MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 1). Robert Mccammon
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Читать онлайн книгу MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 1) - Robert Mccammon страница 11
Matthew ging weiter. Den anderen Mann hatte er noch nie zuvor gesehen. Vielleicht war er, wie so viele, erst vor Kurzem mit dem Schiff oder der Postkutsche in New York angekommen. Was war an ihm schon Besonderes?
Irgendetwas. Matthew war aufgefallen, dass die Wurfübungen dem Mann großes Vergnügen bereitet hatten. Was nicht heißen sollte, dass Grooder diese Art der Aufmerksamkeit nicht verdient hatte. Dennoch … er fand es abstoßend.
Am gelben, zweistöckigen Steingebäude des Rathauses angekommen, trat er durch die hohen Holztüren ein, die die Macht der Regierung versinnbildlichen sollten, und erklomm die breite Treppe in den ersten Stock. Es roch noch nach frisch gehobelten Balken und Sägespänen. Vor der dritten Tür rechts blieb er stehen. Sie war verschlossen. Der Richter war noch nicht da. Matthew ließ sich mit seinem eigenen Schlüssel herein. Jetzt hieß es, alle Gedanken an Ungerechtigkeit, Enttäuschung und Bitterkeit mit ganzer Willenskraft aus seinem Kopf zu verbannen. Denn sein Arbeitstag hatte begonnen, und die Rechtsprechung war eine anspruchsvolle Gebieterin.
Drei
Der Pendeluhr zufolge war es sechzehn Minuten nach acht, als Richter Powers die Amtsstube betrat – einen großen Raum mit bleiverkleideten Butzenscheiben, die über den Broad Way hinweg nach Norden Aussicht auf die bewaldeten Hügel gewährten.
»Morgen, Matthew«, sagte er und befreite sich wie üblich sofort von seinem recht zerknautschten taubengrauen Dreispitz und dem graugestreiften Gehrock, der öfter mit Nadel und Faden Bekanntschaft gemacht hatte als eine Armee von Unterröcken. Wie immer hängte er seine Sachen sorgfältig an zwei Haken neben der Tür auf.
Und wie immer antwortete Matthew mit: »Guten Morgen, Sir.« Um die Wahrheit zu sagen, hatte er gedankenverloren aus dem Fenster geschaut. Nun hatte er sich zu seinem Pult umgedreht, auf dem vor seiner Flasche hochwertiger indischer Tinte und den Gänsefederkielen zwei Eintragsbücher lagen. Dank der auf den Korridordielen laut hallenden Stiefel und dem Klicken der Türklinke war er schnell genug gewesen, seine Feder in die Tinte zu tauchen und sich der Abschrift des letzten Falls zuzuwenden: Duffey Boggs, des Schweinediebstahls für schuldig befunden und zu fünfundzwanzig Peitschenhieben am Pfosten, sowie dem Brandmal »T« für »thief« auf dem rechten Handrücken verurteilt.
»So, sind die Briefe fertig?« Powers ging zu seinem eigenen Schreibtisch, der seinem Status entsprechend in der Mitte des Raums stand und wohl doppelt so groß wie Matthews war. Er nahm den Stapel Briefumschläge, mehr als ein Dutzend, die mit dem roten richterlichen Wachssiegel versehen waren und an so verschiedene Adressaten wie einen Stadtbeauftragten eine Treppe tiefer und einen Anwalt auf der anderen Seite des Atlantiks gingen. »Gute Arbeit. Alles sehr sorgfältig.«
»Danke«, gab Matthew zurück, wie er es immer tat, wenn man ihm dieses Kompliment machte. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Schweinedieb zu.
Richter Powers setzte sich an seinen Schreibtisch, der Matthews gegenüberstand. »Und was steht heute im Terminkalender?«
»Am Gericht habt Ihr heute nichts zu tun. Um ein Uhr mittags steht ein Termin mit Richter Dawes an, und es wird natürlich erwartet, dass Ihr um drei Lord Cornburys Ansprache beiwohnt.«
»Ach ja, das.« Er nickte. Sein Gesicht war sehr faltig und sorgenzerfurcht, aber freundlich. Er war vierundfünfzig Jahre alt und verheiratet, hatte drei Kinder: Eine verheiratete Tochter, die selbst Kinder hatte, und zwei Söhne, die weder etwas mit Büchern noch der Rechtsprechung am Hut hatten und sich daher als Arbeiter im Hafen verdingten, wo einer von ihnen zum Vorarbeiter aufgestiegen war. Höchstwahrscheinlich verdienten die beiden mehr als ihr Vater, denn die Gehälter von Beamten lagen nicht höher als die Spürhaare einer Maus. Powers hatte dunkelbraune Haare, die an den Schläfen mit dem Alter grau geworden waren, seine Nase war ebenso gerade wie seine Prinzipien, und seine braunen, einst adlerscharfen Augen verlangten von Zeit zu Zeit nach einer Brille. An der Universität von Cambridge war er in seiner Jugend ein überragender Tennisspieler gewesen und sprach oft davon, wie sehr er den Jubel und Tumult auf den Zuschauerbühnen vermisste. Manchmal meinte Matthew, sich den Richter als jungen, geschmeidigen und gut aussehenden Athleten vorstellen zu können, der die Zurufe der Zuschauer genoss, und manchmal fragte er sich, ob die Tagträume des Mannes ihn in diese alten Zeiten zurückversetzten, in denen seine Knie noch nicht knackten und sein Rücken noch nicht von dem Gewicht eines dringlichen Urteils gebeugt worden war.
»Edward Hyde ist sein Taufname«, sagte Powers, der Matthews Schweigen als Interesse an dem neuen Gouverneur interpretierte. »Der dritte Earl von Clarendon. Hat Oxford besucht, war ein Mitglied des Royal Regiment of Dragoons und hat als Tory im Parlament gesessen. Mir wurde zugeflüstert, dass er auch ein paar interessante Ansichten über unsere schöne Stadt verlauten lassen wird.«
»Dann habt Ihr ihn also kennengelernt?«
»Ich? Nein, die Ehre ist mir nicht zuteilgeworden. Anscheinend wollen die, die seine Bekanntschaft gemacht haben – auch Hauptwachtmeister Lillehorne –, alle Einzelheiten für sich behalten und es für den Rest von uns spannend machen.« Er begann, den akkurat daliegenden Stapel Papiere durchzugehen, die Matthew ihm zur Durchsicht auf den Tisch gelegt hatte. Auch die Schreibfedern hatte Matthew einsatzbereit hingelegt und einige Bücher der Rechtsprechung, die für die anstehenden Fälle zurate gezogen werden konnten, aus dem Regal zusammengesucht. »Morgen früh hören wir also die Witwe Muckleroy an?«
»Jawohl, Sir.«
»Die Barnaby Shears beschuldigt, Bettlaken gestohlen zu haben?«
»Sie behauptet, dass er die Bettlaken verkauft und mit dem Erlös einen Maulesel erstanden hat.«
»Na, sein ganzes Haus ist doch keinen Esel wert«, sagte Powers. »Man fragt sich, wie diese Menschen einander finden.«
»Sicherlich nicht leicht.« Die Witwe Muckleroy wog fast dreihundert Pfund und Shears war ein so dürres Schlitzohr, dass er fast zwischen den Eisenstäben seiner Gefängniszelle hindurchschlüpfen konnte, in der er festgehalten wurde, bis der Fall aufgeklärt war.
»Und Freitag?«, fragte der Richter, während er seine Notizen durchging.
»Freitagmorgen um neun beginnt George Knox' letzter Verhandlungstag vor der Urteilsfindung.«
Powers stieß auf etwas, das er sich dazu aufgeschrieben hatte, und las für ein paar Minuten. Es ging um eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen zwei rivalisierenden Müllern. George Knox hatte Clement Sandford in der Red Bull Tavern in sturzbetrunkenem Zustand eine Flasche Bier auf den Kopf geschlagen und damit für viel Blutverlust und Rangeleien gesorgt, denn die Freunde der Männer fingen im Disput über die Preise und Wirkungsbereiche der beiden eine Massenschlägerei an, die auf die Duke Street hinausquoll.
»Ich staune immer wieder«, sagte der Richter leise, während er die Fakten durchging. »In dieser Stadt können Huren den Kirchendamen Nähstunden geben, Piraten von Schiffsbauern um ihre Meinung über die Seetauglichkeit von Schiffen gefragt werden, Christen und Juden sonntags gemeinsam spazieren gehen und Indianer sich mit Pionieren auf ein Würfelspiel treffen. Aber sobald eine Silbermünze zwischen zwei Angehörigen des gleichen Berufs in eine Bretterritze fällt, gibt es Mord und Totschlag.« Mit finsterem Blick schob er die Papiere zur Seite. »Seid Ihr es nicht leid, Matthew?«
»Sir?«