Mami Staffel 1 – Familienroman. Gisela Reutling

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Mami Staffel 1 – Familienroman - Gisela Reutling Mami Staffel

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ihr sogar, aufrecht, langsam, als wäre sie die Ruhe in Person, zu den Sträuchern hinüberzugehen.

      Sie würde diese Minuten, die sich zu einer Ewigkeit dehnten, nie vergessen. Ihre Sinne waren bis zum Äußersten gespannt, jedes Geräusch nahm sie wahr.

      Sie hörte ein Rascheln… sie stand stocksteif, versuchte, die dichten Büsche mit den Augen zu durchdringen.

      Ein Zweig knackte… Schritte… einen winzigen Augenblick verspürte sie den verzweifelten Wunsch davonzulaufen, sich in Sicherheit zu bringen.

      Aber der Gedanke flog so schnell davon, wie er gekommen war. Eine Bewegung in ihrem Rücken, sie drehte sich blitzschnell um, sah einen Mann in gebückter Haltung zu der Tasche rennen, er verschwand auf dem Weg, er lief, als gelte es, sein Leben zu retten. Ich Närrin! Marie-Luise heulte vor Wut und Verzweiflung. Sie haben mich reingelegt.

      Sie hieb wie wild auf die Sträucher ein, zerteilte die dicht ineinanderverschlungenen Zweige, sie wußte nicht, was sie machen sollte. Sie war irr vor Angst, nicht um sich. Um die Kinder. Wohin mochten diese Unmenschen sie geschleppt haben?

      Das Geräusch drang durch Marie-Luises Weinen. Ein Schatten flog über den Weg, stürzte auf sie zu.

      Dagobert.

      »Dagobert, Dagobert«, schluchz­te sie. »Such. Such sie. Such sie!« Sie rief laut und verzweifelt. Vielleicht brachte sie die Kinder dadurch in eine noch größere Gefahr. Aber sie konnte sich nicht mehr beherrschen.

      Dagobert bellte wie wild, sein Bellen klang heiser, außer sich, ging in ein Wimmern, in ein Heulen über.

      Er kam zu ihr zurück. Bellte, wie nur ein Hund bellen konnte, der Angst um geliebte Menschen hatte.

      Er rannte auf ein wirres Gestrüpp zu und verschwand darin. Marie-Luise bückte sich, sie konnte nichts sehen, so dicht waren die Zweige. Sie zerkratzten ihr Gesicht, rissen an ihren Haaren.

      Und dann sah sie die beiden. Man hatte sie an einen Baum gebunden und ihnen den Mund zugeklebt. Aber die Augen. Die Augen hatten sie entdeckt. Nie in ihrem Leben konnte sie diesen Moment vergessen. Sie lebten! Marie-Luise stolperte, raffte sich wieder auf.

      »Doris! Thomas! Doris! Thomas!« Sie mußte reden, sie stieß die törichtesten Worte aus und wußte es gar nicht.

      Dagobert wußte nicht, was in seiner Not um die Kinder er tun sollte. Heulend sprang er an ihnen hoch, zerrte an den Stricken.

      »Ich helfe euch sofort«, schluchzte Marie-Luise. Sie zog behutsam die Pflaster ab. Ihre Hände zitterten. Sie drückte ihr Gesicht an Doris’ Gesicht, an Thomas’ Gesicht.

      »Mach schnell!« wimmerte Doris. »Vielleicht sind sie noch irgendwo und schnappen uns. Mach doch bitte.«

      »Bind’ zuerst Doris los«, bat Thomas. Er konnte gar nichts sehen. Bis jetzt hatte er nicht geweint. Das hatte er sich verboten und er hatte es sogar geschafft, Doris zu beruhigen. Aber jetzt verließen ihn alle guten Vorsätze, er wäre so gern tapfer gewesen, besonders vor Marie-Luise. Aber die Tränen stürzten wie Sturzbäche aus seinen Augen.

      Dagobert winselte, drehte sich wie ein Kreisel um sich selbst. Sprang hoch, leckte jaulend über die Gesichter der Kinder, als müßte er sich entschuldigen, nicht zur richtigen Zeit zur Stelle gewesen zu sein.

      »Habt ihr Schmerzen? Fehlt euch etwas?« wollte Marie-Luise dringend wissen und tastete mit ihren zitternden Händen die Körper der Kinder ab.

      »Laß uns blos abhauen«, bat Thomas schluchzend. »Ich trau denen nicht. Es waren zwei, Marie-Luise. Vielleicht lauern sie noch irgendwo.«

      »Hast du ihnen das Geld gegeben?« schluchzte Doris.

      »Natürlich, Liebling.«

      »Das ist gut«, atmete Thomas auf. »Sonst würden sie bestimmt zurückkommen. Wo ist dein Wagen?«

      Sie fanden ihn nicht. Sie wußte nicht genau die Stelle, wo sie ihn abgestellt hatte. Aber Thomas bemerkte die Reifenabdrücke.

      »Die haben deinen Wagen geklaut!« Thomas wischte sich wütend die Tränen aus den Augen.

      »Was machen wir denn nun?«

      »Wir haben doch Beine«, tröstete Marie-Luise die Kinder. Sie umklammerte sie so fest, als befürchte sie, daß sie ihr entrissen würden.

      »Könnt ihr gehen? Seid ihr wirklich nicht verletzt?«

      »Natürlich. Schnell. Daß wir nur erst mal aus dem Wald rauskommen.«

      Sie hetzten über den Weg, sie gönnten sich keine Atempause. Die Angst beflügelte ihre Schritte.

      Als sie die Landstraße erreichten, sahen sie die Polizeiwagen. Einer stürzte aus dem Auto und lief auf sie zu. Vor Erleichterung wäre Marie-Luise beinahe ohnmächtig geworden.

      *

      Die Kinder lagen in ihren Betten. Sie bettelten so lange, bis Marie-Luise sich zu ihnen legte. Zwischen ihnen lag sie, hielt beide Kinder im Arm.

      »Ich hatte schreckliche Angst«, flüsterte Doris. Sie hatte die ganze Geschichte den Polizisten erzählt, man hatte natürlich auch Thomas ausgequetscht, und für Marie-Luise hatte man viel tadelnde Worte gefunden.

      »Das war falscher Mut«, wurde sie belehrt. »Sie hätten uns sofort benachrichtigen müssen.«

      Energisch hatte Marie-Luise darauf bestanden, daß man die Kinder und sie in Ruhe ließ. Sehr energisch hatte sie die Kinder die Treppe hinaufgezogen. Pat war ihnen gefolgt. Sie wußte nicht, was sie für Marie-Luise Gutes tun konnte.

      Als die drei im Bett lagen, war sie noch einmal zu ihnen ins Zimmer gekommen.

      »Du brauchst doch jetzt nicht mehr zu weinen, Tante Pat«, tröstete Thomas sie. Er fühlte sich geborgen in Marie-Luises Armen. Noch nie hatte er sich in diesem Haus so wohl gefühlt.

      »Wir sind ja wieder da. Aber es war ganz, ganz schrecklich. Wir waren im Wald und suchten Dagobert. Und plötzlich hielt mir jemand ein Tuch vor mein Gesicht. Das roch gräßlich und dann weiß ich nichts mehr.«

      »Das roch wie Medizin, wie im Operationssaal«, erklärte Thomas der zu sich selbst zurückgefunden hatte. Er fieberte sogar darauf, all seinen Freunden in Hamburg von dem Abenteuer zu berichten.

      »Ich war so abscheulich zu Ihnen«, flüsterte Pat erstickt. »Ich hab Ihnen so großes Unrecht getan. Ich war…«

      Marie-Luise trug ein Nachthemd von Pat. Es war hochgeschlossen und es hatte sogar lange weiße Arme.

      Sie legte ihre Hand auf Pats zitternde Finger.

      »Das ist vorbei. Sie müssen sich endlich beruhigen. Es ist zum Glück alles gutgegangen.«

      »Ich habe Max angerufen. Aber erst, als die Kinder im Haus waren, ich hab es so gemacht, wie Sie es wollten. Er ist auf dem Weg hierher. Aber er hat mir versprochen, vorsichtig zu fahren.«

      Marie-Luise lächelte. Sie fühlte sich müde, erschöpft und doch von einem Glücksgefühl erfüllt, das köstlich war.

      »Hoffentlich

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