MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 1). Robert Mccammon

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MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 1) - Robert Mccammon Matthew Corbett

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von den Hafenhändlern alarmierende Berichte über Sklavenbanden, die dort nachts ihr Unwesen trieben und sich gegenseitig attackierten – vielleicht in einer Art Weiterführung alter Stammesfehden um beanspruchte Gebiete.

      Matthew fragte sich während seines Marsches, ob der Wandel zu einer Weltstadt bedeutete, dass das ungezügelte Wachstum, die menschliche Erniedrigung und Verrohung Londons in New York neuentstanden. Die Geschichten, die er über diese verrückte Stadt gehört hatte, ließen ihm das Blut gerinnen – alles gab es dort, von zwölfjährigen Prostituierten über die Zurschaustellung von abnorm gewachsenen Menschen im Zirkus, bis hin zum freudig erregten Gedränge bei öffentlichen Hinrichtungen. Der Gedanke brachte ihm Rachel Howarth in Fount Royal in den Sinn, die fast bei lebendigem Leibe verbrannt worden war, und wie die aufgeregte Menge dort gejubelt hätte, wenn die Asche geflogen wäre. Er fragte sich, wie New York wohl in hundert Jahren aussehen mochte. Er fragte sich, ob das Schicksal und die menschliche Natur sich verschworen hatten, jedes Bethlehem mit der Zeit zu einem Tollhaus wie dem berüchtigten Bedlam in London verkommen zu lassen.

      Als er vor der Trinity Church und dem schwarzen Eisenzaun, der den Friedhof umgab, die Wall Street überquerte, warf er einen Blick auf den Trog, in dem er die Spuren seiner gefährlichen nächtlichen Begegnung abgewaschen hatte. Einst hatten hier die drei Meter hohen niederländischen Palisaden aus Baumstämmen gestanden, um den Engländern den Angriffsweg zu versperren. Das war, bevor die Stadt vor achtunddreißig Jahren die Hände wechselte. Matthew kam der Gedanke, dass New York inzwischen keinen Feind mehr hatte, der von außen kam; abgesehen von einer schweren Epidemie oder unvorhergesehenen Katastrophen war es nun gesichert. Vielleicht würde das Überleben der Stadt stattdessen von innen bedroht werden, wenn man die dunkle Seite menschlicher Gier vergaß.

      Zu seiner Linken, ebenfalls an der Wall Street, lagen das aus gelbem Stein erbaute Rathaus und das Gefängnis, vor dem der berüchtigte Taschendieb Ebenezer Grooder am Pranger den Blicken der Öffentlichkeit ausgesetzt war. Für Bürger, die noch ein wenig mehr Gerechtigkeit walten lassen wollten, stand ein Korb mit faulen Äpfeln bereit. Matthew ging weiter gen Süden in das rauchdunstige Reich der Ställe, Lagerhallen und Schmieden.

      Sein Ziel war das Gebäude, auf dessen Schild nur Ross, Schmied stand. Durch das offenstehende Scheunentor trat er ins schummerige Halbdunkel ein, wo Hämmer auf Eisen rangen und im rußigen Glühofen orangefarbene Flammen brodelten. Ein untersetzter junger Mann mit blonden Locken war mit dem Blasebalg dabei, das Feuer zum Auflodern und Funkenspucken anzufachen. Hinter ihm hämmerten der alte Schmiedemeister Marco Ross und der andere Lehrling auf ihren Ambossen die unverzichtbare Ware: Hufeisen. Der Schlag des einen Hammers hatte einen höheren Klang als der andere, und so wirkte der Lärm wie holperige Musik. Alle drei Schmiede trugen Lederschürzen, um ihre Kleidung vor den herumfliegenden, glühend heißen Metallsplittern zu schützen. Die Hitze und harte Arbeit hatten die Männer bereits zu dieser frühen Stunde den Rücken ihrer Hemden durchschwitzen lassen. Wagenräder, Pflugscharten und anderes Ackerwerkzeug waren wie in einer Warteschlange aufgereiht und zeigten, dass Meister Ross sich nicht um Arbeit sorgen musste.

      Matthew überquerte den Ziegelboden und stellte sich neben den jungen Mann am Blasebalg. Er wartete, bis John Five seine Anwesenheit endlich spürte und einen Blick über die Schulter warf. Matthew nickte. John erwiderte das Nicken; sein engelhaftes Gesicht war von der Hitze gerötet und seine Augen unter den dichten blonden Brauen blassblau. Da während des Hämmerns jedes Wort ungehört unterging, drehte er sich wieder um, ohne etwas zu sagen.

      Immerhin wusste John, dass Matthew sich nicht fortschicken lassen würde. Matthew konnte es im Zusammensacken der Schultern des jungen Mannes erkennen. Allein das deutete für ihn auf den Ausgang ihres bevorstehenden Gesprächs hin. Trotzdem musste er darauf bestehen. John Five hörte mit der Blasebalgarbeit auf, schwenkte den Arm durch die Luft, um Meister Ross' Aufmerksamkeit zu erhaschen, und hielt dann fünf Finger hoch, um sich so viel Zeit für eine Pause zu erbitten. Meister Ross bedachte Matthew mit einem strengen Blick, der sagte: Manche von uns haben Arbeit zu verrichten, nickte kurzangebunden und schlug wieder mit dem Hammer zu.

      Im rauchdurchwirkten Sonnenlicht vor der Scheune wischte John Five sich die glänzende Stirn mit einem Lappen ab. »Matthew, wie geht's?«

      »Gut, danke. Und dir?«

      »Auch gut.« John war nicht so hochgewachsen wie Matthew, hatte aber die breiten Schultern und dicken Unterarme eines Mannes, der geboren war, um Eisen zu bearbeiten. Er war vier Jahre jünger als Matthew, jedoch alles andere als ein naives Bübchen. Im King Street Waisenhaus – das damals noch Das Heim des Geheiligten Johannes für Knaben hieß, bevor es um zwei Gebäude erweitert wurde, in denen elternlose Mädchen und erwachsene Arme aufgenommen wurden – war er von sechsunddreißig Jungen der fünfte John gewesen, daher sein Name. John Five hatte nur ein Ohr, das linke war abgehackt worden. Eine tiefe Narbe am Kinn verzog seinen rechten Mundwinkel zu permanenter Traurigkeit. John Five erinnerte sich noch an einen Vater und eine Mutter und ein Blockhaus auf einer Lichtung in der Wildnis; vielleicht ein verklärtes Bild. Er erinnerte sich an zwei kleine Geschwister, zwei Brüder, glaubte er. An die Palisaden eines Forts konnte er sich erinnern und an einen Mann mit einem goldverzierten Dreispitz, der mit seinem Vater redete und ihm den Schaft eines zerbrochenen Pfeils zeigte. Sein Gedächtnis konnte das schrille Kreischen einer Frau zutage fördern und verschwommene Gestalten, die durch die Fensterläden und die Tür hereinbrachen. Er sah noch, wie sich der Schein des Feuers in einem erhobenen Beil spiegelte. Dann erlosch die Flamme seines Verstandes.

      An eins konnte er sich sehr genau erinnern – und das hatte er Matthew und ein paar anderen eines Nachts im Waisenhaus erzählt –, nämlich an einen spindeldürren Mann mit schwarzen Zähnen, der sich etwas aus einer Flasche in den Mund goss und ihm befahl: Tanz, tanz, du kleines Arschloch! Tanz für unser Abendessen! Und lache, sonst schneide ich dir einen fröhlichen Mund ins Gesicht!

      John Five erinnerte sich, wie er in einem Wirtshaus getanzt hatte und dabei seinen kleinen, an die Wand geworfenen Schatten sah. Der dürre Mann erhielt von der Kundschaft Münzen, die er in einen braunen Topf warf. Er erinnerte sich, wie der Mann betrunken und fluchend auf einem widerlichen Bett irgendwo in einem kleinen Zimmer gelegen hatte. Er erinnerte sich, wie er zum Schlafen unter das Bett gekrabbelt war, und dass zwei andere Männer in das Zimmer eingebrochen waren und den Betrunkenen mit Knüppeln zu Tode geprügelt hatten. Und er erinnerte sich, wie er, während das Gehirn des Mannes an die Wände und das Blut auf den Boden spritzte, gedacht hatte, dass er das Tanzen nie mochte.

      Bald danach brachte ein fahrender Pfarrer den neunjährigen John ins Waisenhaus und vertraute ihn der Pflege des Leiters Staunton an, der hohe Anforderungen an die Knaben stellte, aber gerecht war. Als Staunton sich jedoch zwei Jahre später auf einen Traum hin berufen fühlte, den Indianern Gottes Wort zu bringen, nahm Eben Ausley seine Stelle ein, der mit dem Ernennungsbrief in der Hand frisch aus dem guten alten England eingetroffen war.

      Die Stadt begann sich jetzt in den Rhythmus eines neuangebrochenen Tages der Geschäftemacherei zu wiegen. Von den Strömungen ihres Leben bewegt wie Fische in den Flüssen zogen Einwohner an den beiden Männern vor Meister Ross' Schmiede vorbei. Matthew schaute auf seine Schuhe hinab und legte sich die Worte sorgsam zurecht, mit denen er sich an John Five wandte. »Als wir das letzte Mal miteinander sprachen, hast du gesagt, du würdest über meine Bitte nachdenken.« Er blickte auf und sah dem jüngeren Mann in die Augen, die er so gut zu lesen verstand wie jedes Buch in seiner Sammlung. Und doch musste er fortfahren. »Hast du das?«

      »Habe ich«, antwortete John.

      »Und?«

      Johns Gesicht verzog sich gequält. Er starrte seine Fingerknöchel an, ballte die Hände und stieß sie gegeneinander, als führte er einen inneren Kampf. Matthew wusste, dass er das tatsächlich tat. Trotzdem musste Matthew darauf beharren: »Du und ich, wir wissen beide, was getan werden muss.«

      Keine Antwort kam. Matthew

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