MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 1). Robert Mccammon
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Читать онлайн книгу MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 1) - Robert Mccammon страница 16
»Was lediglich die Tatsache unterstreicht, dass er von einem Wahnsinnigen umgebracht wurde«, sagte Powers. »Oder vielleicht hat ihn irgendetwas verscheucht, bevor er an den Geldbeutel kam – falls Raub das Motiv gewesen war.«
»Ein wahnsinniger Räuber also?«, fragte Grigsby. Matthew konnte förmlich sehen, wie er in Gedanken die Feder zückte, um mitzuschreiben.
»Ich spekuliere bloß, mehr nicht. Und ich sage Euch hier vor Zeugen, dass ich meinen Namen nicht in der Wanze oder dem Ohrenkneifer, oder was Euch demnächst an Bezeichnungen einfällt, sehen möchte. Und jetzt sucht Euch einen Platz, die Mitglieder der Gemeindeverwaltung kommen.«
Die Amtstüren am entgegengesetzten Ende des Saals hatten sich geöffnet und die fünf Aldermen – Repräsentanten der fünf Stadtbezirke – marschierten ein, um ihre Plätze an dem langen, dunklen Eichentisch einzunehmen, auf den sie bei Debatten so häufig mit den Fäusten schlugen. Es folgten doppelt so viele Schreiber und Sekretäre, die ebenfalls zu ihren Stühlen gingen. Wie die wartenden Bürger hatten sich auch die Aldermen und kleinen Lichter in Schale geworfen, wobei einige der Kostüme vermutlich schon seit dem Fallen der Palisaden kein Sonnenlicht mehr gesehen hatten. Matthew fiel auf, dass der alte Mr. Conradt, der für den Nordbezirk zuständig war, grau und krank aussah; allerdings machte er schon immer einen ungesunden Eindruck. Auch der Alderman des Hafenbezirks, Mr. Whitakker, war hohläugig und blass, als sei alles Blut aus seinem Gesicht gewichen. Mit einem nervösen Armzucken ließ einer der Schriftführer seinen Stapel Papiere zu Boden fallen. Marmaduke Grigsby zog sich aus dem Gang zurück und Matthew begann sich zu fragen, was hier eigentlich vor sich ging.
Schließlich trat der Ausrufer an das vor dem Ratstisch stehende Podium, atmete tief ein und brüllte: »Hört nur, hört, Ihr alle …« Dann brach seine Stimme. Er räusperte sich, als würde ein Fagott geblasen, und versuchte es erneut: »Hört nur, hört, erhebt Euch für den ehrenwürdigen Edward Hyde, Lord Cornbury, Gouverneur der New-York-Kolonie der Queen!«
Der Ausrufer trat vom Podium zurück und die versammelten Menschen erhoben sich. Aus der Tür trat aber mit raschelnder Spitze und wippenden Federn nicht Lord Cornbury, sondern – welch Schock, was für ein Skandal – eine von Polly Blossoms Dirnen, um diesen feierlichen Anlass ins Lächerliche zu ziehen.
Matthew erging es wie allen anderen: Er war wie vor den Kopf geschlagen. Die Frau, die mit ihrem gelb bebändelten Kleid und hohen zitronenfarbigen Sonnenhut, aus dem eine unerhörte Menge Pfauenfedern sprossen, ihre Bordellmutter wie eine verarmte Prinzessin wirken ließ, stolzierte direkt an den Aldermen vorbei, als würde ihr – wie Solomon Tully es vielleicht ausdrücken würde – das verdammte Haus gehören. Protzige Ringe glitzerten an den Fingern ihrer weißen Ziegenlederhandschuhe. Unter ihrem aus wallenden Bändern bestehenden Rock ertönte in der Stille das scharfe Klack-Klack hoher französischer Absätze auf englischem Holz. Der Sonnenhut und die Federn hingen auf der schneeweißen, aufwendig gelockten Perücke, die mit glitzernden Halbedelsteinen verziert und turmhoch gesteckt war, in prekärer Schieflage. Sie wirkte dadurch wie eine Riesin, über einen Meter achtzig groß.
Matthew erwartete, dass jemand zu brüllen anfangen oder das Podium stürmen würde, oder dass einer der Aldermen wutentbrannt aufspringen oder Lord Cornbury höchstpersönlich mit rotem Gesicht aus der Tür platzen und sich aufregen würde, dass ihm eine Hure auf diese Weise die Aufmerksamkeit stahl. Aber nichts davon geschah.
Stattdessen flanierte die Kokotte, die, wie Matthew plötzlich bemerkte, nicht dahinglitt, wie man es von einer Frau der Nacht vielleicht erwarten sollte, sondern einen äußerst uneleganten Gang hatte, direkt am Ausrufer vorbei. Der schien in sich zusammenzufallen, bis er nur noch Augen und Nase über dem Hemdkragen war. Noch immer stand niemand auf oder protestierte, um ihr Einhalt zu gebieten. Sie erreichte das Podium, griff mit ihren behandschuhten Händen danach, betrachtete mit ihrem langen, recht pferdeähnlichen blass gepuderten Gesicht die Bürger, und öffnete den Mund. Zwischen ihren rosa angemalten Lippen brach die Stimme eines Mannes hervor: »Einen guten Nachmittag. Ihr möget wieder Platz nehmen.«
Fünf
Niemand setzte sich. Niemand rührte sich.
Von ganz hinten im Saal meinte Matthew gedämpft den dunklen Klang eines chinesischen Gongs zu hören. Er bemerkte neben sich eine Bewegung und sah Solomon Tully an, dessen Mund weit aufgesperrt war und dessen neue Zähne, nass vor Spucke, im Begriff waren, aus dem offenstehenden Apparat zu rutschen. Ohne weiter nachzudenken, streckte Matthew die Hand aus und drückte sie wieder hinein, bis etwas klickte. Tully starrte jedoch weiter mit offenem Mund den neuen Gouverneur der Kolonie an.
»Ich sagte, dass Ihr Euch wieder setzen könnt«, drängte Lord Cornbury, aber seine wedelnden Pfauenfedern hatten bereits einige Menschen hypnotisiert.
»Herr im Himmel«, wisperte Richter Powers, dessen Augen ihm fast aus dem Kopf quollen. »Der Lord ist eine Lady!«
»Gentlemen, Gentlemen!«, ertönte von hinten eine Stimme. Das Klopfen eines Spazierstocks und das Geräusch von Stiefelschritten auf den Kiefernbohlen kamen den Gang entlang. Hauptwachmann Gardner Lillehorne, von den Strümpfen bis zum Dreispitz ganz in Lila gehüllt, marschierte nach vorn und baute sich dort mit einer Hand auf dem silbernen Löwenkopf am Knauf seines schwarzlackierten Spazierstocks auf. »Und Ladies«, fügte er mit einem Blick auf Polly Blossom hinzu. »Lord Cornbury hat Euch gesagt, wieder Platz zu nehmen.« Wie alle im Saal vernahm er das Gekicher und unflätige Geflüster ganz hinten, wo die Menge zum Mob wurde. Lillehorne blähte die Nasenflügel. Er hob sein schwarzbärtiges Kinn wie eine im Zuschlagen begriffene Axt. »Ich«, sagte er mit lauterer Stimme, »möchte Euch ebenfalls bitten, nicht unhöflich zu sein und Euch an die guten Manieren erinnern, für die Ihr zu Recht so berühmt seid.«
»Seit wann?«, flüsterte der Richter Matthew zu.
»Wenn wir uns nicht setzen«, fuhr Lillehorn angesichts der mehr aus Schock denn aus Protest stehen gebliebenen Menge fort, »werden wir Lord Cornburys Rede heute … seine Ausführungen, meine ich, nicht hören können.« Er hielt inne, um sich die feuchten Lippen mit einem Taschentuch abzutupfen, das nach neuester Mode mit einem Monogramm bestickt war. »Setzt Euch, setzt Euch«, sagte er verärgert, wie zu ungehorsamen Kindern.
»Ich will verdammt sein, wenn mich meine Augen nicht im Stich gelassen haben«, sagte Tully zu Matthew, als sie wieder Platz nahmen. Auch die anderen setzten sich, soweit es möglich war. Tully rieb sich die Lippen und bemerkte geistesabwesend, dass sich seine Mundwinkel anfühlten, als würden sie jeden Moment aufplatzen. »Seht Ihr da einen Mann stehen oder eine Frau?«
»Ich sehe … den neuen Gouverneur«, antwortete Matthew.
»Bitte fahrt fort, Sir!« Lillehorne hatte sich zu Lord Cornbury umgedreht. Es fiel vielleicht niemandem außer Matthew auf, dass er den Löwenkopf so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß hervortraten. »Das Publikum gehört Euch.« Mit einer Geste, die versierte Schauspieler veranlasst hätte, Lillehorne zu einem Duell herauszufordern, zog sich der Hauptwachtmeister auf seinen Platz hinten im Saal zurück. Dort, so überlegte Matthew, konnte er die Reaktionen der Menge beobachten und sehen, wie sehr Cornbury die Reaktionen der Bürger durch die Federn fuhren.
»Ich danke Euch, Mr. Lillehorne«, sagte der Gouverneur. Mit lila geschminkten Augen betrachtete er seine Bürger. »Ich möchte Euch allen für Eure Anwesenheit hier danken, und auch für die Gastfreundschaft, die mir und meiner Gattin in den letzten Tagen zuteilwurde. Nach