Fahlmann. Christopher Ecker

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Fahlmann - Christopher Ecker

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begrüßt mich herzlich (meine Veröffentlichung in einem angesehenen Verlag imponiert ihm), der Leuchtpunkt der Lichtschranke verlässt seinen braun gesprenkelten Handrücken, wird unsichtbar, und die zugleitende Tür beschert uns eine unerträgliche Intimität. Ich schnüffele verhalten. Die Flügel von Caparts fleischiger, an der Spitze gespaltener Nase überzieht ein Heer schwarzer Mitesser; im rechten Mundwinkel baumelt ein kleiner, trockener Krümel; das linke Auge wirkt ungewöhnlich feucht. Worüber soll ich mit ihm reden, mit diesem unentwegt Horaz zitierenden Langweiler, dieser tragischen Gestalt, die darunter leidet, dass ihre großen Jahre in Tübingen und Brüssel vorbei sind, diese glanzvolle Zeit, in der die Fachwelt ihre Publikationen noch raunend zur Kenntnis nahm? Seit vielen Jahren hat Capart keinen Satz mehr veröffentlicht. Mit stockendem Staunen trägt er seine alten Vorlesungen vor und katapultiert damit die nichtsahnenden Studenten zurück in die siebziger Jahre. Alle ernstzunehmenden Arbeiten bürdet er Polkinger auf. Der würde meine Magisterarbeit zwar als einziger Erdbewohner lesen, recht begabt, und die Ränder mit seinen ahnungslosen Anmerkungen verzieren, stilistisch schwach, ungenauer Ausdruck, schwerer logischer Fehler, aber wie ein greiser römischer Imperator, der schon bessere Zeiten gesehen hat, behält Capart sich das Recht vor, die alles entscheidende Endnote zu vergeben. Am besten unterhalte ich mich mit ihm übers Wetter. Der Aufzug löst sich mit einem motivationsarmen Ruck. «Jetzt gehts los, Herr Fahlmann!», sagt Capart aufgeräumt und gibt mir erneut Gelegenheit, Bekanntschaft mit seinem säuerlichen Mundgeruch zu machen, der sich heute mit einem mich melancholisch stimmenden Mottenkugelduft mischt, der aus dem Sommeranzug aufsteigt. «Na», der Krümel springt auf den Hemdkragen, wo er sich sichtlich wohlfühlt und es sich bequem macht, «was macht die Wissenschaft?»

      «Gut», sage ich. «Trotz», und jetzt ist es soweit, «des Wetters.» Ich bemühe mich, ein intelligentes Gesicht zu machen, Doppelnullnummern, das um Tage verspätete Echo eines James-Bond-Vortrags von Winkler scheppert mir durch den Kopf, nur die Doppelnullnummern, aber Capart will leider nicht, haben die Lizenz, übers Wetter reden, zum Töten.

      Stattdessen erkundigt sich die freundliche Doppelnull, die den jungen Dichter ins Herz geschlossen hat, leutselig: «Und was macht die Literatur, Herr Fahlmann?»

      «Wie meinen Sie das?», frage ich unschuldig.

      «Ihre Literatur. Das, was Sie so schreiben.»

      Der Aufzug hält im Verteilergeschoss, öffnet sich, wartet, niemand steigt zu. «Ich werde demnächst wieder was veröffentlichen», gestehe ich. Die Tür schließt sich, schließt sich jedoch nur halb, denn Caparts linkes Hosenbein hat die Lichtschranke erschreckt. Überglücklich gleitet die Tür wieder auf, um den Aufzug einige peinigende Sekunden länger als zuvor warten zu lassen.

      «Und was gedenken Sie demnächst zu publizieren, wenn ich fragen darf?»

      Die Tür schließt sich. «Zwei Gedichte in einer Anthologie.»

      «Kennen Sie sie auswendig?»

      Was für eine saublöde Frage! «Nein, leider nicht.»

      «Darf man die Titel der Gedichte erfahren?»

      Der Aufzug setzt sich in Bewegung. «erste worte. letzte worte.»

      «Aha», Capart denkt nach und verkündet dann mit selbstgefälligem Kopfgewackel: «Geburt, Adoleszenz und Tod.»

      Peng! Ich bin abhängig von jemandem, den ich für einen völligen Trottel halte.

      Natürlich steige ich in Caparts Auto, wenn er mir anbietet, mich in die Innenstadt mitzunehmen, auch wenn ich dort nichts verloren habe. Am Rathausplatz bedanke ich mich dann artig, sehe dem Volvo nach, bis er außer Sicht ist, und nehme den nächsten Bus zurück zur Uni. Aber im Gegensatz zu Marsitzky ist Capart weder gemein noch hinterhältig, und genau genommen fürchte ich auch nicht ihn, sondern seine Willkür, die, wie ich ahne, die Folge einer unbeschreibbaren Inkompetenz ist. So muss ich jederzeit damit rechnen, dass mir ein gruseliger Zufall (Polkinger, ein Missverständnis, üble Nachrede, eine unvorsichtige Veröffentlichung) Caparts Gunst und die Eins für die Magisterarbeit entzieht. Heute weiß ich, dass ich Capart damals mochte; ansonsten hätte mich der Mottenkugelgeruch seines altmodischen Sommeranzugs nie anrühren können, doch dieses Wissen ändert nichts; es macht alles bloß schlimmer. «Sie beschreiten da einen mutigen Bogen, wie er nicht selten begangen (…) vom ersten Gestammel des Kindes, das beglückt die Welt begrüßt (…) Ihr lyrisches Philosophieren von der Wiege bis zur Bahre sozusagen (…) wissen sicherlich, Herr Fahlmann, was der Dichterfürst (…) rief mit ersterbender Stimme: Mehr Licht!»

      Endlich hat der Aufzug die Zieletage erreicht und macht die Saumseligkeit der Fahrt mit einem energischen Aufreißen der Tür wett. Er hat nicht nach der Hausarbeit gefragt, denke ich erleichtert. Ich hätte sie bereits vor fünf Wochen abgeben müssen. Oder vor neun? «Ach, Herr Fahlmann, ich wollte Sie was fragen! Da habe ich gestern schon … Etwas Dringendes. Was war es denn nochmal gleich? Ach, ja … Waren Sie mit Ihrer Lesung zufrieden?»

      «Ja …» Ich hole in Gedanken aus, gleite dabei aber so heillos in geist- und sternlosen Weiten davon, den Kescher verloren, den Kompass verlegt, dass mir nichts anderes übrigbleibt, als den Vokal unbarmherzig in die Länge zu ziehen. Manchmal vermittelt gerade diese Form ohnmächtiger Sangeskunst den Eindruck besonnener, selbstkritischer Distanz. Kaum ist mein schier endloses «a» verhallt, schieße ich, ohne etwas dagegen tun zu können, ein heiter-gelassenes «durchaus zufrieden» nach, um ein Höchstmaß tiefer Bedeutung in der Tradition Fontanes vorzutäuschen.

      «Herr Polkinger hat mir davon berichtet. Ich höre dann bald von Ihnen?»

      «Bitte?»

      Er tritt aus dem Aufzug. «Ihre Hausarbeit. Sie können Sie ja in mein Fach legen.»

      Ich versichere Capart, das tun zu können, bald tun zu werden, voraussichtlich nächste, nein, schon diese Woche, vielleicht nächsten Montag, ähm, da arbeite ich, also Dienstag, ich zupfe das klebende Hemd vom Rücken, nein, alles in Ordnung, danke der Nachfrage, auf Wiedersehen.

      Dabei hatte die Sache mit der Hausarbeit ganz harmlos angefangen! Nach der ersten Sitzung des Thomas-Mann-Hauptseminars hatte ich Professor Capart das abgeschmackte Thema Personennamen bei Thomas Mann vorgeschlagen, weil mir das der einfachste Weg zu sein schien, locker an einen Hauptseminarschein zu kommen. Keine umfangreiche Primärlektüre, kaum brauchbare Sekundärliteratur, keine Schinderei. Capart hatte nichts gegen die Personennamen einzuwenden und freute sich sogar über das «ungewöhnliche und ambitionierte» Thema. «Möchten Sie übernächste Woche referieren?» – «Kein Problem!», sagte ich, las in der Nacht vor dem Referatstermin einige Mann-Romane quer, kritzelte die Namen der darin auftauchenden Personen auf ein Schmierblatt, schmiss am folgenden Tag eine Fenetyllin ein, betrat den Seminarraum kaum verspätet und improvisierte fast fünfzig Minuten über Figuren wie Doktor Grabow, Pastor Pringsheim, den Speicherarbeiter Grobleben, Herrn Permaneder, Hofbräu, Herrn Nachbohr und Mamsell Jungmann. Bei Hofbräu und Herrn Nachbohr handelte es sich, wie ich Tage später herausfand, um Fehlgeburten des Querlesens, denn auf den Seiten 329 f der Buddenbrooks heißt es lediglich:

      «Es ist nicht gerade Hofbräu, Herr Permaneder, aber immerhin genießbarer als unser einheimisches Gebräu.» Und der Konsul schenkte ihm von dem braun schäumenden Porter ein, den er selbst um diese Zeit zu trinken pflegte.

       «I donk scheen, Herr Nachbohr!» sagte Herr Permaneder kauend und merkte nichts von dem entsetzten Blick, den Mamsell Jungmann ihm zuwarf.

      Und was hatte ich so schön über die beiden gesprochen! Ich konnte von Glück sagen, dass ich nicht auch noch über die Herren Porter und Zeit oder den chinesischen Rikschafahrer Donk Scheen referiert hatte, aber auch dann wäre Capart wahrscheinlich entzückt gewesen. Ja, er war dermaßen aus dem Häuschen,

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