APEX. Ramez Naam
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Samstag, 03.11.2040
»Mayday, Mayday, Mayday!«, brüllte Sam in ihr Headset, ihre Hände fest um den Steuerknüppel des Fliegers geklammert. Ihre Fingerknöchel waren ganz weiß vor Spannung. »Hier ist der unregistrierte Flug aus Apyar Kyun, bitte um Flüchtlingsstatus und sofortige Unterstützung. Wir haben Kinder an Bord.« Blitze zuckten außerhalb des Cockpitfensters und erleuchteten die riesigen Gewitterwolken über und unter ihnen in dieser dunklen Nacht. Feng saß neben ihr und tippte mit seiner noch funktionierenden Hand auf seine Steuerung. »Abfangjäger aus Myanmar nähern sich uns von einem anderen Zugangsweg her.«
Auf dem Radar beendeten zwei blutrote Pfeile ihre Wende und kamen wieder auf sie zu. Die Abfangjäger hatten sie schon einmal gestreift, nahe genug um den Kollisionsalarm auszulösen und ihnen den Rückflug nach Burma anzuordnen. Eine Stimme knisterte über das Funkgerät in einem burmesisch klingenden Englisch. »Achtung Luftfahrzeug. Ändern Sie Ihren Kurs sofort Richtung Osten zum Myeik Luftstützpunkt.«
»Mayday, Mayday!«, wiederholte Sam. »Indischer Luftstützpunkt in Shibpur, können Sie bestätigen? Wir werden angegriffen. Wir haben Kinder an Bord.« Oh Gott, die Kinder dort hinten! Zwei auf einen Sitz, zwei auf eine Rettungsweste. Die dunklen Gewässer der Andamansee unter ihnen.
»Indischer Stützpunkt, wir brauchen sofortige Unterstützung.«
Sie konnte die Kinder nicht spüren. Ihre Abwesenheit in Sams Bewusstsein war betäubend, sogar schmerzhaft.
»Chamäleonfunktion bereit«, sagte Feng mit angestrengter Stimme. »Leuchtgeschosse und Köder bereit.« Shiva Prasad hatte seinen Privatjet gut ausgestattet. Doch es würde nicht genügen. »Flieger!« Die burmesische Stimme aus dem Funkgerät nahm nun einen schärferen Ton an. »Wir werden das Feuer eröffnen! Ändern Sie sofort den Kurs!« Hinter ihnen war ein Husten zu hören. Ein Husten das von Schmerz, von Verletzungen und gebrochenen Rippen zeugte. Von Lungen die durch Traumata beschädigt waren.
»Erwähne meinen Namen«, sagte Kade. Er musste in der offenen Tür des Cockpits gestanden haben.
»Am Funkgerät«, ergänzte er. »Sag den Indern … sag ihnen, dass ich an Bord bin.«
»Was?«, dachte Sam. Sie hatte bereits erwähnt, dass sie Kinder bei sich hatten. Oh, mein Gott.«
»Mayday, Mayday!«, schrie sie ins Funkgerät. »Indischer Stützpunkt, wir haben Kaden Lane an Bord, auch bekannt als ›Synapse‹, er ist der Mitentwickler von Nexus 5. Wir befinden uns unter Attacke von Burmesischen Kampfjets. Wir suchen Asyl und …«
PIIIEEEEEP.
Ein lauter Ton schnitt durch das Cockpit, als ein roter Text auf dem Bildschirm vor ihr aufblitzte: RADARERFASSUNG.
»Das ist die letzte Warnung!«, sagte die burmesische Stimme. »Kehrt sofort um. Wir WERDEN schießen. Ihr habt fünf Sekunden.«
»Jetzt oder nie«, sagte Feng.
Sam drehte sich zu ihm. Sein Finger schwebte über dem Auslöser für die Chamäleonfunktion. Sie hatten nur diese eine einzige Chance: sich in Dunkelheit zu hüllen. Von der Bildfläche zu verschwinden. Sich abzuschalten und für möglichst viele Klicks einfach nur zu gleiten. Und zum Teufel zu beten, dass sie diese burmesischen Angreifer abhängen und dann wieder auftauchen konnten. Sie legte ihre Hand an den Ausschaltknopf für die Triebwerke. »Tu es«, sagte sie zu sich selbst, während sie sie abschaltete. Sofortige Stille. Die zuvor kaum spürbare Vibration der Triebwerke war plötzlich weg. Sam hielt die Luft an.
Dann leuchteten Statusanzeigen vor ihr auf, sobald Feng die Chamäleonfunktion eingeschalten hatte. Die Außenfläche des Flugzeuggehäuses transformierte sich, wies Licht und jeglichen Radar ab. Die Cockpitfenster tönten sich kurzerhand. Hitzeabweisende Triebwerkshauben fuhren aus dem Gehäuse heraus und schlossen sich langsam um das hintere Ende der abgeschalteten Turbinen, um das heiße Metall vor den Infrarotstrahlen abzuschirmen.
Schneller, drängte Sam. Schneller.
PIIIIIIEEEEEEEEEEEEEEEP.
RAKETENABSCHUSS. RADARERFASSUNG.
»Täuschkörper abgefeuert«, rief Feng, als seine Finger über die Konsole glitten. Sam betätigte behutsam den Steuerknüppel, kämpfte dagegen an, einen zu starken Ruck auszulösen, der die Kinder durch den Kabinenraum schleudern würde.
Sie spürte das Flugzeug leicht erbeben, als die Täuschkörper in die dünne Luft in achttausend Metern Höhe abgefeuert wurden, ihren Radar hochschossen und die Raketen ablenkten.
Sam drückte den Steuerknüppel nach vorne durch, in Richtung der Wolkendecke, die sich unter ihnen befand, hinunter in den Sturm. Sie würden an Höhe verlieren, würden an Reichweite verlieren, aber zumindest könnten sie den burmesischen Angreifern entkommen.
»Sie haben den Köder gefressen!«, sagte Feng. Sam fühlte, wie die Zwillingsexplosionen das Flugzeug erschütterten als die radargeleiteten Raketen die Täuschkörper trafen und explodierten. Einen kurzen Moment später konnte sie sie auch hören und lächelte angespannt. Die Wolken waren immer noch tausend Meter unter ihnen.
Sie hielt diesen Kurs, löste sich langsam vom alten und steuerte auf die Wolken zu.
PIIIIIIEEEEEEEEEEEEEEEP.
RAKETENABSCHUSS.
»Hitzesucher«, sagte Feng. Sams Magen drehte sich um. Ihre Augen suchten nach der Turbinenabdeckungsanzeige. Zu achtzig Prozent geschlossen. War das genug? Wenn die Raketen sie sehen können, würden sie Leuchtgeschosse abfeuern müssen. Aber wenn die Tarnkappen bereits ausreichend gut waren, würden die Leuchtgeschosse die Angreifer zu ihrer Position navigieren. Sie drehte sich zu Feng um und sah ihn konzentriert auf die nun komplett passiven Sensorbildschirme starren.
»Sie kommen auf uns zu!«, fluchte Feng.
Seine Finger bewegten sich wie ferngesteuert und schossen Raketen ab.
Sam riss den Steuerknüppel in die andere Richtung, diesmal energischer. Sie hörte ein Kreischen aus dem hinteren Bereich des Flugzeuges, den dumpfen Aufprall eines Körpers. Sie ließ jedoch keinen Gedanken zu an das, was da geschehen sein könnte. Sie mussten am Leben bleiben.
Der nächste Schlag war so laut, dass sie dachte, sie wären getroffen worden. Dann ein weiterer. Das Flugzeug erbebte kurz und flog dann ruhig weiter. Sam drückte den Steuerknüppel nach vorne und schwenkte wieder zurück. Nicht einmal mehr fünfhundert Meter bis zu den Wolken unter ihnen. Ihre Augen scannten die Bildschirme.
Zu einhundert Prozent geschlossen! Die Chamäleonfunktion war komplett grün! Sam drehte sich zu Feng und sah, wie er die Bildschirme beobachtete.
»Sie sind uns auf den Fersen«, sagte er. »Ihr Radar ist auf uns gerichtet. Sie strengen sich an. Aber sie können uns nicht sehen.« Er schaute auf und grinste sie an. Dann erleuchtete ein greller Blitz das Cockpit. Donner schlug auf sie ein, während Blitze die Wolken vor ihnen durchbrachen. Der Einschlag ließ die Chamäleonfunktion für einen Moment aussetzen. Das Flugzeug erbebte erneut. Die Konsolen färbten sich rot. Warnsignale ertönten. Auf einem der Displays blinkten rote Strahlen, die von ihren Angreifern, die sich hinter ihnen befanden, direkt auf sie gerichtet waren.
»Wir werden beschossen!«, schrie Feng. »Sie