Das Familienleben der Tiere. Mario Ludwig
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Spätestens seit dem spektakulären Erfolg des Films „Die Reise der Pinguine“ des französischen Filmemachers und Antarktisforschers Luc Jacquet, der weltweit immerhin fast 130 Millionen Euro in die Kinokassen spülte, wissen auch weniger naturinteressierte Menschen: Keine andere Vogelart weltweit gründet ihre Familie unter derart unwirtlichen Bedingungen wie der Kaiserpinguin. Der mit einer Größe von immerhin 130 Zentimetern und einem Gewicht von bis zu 37 Kilogramm größte und schwerste Pinguin der Welt zieht seine Jungen nicht nur zur kältesten Jahreszeit in der Antarktis auf, sondern unterzieht sich dabei auch geradezu – wenn man das bei einem Vogel sagen darf – unmenschlichen Strapazen, um seinen Nachwuchs gesund und sicher durch die Kindheit zu bringen. Pinguine sind übrigens die einzigen Vögel, die im Winter brüten.
Alles beginnt im März bzw. April, sprich wenn der antarktische Herbst ansteht, mit einem langen Marsch. Zu dieser Jahreszeit verlassen die geschlechtsreifen Kaiserpinguine ihr eigentliches Element, das Packeis des antarktischen Meers, und begeben sich zu ihren Gemeinschaftsbrutplätzen, die weit entfernt im sicheren antarktischen Inlandeis liegen. Gebrütet wird vor allem dort, wo Felsen, Eisberge oder Klippen zumindest einigermaßen Schutz vor den eisigen antarktischen Winden, die sich auch schnell mal zu einem Sturm entwickeln können, bieten. Um diese sicheren Stellen zu erreichen, müssen die Pinguine oft Strecken von 100 Kilometern und mehr zurücklegen. Eine ausgesprochen mühsame und zeitintensive Angelegenheit, wenn man von der Natur lediglich mit Schwimmfüßen ausgerüstet wurde und es damit bestenfalls auf eine Marschgeschwindigkeit von 2,5 Stundenkilometern bringt. Marschiert wird übrigens nicht alleine, sondern in langen Karawanen: Die Pinguine watscheln scheinbar unermüdlich über das Eis oder rodeln, wenn es bergab geht, auf ihrem Bauch den Hang herunter. Das spart Kraft und Energie. Untersuchungen von französischen Wissenschaftlern weisen darauf hin, dass es die abnehmende Tageslänge ist, die den Pinguinen signalisiert, wann es Zeit ist, sich auf den Weg zu ihren Brutgebieten zu machen.
Haben die Pinguinkarawanen endlich ihr Brutgebiet erreicht, ist es Zeit für die Fortpflanzung, der jedoch stets eine ziemlich außergewöhnliche Balz vorgeschaltet ist. Es ist dabei immer das Männchen, das gleich mit einer ganzen Serie von Lautäußerungen um ein Weibchen buhlt. Hat ein Weibchen sich dann für einen Partner entschieden, stellen sich Herr und Frau Pinguin Auge in Auge gegenüber, wobei das Männchen die Bewegungen des Weibchens imitiert – ähnlich, wie das in einem Spiegel der Fall ist. Anschließend verbeugen sich die beiden Geschlechtspartner, zur Freude von menschlichen Beobachtern, mehrmals tief voreinander. Bei diesen Verbeugungen handelt es sich jedoch nicht etwa um einen Akt der Höflichkeit, sondern um ein wichtiges Ritual. Eigentlich schade! Nachdem das Vorspiel, das sich über Stunden hinziehen kann, vollzogen ist, kommt es dann endlich zum eigentlichen Akt.
Wobei der Pinguinsex – und das betrifft nicht nur Kaiserpinguine – nicht ganz ohne Tücken ist: Zum einen ist Sex auf Eis und Schnee sicherlich auch in Pinguinkreisen nicht jedermanns Sache, zum anderen ist die flaschenförmige Figur der Pinguine nicht gerade hilfreich. Zum Akt legt sich das Weibchen nämlich aufs Eis und das Männchen mit seinem Bauch auf ihren Rücken. Das ist, flapsig formuliert, in etwa so, als wollte man zwei Bierflaschen aufeinanderstapeln und das ist ja bekanntlich relativ schwierig. Aber mit Geduld und einem gewissen Balancegefühl klappt es bei den Pinguinen dann doch.
Im Gegensatz zu dem weit verbreiteten Glauben leben Kaiserpinguine nicht strikt monogam, bleiben ihrem Partner also nicht ein Leben lang treu. Die berühmte Monogamie der Kaiserpinguine hält oft nur ein Jahr, wenn Herr und Frau Pinguin in der Brutzeit aufeinander angewiesen sind. In der nächsten Saison verpaaren sich die meisten Pinguine dann mit einem neuen Partner. Ein Verhalten, das in der Wissenschaft etwas beschönigend als „serielle Monogamie“ bezeichnet wird.
Allerdings gilt offensichtlich auch bei Kaiserpinguinen in Sachen Scheidungsrate der Satz: „Never change a winning team“. Einige Pinguinpaare tun sich wieder erneut zusammen, wenn die Brut in der vergangenen Saison erfolgreich war. Wissenschaftler konnten beobachten, dass bewährte „Ehen“ deshalb bis zu sieben Jahre lang fortgesetzt werden.
War der Akt erfolgreich, legen die geschwängerten Weibchen nach rund 90 Tagen ein einzelnes Ei zunächst auf ihren breiten Schwimmfüßen ab. Nach der Eiablage sind die Kaiserpinguinweibchen mit ihren Kräften ziemlich am Ende. Die Entwicklung des rund 450 Gramm schweren Eis hat unglaublich viel Energie gekostet. Nahrung, sprich Fisch, steht in den Brutgebieten, die sich ja fernab vom Ozean befinden, jedoch nicht zur Verfügung. Will heißen, die Pinguinmütter müssen jetzt dringend den langen Marsch zu ihren Jagdgründen im Packeis antreten, um ihre leeren Energiespeicher aufzufüllen. Und deshalb ist von diesem Zeitpunkt an das Brutgeschäft bei Kaiserpinguinen erstmal reine Männersache. Allerdings gilt es, vorher eine große Herausforderung zu meistern: Das Ei muss von den Füßen der Mutter möglichst behutsam auf die Füße des Vaters transferiert werden – ein regelrechter Eiertanz. Gerade junge unerfahrene Pinguine stellen sich bei der Eiübergabe oft nicht sonderlich geschickt an. Und das kann für das werdende Leben ganz schnell zu einer Angelegenheit auf Leben und Tod werden. Rollt das Ei von den Füßen auf das blanke Eis und das Pinguinpaar schafft es nicht, es innerhalb von ein bis zwei Minuten zurückzuholen, stirbt der Embryo bedingt durch die klirrende Kälte unweigerlich ab.
Die Sache mit dem Wärmeaustauscher
Pinguine sind in der Antarktis auf dem Kontinent von Eis und Schnee ständig Temperaturen ausgesetzt, die tief unterhalb des Gefrierpunktes liegen. Da müsste doch eigentlich permanent die Gefahr bestehen, dass die Vögel mit ihren nackten Füßen auf den Eisschollen bzw. der geschlossenen Eisdecke festfrieren? Tun sie aber nicht! Um nicht festzufrieren, haben sich die Pinguine gleich mehrere Tricks ausgedacht: Zum einen können bekanntermaßen nur Flüssigkeiten leicht festfrieren – daher hätten Tiere mit Schweißfüßen am Südpol sehr schlechte Karten. Die cleveren Pinguine halten ihre Füße jedoch möglichst trocken, um ein Festfrieren zu verhindern. Zusätzlich stehen sie oft auch nur auf den Fersen, um die Kontaktfläche mit dem Eis so klein wie möglich zu halten. Zum anderen kühlen die Vögel ihre Füße mit einem körpereigenen Wärmeaustauscher von den 39 °C, die im übrigen Körper herrschen, auf rund 8 °C herunter. Durch diesen Kniff wird erreicht, dass die Füße gerade so kalt sind, dass das Eis darunter nicht antaut. Und was nicht antaut, kann auch nicht gefrieren. Dieser Wärmeaustausch wird dadurch ermöglicht, dass in den Beinen die Arterien und Venen sehr eng beieinanderliegen. Während warmes Blut durch die Arterien in die Füße fließt und dabei von den benachbarten Venen heruntergekühlt wird, wird das kalte venöse Blut, das in den Körper zurückfließt, von den Arterien wieder erwärmt.
Für die nächsten rund 65 Tage balanciert der Pinguinvater jetzt das Ei sorgfältig auf seinen Füßen und bebrütet es bis zum Schlupf in der schützenden Bauchfalte. Um sich vor der klirrenden Kälte am kältesten Ort der Erde, aber vor allem auch vor den eisigen antarktischen Stürmen zu schützen, rücken die Pinguinmänner zusammen und bilden sogenannte „Huddles“ – eng gedrängte Gruppen, in denen sich die Pinguine gegenseitig wärmen. Nach einer bestimmten Zeit werden dabei aber stets die Plätze gewechselt, sodass jeder männliche Frackträger mal am kalten Rand, aber auch mal im wärmeren Inneren des kreisförmigen Huddles steht. Inzwischen sind die Weibchen wieder am Ozean angelangt und können sich dort endlich nach der langen Zeit des Hungers den Bauch mit Fisch vollschlagen. Und Fische zu erbeuten, ist geradezu ein Kinderspiel für die an Land so unbeholfenen Vögel. Im Ozean sind Pinguine in ihrem eigentlichen Element. Schwimmend bringen es die immer an einen Bonsai-Oberkellner erinnernden Vögel auf Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 40 Kilometer pro Stunde und Tauchtiefen von über 500 Metern. Bei ihren Jagdzügen können Kaiserpinguine, dank Herabsetzung des Herzschlages und Reduktion des Sauerstoffverbrauchs, immerhin bis zu 20 Minuten unter Wasser bleiben.
Die Jungen schlüpfen in den allermeisten Fällen, bevor die mittlerweile wohlgenährten Mütter zur Kolonie zurückkehren. Eine Situation, die die Pinguinväter vor einige Probleme stellt. Mit was sollen die Jungen gefüttert werden? Schließlich haben die Pinguinväter jetzt selbst vier Monate lang am Stück gefastet und dabei bis zu einem Drittel