Die Frau des schönen Mannes. Mario Schneider

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Die Frau des schönen Mannes - Mario Schneider

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      MARIO SCHNEIDER

      Die Frau

       des schönen

       Mannes

      ERZÄHLUNGEN

      mitteldeutscher verlag

      INHALT

       Cover

       Titel

       Sebastian

       Ich mag dich sogar sehr!

       Gespräche mit oben – Olga

       Gespräche mit oben – Winnie

       Gespräche mit oben – Katharina

       Das Krokodil in der Kammer

       Buenos dias, Vater!

       Die Amsel

       Kleine Stadt – alte Menschen

       Darf ich jetzt aufstehen?

       Tiefsee

       Das Grübchen meiner Geliebten

       Gegen drei Uhr nachts

       Begegnung

       Der Geburtstag

       White Spot

       Die Frau des schönen Mannes

       Dank

       Weitere Informationen

       Impressum

      SEBASTIAN

      Sie mussten mich damals, ich war zehn Jahre alt, mit einem Seil aus der roten Felswand bergen. Hinaufgekommen in unsere Bärenhöhle war ich wie so oft, doch dieses eine und letzte Mal hatte mich eine Furcht ergriffen, die ich nicht kannte.

      Mein Bruder und ich hatten dort oben in unserer Höhle, die nur etwas mehr war als ein Felsvorsprung im Sandstein, viele Stunden und ganze Ferien auf der Lauer liegend verbracht. Wir hatten Wildschweine und Wölfe mit Holzkohle an die Wände gemalt und uns selbst mit Pfeil und Bogen dazu. Dann aßen wir unseren Proviant, tranken das Quellwasser vom Fuße des Felsens und erzählten uns Geschichten vom Wald und den Monstern, die darin hausten. Wie wohl war uns bei dem Gedanken, dort oben sicher zu sein, denn hinauf zu uns würde niemand gelangen.

      Doch an diesem Tag kletterte ich allein und ohne meinen Bruder, denn der war gestorben, zwei Tage oder eine Woche zuvor. Und mühelos gelangte ich in unser Versteck, saß dort ohne Proviant und ohne Geschichten, und ich weinte und hörte mein Weinen im Echo des Waldes. Und es war mir, als weinten die Bären und Wölfe und selbst die Monster mit mir. Es wurde Nacht, und ich schlief dort ein und wurde geweckt von Stimmen, die näher kamen im Wald. Ich hörte sie rufen nach mir. Ich sah die zitternden Lichter zwischen den Bäumen, und ich konnte nicht antworten, das weiß ich noch.

      Es war damals ungewöhnlich, einen Toten offen aufzubahren, doch meine Eltern und Großeltern wollten es so, denn ihr Junge hatte so schön ausgesehen auf dem weißen Laken. Von da an ging ich jeden ersten Sonntag eines Monats in die Kirche und zündete eine Kerze an. Ich habe nie an Gott geglaubt, nicht mal, als ich zehn war und mein Bruder starb, aber ich dachte trotzdem, er würde uns sehen, die Kerze und mich. Das habe ich drei Jahre getan und dann nie wieder. Eine Kirche sollte ich erst viele Jahre später wieder betreten.

      »Da, Papa! Ich will da hoch!«

      Paul zeigte auf die Zwillingstürme der Marktkirche. Auf einer kleinen Brücke, die beide Türme in einem leichten Bogen verbindet, liefen einige Touristen entlang.

      »Darf ich da hoch?«

      Ich erklärte ihm, dass er noch zu klein dafür wäre.

      »Ich will da hoch, Papa«, wiederholte er.

      Nun war Geschick gefragt, denn meinem Sohn konnte man schwer etwas ausreden.

      »Da dürfen keine kleinen Kinder rauf«, sagte ich, und dann schlug ich ihm einen Kompromiss vor: Kirche ja, Türme nein. Er akzeptierte, denn für ihn war die Aussicht, zum ersten Mal eine Kirche von innen zu sehen, Abenteuer genug.

      Als wir das kühle Eingangsportal der Marktkirche betraten, spürte ich eine dumpfe Angst in mir. Paul stöberte schon in einem Regal mit Gesangsbüchern herum. Ich nahm eine Kerze aus der hölzernen Kiste und warf einen Euro in die Pappschale. Er hatte es gesehen und fragte mich prompt:

      »Was machst du da?«

      »Ich habe eine Kerze gekauft«, sagte ich.

      »Wozu brauchen wir eine Kerze?«

      Ich ging vor ihm her durch einen Rundbogen in die Halle, und er lief mir nach, auf eine Antwort wartend. Ich spürte, wie er mich von hinten ansah.

      »Was machen wir denn mit der Kerze?«

      Manchmal wird man vom eigenen Kind in Ecken gedrängt, aus denen man nicht herauskommt, und man muss gestehen; und ich wusste ja, dass ich es ihm irgendwann erzählen würde, also warum dann nicht gleich. Ich blieb stehen, drehte mich zu ihm um, kniete mich sogar vor ihn hin und sagte:

      »Ich zünde die für meinen toten Bruder an.«

      Pauls Augen leuchteten.

      »Du

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