Fahlmann. Christopher Ecker

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Fahlmann - Christopher Ecker

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versuchen, viel später, du schreibst sowieso am besten nachts, prüfte einige als Motti verwertbare Zitate, down these mean streets a man must go, und puzzelte wie so oft, wenn meine untreue Muse fremden Literaten zu Diensten war, an meiner persönlichen, kläglich einfältigen Philosophie herum, durch deren Verschriftung ich Ordnung in mein unsortiertes Leben zu bringen hoffte: auf den ersten Blick eine Bibliothek, auf den zweiten ein Dachboden mit einer Schreibmaschine, auf den dritten ein dem Verfall preisgegebener Palast mit Jens und Susanne, auf den vierten eine Vorstadtkneipe mit Achim, auf den fünften ein Wohnzimmer mit Winkler, auf den sechsten ein Transit mit Heinz usw. Dies alles jedoch nur in der Zeit vor der Abreise.

       Noch war ich nicht in Paris. Noch wünschte ich nicht, mein Leben wäre für alle Zeiten ‹unsortiert› geblieben. Noch arbeitete ich fast täglich an meinem Roman. Abermals (zurück!) taucht das schwingende Lot (zurück, zurück!) in den Zeitsee, Mnemosyne hat heute leichtes Spiel mit mir und versetzt mich wieder auf den Dachboden. Ich halte etwas in der Hand, es fühlt sich glatt und warm an, ein Buch, ein kleines Buch. Ich steckte den Notizblock in die Brusttasche und betrachtete die Schreibmaschine. Vergiss es! Kurzfristig erwog ich, wieder ins Bett zu gehen, das Gesicht in Susannes duftendem Kissen zu vergraben, ein verlockender, ein gefährlicher Gedanke, denn ich fand es seit einigen Wochen immer beschämender, von Jens geweckt zu werden, wenn er aus der Schule nach Hause kam. Was ist dein Vater von Beruf? – Keine Ahnung, der liegt den ganzen Tag im Bett und schläft. Ein Knattern näherte sich, schwoll im Hof an, flatterte zwischen den Hauswänden wie ein aufgescheuchter Lärmvogel, beruhigte sich, die Vespa stotterte noch einige Verwünschungen, dann blieb ihr mit einem heiseren Röcheln die Luft weg. Leisere Geräusche folgten: Helmausziehen, Vespa an die Wand lehnen, Nase hochziehen, Schleim in die Mundhöhle husten, herzhaft ausspucken.

      «Alte Sau!», rief ich zur gekippten Dachluke hin.

      «Selber Sau!», schallte es draußen. Schritte, Heinz öffnete die Tür des Büros (das Riffelglas klirrte), Tach, Jörg (Heinz), mach zu, es zieht (Onkel Jörg), und mit dem Geräusch plötzlichen Lufteinsaugens glitt die Tür über den Teppich des Beerdigungsinstituts, klackte ins Schloss. Die Stille, die sich nun wieder über das Haus stülpte, störten lediglich die monotonen Versfragmente der Vogelbarden, denen in ihrer geistlosen Balzerei der alles verbindende Kehrreim entfallen war. Wahrscheinlich trinkt Heinz jetzt ein Frühstücksbier mit Onkel Jörg. Die beiden mussten sich nicht mit fliehenden Worten rumplagen, mit fehlendem Sinn, mit verpatztem Rhythmus, mit Jasmin. Flasche auf, zum Wohl, und weg damit! Ex oder Arschloch! Nöte mit weißbleibenden Seiten waren ihnen so fremd wie Mülleimer voller Absagen. Von der Verflüssigung des Kosmos, schrieb ich ins Notizbuch, strich es durch, schrieb: Dobitris & Flabitris, strich auch das.

      Vor einigen Tagen hatte mich Heinz nach einem missglückten Bäckereibesuch darüber aufgeklärt, was es mit den Dobitris und Flabitris auf sich hat. «Und was bist du?», fragte ich. – «Sonderfall», strahlte Heinz. «Ich bin ein Bitri!» – «Ich auch», lachte ich. «Wenns die richtige Temperatur hat, eiskalt musses sein, ists mir scheißegal, ob man mein Bier zapft, in eine Dose eingeschweißt oder mit grünem Glas ummantelt hat.» – «Und was müssen Bitris jetzt tun?», rief Heinz. Er brachte den Blinker mit einem lässigen Handkantenschlag zum Ticken, bremste, der zupackende Gurt drückte mir die Luft aus den Lungen und der rechte Vorderreifen des gleichermaßen verdutzten Transits erklomm den Bordstein vor Sonjas Hähnchen Grill. «Hier kommen die Dobitris!» Heinz zog die Handbremse, sprang aus dem Wagen, grölte Frechheiten über die Straße, die auf das Konto einer jungen Mutter im Minirock gingen, dann öffnete ein Schulterstoß die Glastür der Imbissbude. «Zwei Bier für die Männer, Schätzchen, und ne weiße Curry für mich!» Heinz sah mich an, ich nickte, er korrigierte: «Zwei weiße Curry für die Männer!» Außer dem alten Hanjob, der am Tresen klebte, waren wir die einzigen Gäste. «Halt ja die Raffel», raunzte Heinz im Vorbeigehen, «sonst nehmen wir dich nachher mit!» Hanjob lachte wie ein sich aufbäumendes Pferd, fuchtelte in der Luft herum, rief etwas Unverständliches, wiederholte es mehrfach (sang ein Gedicht?) und gab erst Ruhe, als ihm Sonja (verhärmtes Frätzchen, schiefer Mund, Papageienlachen) ein kleines, mit Mumienbinden aus Packpapier umwickeltes Fläschchen reichte. Danach verkündete sie strahlend: «Ich mach euch heute Extralange!» Hanjob wieherte und biss sich erschrocken auf die Unterlippe, als ihm Heinz mit dem gebogenen Zeigefinger drohte. «Hättst wohl auch gern nen Extralangen?» Hanjob begann vor Angst zu zittern, und Heinz murmelte mit einem raschen Blick in meine Richtung: «Bestell dir nochn Underberg, Hanjob! Geht auf mich.» Ich legte die Zigarettenschachtel neben einen verbogenen Plastikteller, den verkrustete Brandwunden als Aschenbecher auswiesen – und da sah ich mein grinsendes Spiegelbild in der Glastür. Richtig. Ich grinste. Ich war froh. Stellen Sie sich das bitteschön vor! Nichtsahnend blickt der Unglückliche in den Spiegel – und sieht sich darin grinsen!

      Damals war ich so viele Menschen, aber nur als Heinz’ Begleiter (und manchmal auch als angehender Quartalssäufer in Mollingers Eck) besaß ich ein derart unbekümmertes Naturell, dass es mich abends, wenn ich die Erlebnisse des Tages im Kopfkino der Schlaflosigkeit Revue passieren ließ, mit Staunen erfüllte. Hammett hätte alles distanziert beobachtet; Chandler hätte Sonjas Hähnchen Grill gar nicht erst betreten; und ernstzunehmende Schriftsteller wissen wahrscheinlich gar nicht, dass es sowas wie Sonjas Hähnchen Grill überhaupt gibt; und ich, nun, ich benahm mich hier etwa so, wie R. S. Prather schreibt: Ein dümmliches Grinsen im Gesicht stand ich am brusthohen Plastiktisch und wartete auf meine Currywurst. In Sonjas Hähnchen Grill gab es noch die gute, alte, richtige Currywurst, nicht diesen Beschiss, den sie einem mittlerweile fast überall anzudrehen versuchen. Die aus der Schnippelmaschine gepurzelten Wurststücke wurden mit Ketchupgirlanden garniert, dann ging darauf ein Schwefelregen aus dem Currystreuer nieder, und schließlich flutete man die leckere Sauerei mit der seit Tagen munter vor sich hinblubbernden Schaschliksauce. Dazu gab es einen zähen Doppelweck zum Tunken. «Und jetzt zu euren Extralangen!» Sonja legte zwei tiefgefrorene Weißwürste auf den Rost, Heinz drängte sich hinter ihr vorbei, kniff ihr in den knochigen Arsch (erfreutes Quietschen), fummelte am Kühlschrank herum und kam hüftschwingend hinter der Theke hervor, zwei Halbliterdosen schwenkend wie Rumbakugeln. Heinz ist einer dieser Menschen, heißt es im Notizbuch, die ins Leben einsteigen wie in einen Linienbus. Unbeirrt fährt der Bus durch die Stadt, hält an Bierhallen, an Kneipen, an Fitnessstudios, an Würstchenbuden – und schließlich am Friedhof. Heinz hatte nie eine ordentliche Schule besucht, er floh vor seiner Familie, er soff sich das Hirn weg, und ihm würde die wunderbarste aller Fluchten, das Lesen, sein ganzes Leben lang versagt bleiben. Wahrscheinlich hat er noch nicht einmal Die Bienen aus dem Monsterfilm gelesen, und da ich die Bienen jetzt ins Spiel gebracht habe, muss ich, aber das kennen Sie ja mittlerweile von mir, weit ausholen, aber das mache ich nur, weil es wichtig ist, zwo, drei, weit ausholen mit dem Gedankenkescher, vier und hep! – ein schneller Kescherzug durch die Zeit und los!

      An meinem dreißigsten Geburtstag (Susanne telefonierte damals noch nicht täglich mit dem Weiß-Haar-Mann, sondern erzählte mir, was sie beim Einkaufen erlebt hatte) saß ich mit Heinz in Onkel Jörgs Büro. Wir tranken Himbeerlikör, weil sonst nichts da war, und unterhielten uns über seine Vergangenheit als Powerlifter: Urkunden, Rekorde und persönliche Bestleistungen. «Kniebeuge und Kreuzheben, da war ich über 200 (dohwarisch iwwerzweihunnerd). Und auf der Flachbank hab ich 177,5 Kilo gedrückt. Ich hätt auch die 180 gepackt, aber dann kam mir die Scheißzerrung dazwischen. Musste mir immer Eisbeutel auf die Schulter legen, einreiben und so Zeugs, und dann hab ich irgendwie den Anschluss verpasst. Na ja, vielleicht trainier ich irgendwann wieder. Auf der Bank sind bestimmt noch 125 Kilo drin.» – «Was würd ich denn so packen?», fragte ich. Heinz drückte die Zigarette aus, Kopfwiegen, Genickkratzen. «Vielleicht 60 Kilo.» Zum ersten Mal sah ich bewusst die Krähenfüße in seinen Augenwinkeln. Und wie grau sein Haar geworden war! Heinz steckte sich eine Gauloises an. «60 Kilo ist vielleicht ein bisschen großzügig geschätzt, aber du bist ja ziemlich sehnig vom Sargtragen, vielleicht packst du ja die 50 Kilo (paggschdujoh diefuffzischkielo), aber», tiefes Luftholen, «du hast ja heute Geburtstag (awwerdu haschdjohheudgeburdsdah)!» Er legte ein silbern glänzendes Taschenbuch auf den Tisch und ließ es zu mir rüberschlittern:

      Der berühmte Privatdetektiv

      

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