Folgen einer Landpartie. Bernhard Spring
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Damit war Botfeld, wie Eichendorff lächelnd feststellte, wieder seiner Leidenschaft für das Historische verfallen und begann ohne Verzug seine Führung durch das Herrenhaus des Gutes. Eichendorff ließ sich gern durch das Gebäude führen, auch wenn ihm sehr schnell klar wurde, dass es sich keineswegs um einen so einmaligen Bau handelte, wie Botfeld ihm versichert hatte. Es war vielmehr ein üblicher, konservativ gestalteter Landsitz, wie ihn der Kleinadel in allen Teilen des Reiches aufgrund von finanziellen Beschränkungen zuweilen bevorzugte.
Der quadratische, an der Südseite offene, in einen Garten auslaufende Bau war außen an drei Seiten von Kanälen umgeben, an der vierten, östlichen jedoch von einem breiteren Teich, dessen Ufer flach und verschilft war. Die im Norden gelegene Brücke, gerade einmal breit genug für einen Einspanner, verband das Herrenhaus mit dem Wirtschaftshof und stellte die einzige Überführung über den Wassergraben dar. Das Gebäude selbst umschloss einen Innenhof, von dem aus über niedrige Treppen ein Korridor erreicht werden konnte, der sich über alle drei Fronten des Innenhofs zog und über den sämtliche Räume zugänglich wurden.
Das Herrenhaus war in seiner Nutzung sehr einfach strukturiert: Im Westflügel, dem aufgrund des hohen Grundwasserspiegels einzig unterkellerten, befanden sich der Küchentrakt, die Speisekammern und unterirdische, etwa zwei Meter breite Speicher für Bier und Wein, wie Botfeld erklärte. Im Norden nahm der Empfangssaal gegenüber der Brücke den meisten Platz ein; umgeben war dieser auf beiden Seiten von je einer Kammer, die beheizbar waren und größtenteils von Botfeld selbst genutzt wurden. An den Raum westlich des Saals schloss sich ein Kabinett an, das durch eine Zwischenwand abgetrennt worden war und in dem Botfeld oder sein Vater den Verwaltungsaufgaben und den üblichen Schreibereien nachkamen, so sie sich auf dem Gut befanden. Meist agierte auf diesem Gebiet jedoch ein Verwalter, der in den Gesindeunterkünften lebte.
Auf ihrem Rundgang entlang des Ostflügels erklärte Botfeld, dass eine der dortigen Kammern von Undine bewohnt wurde, die ihren Bruder für gewöhnlich zu begleiten pflegte. Eichendorffs Herz schlug vor Freude höher, als er diesen bezaubernden Namen hörte und sich somit sicher sein konnte, im Laufe seines Aufenthaltes in Geusau auf die Begehrte zu treffen. Botfeld, der nichts von der Erregung seines Freundes ahnte, fuhr scherzhaft fort: »Sie bevorzugt das Zimmer im Süden, in der Nähe des Gartens. Sie liebt dieses Stück Grün wie kein anderes. Natürlich ist dieses nichts im Vergleich zu dem von Reichardt in Giebichenstein.«
Eichendorff kannte den sogenannten Dichtergarten im Norden Halles wie alle anderen seiner Kommilitonen lediglich vom Hörensagen, denn zu dem Privatgrundstück des königlich-preußischen Kapellmeisters Johann Friedrich Reichardt hatten nur auserwählte Personen Zutritt. Dort, in den idyllischen Gärten des Musikus, mit Blick auf die eindrucksvolle Burgruine, verkehrten die bedeutenden Dichter der romantischen Zeit, allen voran Ludwig Tieck, Achim von Arnim und Clemens Brentano. In mehrfacher Weise gekrönt wurde die ehrenwerte Gesellschaft von dem Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe und dem jungen Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, die regelmäßig bei Reichardt zu Gast waren.
Normalsterbliche wie Eichendorff waren von einer derart exklusiven Gemeinschaft ausgeschlossen, sie konnten höchstens versuchen, im Theater zu Lauchstädt einen verstohlenen Blick auf die Loge des zufällig anwesenden Herrn Goethe zu werfen …
Botfeld deutete nach Süden, wo sich Undines Garten befand, doch Eichendorff konnte ihn nicht ausmachen, da ein teils gläserner Anbau die Sicht versperrte. »Der Gartensaal«, erklärte Botfeld schlicht.
Während das hufeisenförmige Herrenhaus also im Ganzen gerade einmal genug Platz für die Geschwister und wenige Gäste bot, war die Dienerschaft in den von Eichendorff bereits bemerkten Gesindehäusern am Wirtschaftshof untergebracht, insgesamt wohl etwa zwanzig Männer, teils mit Familien. Lediglich die Zofe Undines, eine ruhige, von ihr geschätzte Person, wie Botfeld sie charakterisierte, logiere im Herrenhaus. Sie hatte ihre Bleibe in einem kleinen Gemach bei dem Gartensaal gefunden, unmittelbar in Undines Nachbarschaft. Botfeld selbst legte keinen Wert auf diese weibische Vertrautheit, wie er es ausdrückte. Er schätzte mehr den kameradschaftlichen Umgang mit seinen Untergebenen, den männlichen Austausch.
Das Zimmer, das Eichendorff von Botfeld schließlich zugewiesen worden war, befand sich, da kein anderes derzeit zur Verfügung stand, im nördlichen Ostflügel und war von dem sparsamen Komfort eines selten genutzten Anwesens geprägt. Das Inventar des Raumes bestand aus einem schmalen Bett, einem unverzierten Eichenschrank, einer Wäschetruhe und schließlich einer Anrichte, über der ein kleiner Spiegel angebracht war. Auf dieser Anrichte stand das übliche Waschgeschirr. Der mit frischem Wasser gefüllte Krug verriet einige Vorbereitungen für den Gast, sicher würden sich in der Kommode frisch gestärkte Tücher befinden, bereit, genutzt zu werden. Die Wände des Zimmers waren einfach mit grünem Stoff tapeziert, sodass das Geweih eines Vierenders besonders zur Geltung kam.
Die beschauliche Wohnlichkeit des ihm zur Verfügung gestellten Zimmers erinnerte Eichendorff an das ländliche Leben auf den väterlichen Gütern, von denen ihm Lubowitz und Tost die liebsten waren. Diese demonstrierten schon allein durch ihre bauliche Erscheinung eine standesbewusste Erhabenheit und gleichzeitig ländliche Verbundenheit mit den Zyklen des Jahreskreises und den damit verbundenen wirtschaftlichen Bedingungen. Auch die Botfelds verfügten über verstreute Besitzungen, aus denen Heinrich von Botfeld immer wieder aufs Neue seinen Wohnsitz aussuchte. Eichendorff wusste bereits, dass er sich meist auf anderen Gütern im Umland, vorzüglich auf denen in Farnstädt und Milzau, aufhielt und das Anwesen in Geusau hauptsächlich von einem Verwalter führen ließ, da der Ort auf weniger ertragreichem Boden gelegen war. Botfeld schätzte jedoch dessen Lage inmitten der Auenlandschaft, wie er Eichendorff berichtet hatte, da sie ihm ein hervorragendes Terrain zur Jagd und zu abenteuerlichen Ausritten bot. Eichendorff vermutete in dieser Leidenschaft einen gewissen Heißsporn, da der unsichere Boden, der die größten Teile des Botfeld’schen Besitzes ausmachte, den Pferden kaum geheuer sein konnte.
Nachdem Jakob das Reisegepäck mit beflissener Ordnung in dem Schrank verstaut hatte, zog er sich zurück, um Eichendorff einen Moment der Ruhe zu gönnen. Dieser erschloss den Raum nun ganz für sich, prüfte die Härte der Matratze und schlüpfte aus den Schuhen, damit er den gescheuerten Boden besser unter seinen Füßen spüren konnte. Wie vermutet, fand er mehrere Tücher in der Anrichte, nahm zwei davon heraus und schickte sich an, sich den Oberkörper zu waschen, als er von draußen ein Geräusch zu sich dringen hörte. Neugierig trat er an das Fenster, das nach Osten hin lag und ihm somit den Blick auf den Teich ermöglichte, wo er einen jungen Mann ausfindig machen konnte, der sich damit beschäftigte, Kieselsteine in das Wasser zu werfen. Dies tat er anscheinend gelangweilt, vielleicht sogar missgelaunt, wie es Eichendorff vorkam. Ab und an sah er sich suchend um, ging unruhig umher, sodass sich sein unbemerkter Beobachter schnell sicher war, dass der Mann am Teich auf jemanden wartete.
Der Mann war von strammer Gestalt, fast schon etwas zu kräftig und wohl um einige Jahre älter als Eichendorff. Sein Gang stand sehr im Widerspruch zu seiner Kleidung, denn während diese ihn als einen Knecht des Gutes, möglicherweise sogar als höheren Bediensteten auswies, bewegte er sich unrhythmisch und hinkend, fast schon linkisch. Das Gesicht, welches Eichendorff höchstens im Profil sehen konnte, hätte als charakterstark bezeichnet werden können, doch in Eichendorffs Augen war es grobschlächtig und durch seinen verkniffenen Ausdruck beinah hässlich. In seinem ganzen Äußeren ähnelte er einem ungeschliffenen Bauernsohn, der nur zufällig das Wams eines Hausangestellten trug, und sicher verhielt es sich auch so, denn woher sollte Botfeld geschultes Personal nehmen und das ausgerechnet für einen Nebenwohnsitz?
Der Mann blieb nicht lang allein, da kam eine Magd mit einem verschlossenen Wäschekorb hinzu, sprach ihn an und wurde von dem Mann sofort zurechtgewiesen, ohne dass Eichendorff irgendetwas von dem Gesprochenen verstehen konnte. Allein die Miene und der maulend aggressive Ton des Mannes zeigten Eichendorff dessen Missfallen, woraus er