unter Druck, klappt nichts, drontenminister, und kaum ist der Druck weg, kregel, schreib ich vier Gedichte auf einen Schlag. Muss aufpassen, dass Achim nichts mitkriegt. Qualität! Wenn Marsitzky «Qualität» sagt, klingt das verdächtig nach Güteklasse A. Weiß der Arsch nicht, was Dronten sind! Natürlich haben die auf Madagaskar gelebt. Nein, Mauritius. Vor der Weltkarte. Zumindest in der Nähe von Madagaskar. Östlich davon. Kein Kreuz drauf. Klar. Kenne auch keinen, der dort war. Irgendwann muss jemand die Marsitzkys ausrotten, flugunfähige, nacktgesichtige Saumenschen.
«Was ist denn mit dir los?», fragte Susanne. Ich zeigte aufs Telefon. «Marsitzky.» – «Er wollte die Texte nicht?» – «Nein. Er will andere Texte. Güteklasse A.» – «Und was bedeutet das?» – «Viel Bier und auf der Couch schlafen!» Susanne hob die Augenbrauen, sagte aber nichts. Ihr Glück! Einmal hatte sie mich gefragt, ob es mir auf Dauer nicht langweilig würde, jeden zweiten Abend mit Achim in Mollingers