Der Reis und das Blut. Harry Thürk
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Sihanouks Politik galt allgemein als patriotisch und antiimperialistisch. Sie wurde nicht nur von der neuen Bourgeoisie akzeptiert, sondern auch von den vielen königsgläubigen einfachen Menschen, die – in eine lange monarchistische Tradition eingebunden – in Sihanouk den großen Helden sahen, der die Unabhängigkeit erkämpft hatte, Sohn der vergötterten Dynastie der Norodom. Er selbst ließ keine Gelegenheit aus, um seine Position geschickt auszubauen und sich als zwar strenger, aber gütiger Landesvater aufzuspielen. Emsig ließ er dabei die Kommunisten dezimieren, wo immer sie sich zeigten. Von Demokratie war dieses Land weit entfernt.
In jener Phase der widersprüchlichen gesellschaftlichen Entwicklung gelang es dem radikalsten der Pariser Utopisten, Saloth Sar, schließlich, den ersten entscheidenden Schritt auf dem Wege zur Macht innerhalb der KP Kambodschas zu tun. Im Herbst 1960 hielten die Kommunisten einen Kongreß ab, der die künftige Strategie bestimmen sollte. Auf diesem Kongreß konnte Pol Pot fast die gesamte Gruppe, die sich um ihn scharte, in das neue ZK manipulieren. Mehr noch, er konnte durchsetzen, daß im Parteiprogramm »die revolutionäre politische und militärische Gewalt« als Methode des künftigen Vorgehens der KP verankert wurde.
Noch konnten die vernünftigen, marxistischen Kräfte im ZK Touch Samouth als Generalsekretär durchsetzen, der zu einer besonnenen Politik in Abstimmung mit den Parteien der Nachbarländer Laos und Vietnam tendierte. Aber die Signale waren bereits auf ein Vorgehen gestellt, wie Saloth Sar und seine Radikalen es verfochten. Es erwies sich, daß die KP Kambodschas um diese Zeit schon um ihre besten und fähigsten Köpfe dezimiert war. Nicht wenige hatten sich auch vor den Verfolgungen Sihanouks in die Emigration nach Hanoi begeben. Und Sihanouks Polizei schlug wieder zu: 1962 wurde zusammen mit vielen anderen Kommunisten auch der Generalsekretär Touch Samouth verhaftet. Er blieb spurlos verschwunden.
Gerüchte um seinen Tod differierten: Die einen behaupteten, man habe ihn hinrichten lassen, andere wiederum wollten wissen, Saloth Sar habe ihn über Mittelsmänner in der Polizei beseitigt, um freie Hand in der Partei zu haben.
Diese These gewann an Gewicht, als Saloth Sar wenig später mit seinen engsten Mitverschwörern die Schlüsselpositionen im Parteiapparat endgültig besetzte und sich unter dem Tarnnamen Pol Pot zum Generalsekretär machte. Kein Mitglied der Parteibasis wurde darüber informiert, geschweige denn um seine Zustimmung gefragt – es gab nur wenige Mitglieder, die den neuen Generalsekretär überhaupt kannten.
Ein interessanter Aspekt von Sihanouks Innenpolitik war, daß er 1962 zwei Mitglieder der offiziell verbotenen Pol-Pot-Gruppierung, nämlich Khieu Sampan und Hou Yon, in die Wahlliste seiner Sangkum-Partei aufnahm, wohl um die linke Opposition zu verwirren und aufzuspalten. Die beiden wurden prompt als Abgeordnete gewählt, und Sihanouk ernannte Khieu Sampan zum Handelsminister, später sogar zeitweilig zum Premier, Hou Yon erhielt den Posten des Planungsministers.
Bei den nächsten Wahlen, 1966, tauchte in den Listen zum ersten Mal der Name Lon Nol auf, eines konservativreaktionären politisierenden Generals, Verteidigungsminister und stark zu einer Zusammenarbeit mit den USA tendierend. Er gewann die Mehrheit.
In der Folgezeit, für etwa ein Jahr, gab es unter Lon Nol eine Art Militärregierung. Die Armee hatte freie Hand, Land zu beschlagnahmen, Häuser zu besetzen und Steuern zu erheben. Durch diese Verschärfung der Ausbeutung kam es bald zu blutigen Auseinandersetzungen; Hunderte rebellierender Bauern wurden vom Militär zusammengeschossen.
Sihanouk beschuldigte nun nicht etwa Lon Nol, sondern Hou Yon und Khieu Sampan, Aufstände angezettelt zu haben, und kündigte ihre Hinrichtung an. Lon Nol, von den USA klug beraten, schützte Gesundheitsprobleme vor und trat als Regierungschef zurück. Gleichzeitig tauchten Hou Yon und Khieu Sampan unter. Sie schlugen sich zu ihrem alten Kumpan Saloth Sar alias Pol Pot durch, in die Hauptzentren des Widerstandes, die beiden Ostprovinzen Ratanakiri und Mondulkiri. Eine nicht geringe Anzahl ehrlicher, wenngleich theoretisch nicht sehr gebildeter Oppositioneller fand sich ebenfalls nach und nach bei Pol Pots Guerillas ein, die von Sihanouk bald in der von ihm so geliebten französischen Sprache Khmer-Rouges (Rote Khmer) genannt wurden. Immerhin aber machten unzivilisierte, völlig ungebildete und für menschliche Regungen nur selten zugängliche Leute aus den unterentwickelten Gebieten des Landes den Kern von Pol Pots Guerillaarmee aus. Sie besetzten die Führungsposten, und das erste, was sie taten, war, junge Männer und Frauen, die unter ihr Kommando kamen, systematisch auf brutalen Haß gegen alle Städter, überhaupt gegen alle, die außerhalb der Schlupfwinkel legal lebten, zu dressieren.
Indessen hatte Staatschef Sihanouk einen wachsenden Berg von Problemen zu bewältigen. Im Frühjahr 1969 unternahm er nochmals einen Versuch, wenigstens sein Militär für sich und seine Politik einzunehmen, indem er General Lon Nol, inzwischen die bedeutendste Gestalt der legalen Opposition, als »Premierminister der königlichen Regierung« einsetzte.
Ein Jahr später, zu Beginn des Jahres 1970, fand Sihanouk plötzlich, es wäre für ihn gut, sich für längere Zeit nach Frankreich zu begeben, offiziell, um dort einige kleine Leiden auszukurieren.
Beobachter der Szene, die Sihanouks Hof lange Jahre nahestanden, sind sich bis heute nicht ganz einig, was den Staatschef wirklich nach Frankreich trieb: Waren es die kleinen Gebrechen, die er in südfranzösischen Badeorten behandeln lassen wollte? Oder war es vielmehr der listige Versuch, sich aus einer zugespitzten Lage zu lösen, um seinem Stellvertreter Lon Nol die schwierigen Entscheidungen zu überlassen, die er dann später, wie immer sie auch ausfielen, kritisieren könnte?
Lon Nol handelte sofort. Am 18. März 1970 erklärte er Sihanouk für abgesetzt. Er ließ sich zum Staatschef ausrufen, und damit begann der letzte Akt der Entwicklung, die direkt zu der nationalen Tragödie Kambodschas führte …
PHNOM PENH – Juli 1979
Die drei jungen Männer ähnelten einander. Nicht nur, daß sie annähernd gleich alt erschienen, sie sahen auch gleich zerlumpt aus in ihrer geflickten schwarzen Kleidung, ihre Gesichter waren gleich schmal, ausgemergelt, und selbst ihre Haare waren auf die gleiche Weise lieblos gestutzt, glichen Zotteln. Die Augen der drei verrieten eine seltsame Mischung von Abgeklärtheit und Neugier, Tatendrang vielleicht, und Hoffnung.
Der vierte in der Runde, die auf der ramponierten Balustrade eines ehemals prächtigen Pavillons am Ufer des Tonlé Sap saß, in der Nähe des nicht so recht in die Umgebung passenden Wassertanks, war anders. Er war kein Khmer, sondern ein Inder. Älter als seine drei Gesprächspartner, bedächtig fast sah er aus, wenn er sie anblickte, wenn er Fragen stellte, wenn er die Antworten nicht nur in ihren Worten suchte, sondern auch in ihren Blicken. Er war im Gegensatz zu ihnen exakt gekleidet, sein ergrauendes Haar war ordentlich gekämmt, und er trug eine elegante Goldrandbrille. Auch hatte er Schreibzeug bei sich und machte sich immer wieder Notizen. Aus seinem Gesicht war nicht abzulesen, was er dachte. Es wirkte verschlossen, als wolle der Mann eine Art schützenden Wall aufrichten zwischen sich und dem, was er auf seine Fragen erfuhr.
Er kannte die drei jungen Männer seit einigen Tagen. In einem notdürftig instand gesetzten Haus hatte er ein Büro ausfindig gemacht, das sich um die ausländischen Journalisten kümmerte, die den Prozeß der neuen Regierung gegen Pol Pot und seine Helfershelfer verfolgten, der soeben begonnen hatte. Es war dem indischen Reporter erlaubt worden, sich in der Zeit, die er nicht beim Prozeß verbrachte, mit Bürgern zu unterhalten, die das, was da verhandelt wurde, am eigenen Leib gespürt hatten – drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage lang, so oder so.
Im Flußhafen, wo die Hilfsgüter aus Vietnam ankamen, war er auf Kim Sar gestoßen, der Säcke mit Reis aus einem Lastkahn an Land trug. Ung Phim war später hinzugekommen, als Gesprächspartner, auch Yong Sok, der durch besondere Umstände in seinem Leben sogar die Zeitung kannte, die den Inder aus Delhi hierher, nach Phnom Penh, entsandt hatte.
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