"Wir hätten in einem Rosengarten sitzen können". Sigrid-Maria Größing
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Maria war hoffnungslos verloren. In einem lichten Augenblick, in dem sie merkte, daß sie allmählich in eine andere Welt hinüberglitt, verabschiedete sie sich von dem geliebten Mann und den kleinen Kindern. Dann schickte sie die Familie mit den Worten hinaus: »Bald, ach, werden wir voneinander getrennt sein!« Auch den Rittern des burgundischen Hausordens, des Goldenen Vlieses, und ihren Ratgebern sagte sie Lebewohl und bat alle um Vergebung, wenn sie irgendeinem jemals Unrecht getan haben sollte. Dann schloß sie die Augen für immer. Zurück blieben ein unglücklicher, schluchzender Mann und zwei kleine Kinder in einer feindlichen Welt.
Von dieser Zeit an trugen die Rosen für Maximilian nur noch Dornen. Von einem Tag zum anderen war sein ganzes Glück gewichen. Ein ganzes Leben lang trauerte der Erzherzog und spätere Kaiser um seine erste Gemahlin, und keine andere konnte sie ihm jemals ersetzen.
Die Liebe brachte sie um den Verstand
PHILIPP DER SCHÖNE UND JOHANNA DIE WAHNSINNIGE
Wo immer er auftauchte, brach er die Herzen der Frauen im Sturm: groß, blond, mit strahlenden blauen Augen und einer athletischen Figur, betörte Philipp, der einzige Sohn Maximilians I. und Marias von Burgund, die Frauen im Reich seines Vaters. So sehr sich Philipp, dem schon die Zeitgenossen den Beinamen »der Schöne« verliehen, auch zur holden Weiblichkeit hingezogen fühlte, so wenig hielt er allerdings von den Plänen seines Vaters, der ihn aus Gründen der hohen Politik mit einer spanischen Prinzessin verheiraten wollte. Der Prinz sträubte sich zwar gegen eine eheliche Verbindung mit der bigotten Spanierin, er konnte aber nicht verhindern, daß der Kaiser intensive Kontakte zu den katholischen Majestäten Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon aufnahm, um für seinen Sohn und Erben eine der Töchter des Königspaares als Braut zu bestimmen. Dem Kaiser war an einer verwandtschaftlichen Beziehung zum spanischen Königshaus viel gelegen, da die Spanier ebenfalls keine Freunde des französischen Königs waren und Maximilian auf Unterstützung im Kampf gegen Frankreich hoffte.
Als die Abgesandten des Kaisers in Spanien um die Hand einer Tochter des Königspaares anhielten, war man hocherfreut und fühlte sich geehrt. Allerdings waren zwei Mädchen schon fest versprochen: die Älteste sollte den König von Portugal heiraten und die zweite, Catalina, war mit dem Thronfolger von England, Arthur, verlobt. So blieb nur die Jüngste Tochter Juana übrig, die man dem Kaiser und seinem Sohn anbot. Für Maximilian wäre selbstverständlich die älteste Tochter Isabel als Schwiegertochter willkommener gewesen, hätte er doch – und so überlegte man in diesen Zeiten stets – bei einem frühen Tod des spanischen Infanten für seinen Sohn Aussicht auf die spanischen Gebiete mit den überseeischen Kolonien gehabt. Für alle Herrscher war die Mitgift eine wesentliche Sache, und der Kaiser wußte, daß die spanischen Prinzessinnen gut ausgestattet waren.
Die Tragik des Schicksals wollte es, daß ausgerechnet Juana die Auserwählte für den Habsburgerprinzen war, ein Mädchen, das schon in seiner Jugendzeit durch Introvertiertheit und Zurückgezogenheit aufgefallen war, das nichts von seinen dynamischen Eltern geerbt hatte. Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon galten als das ideale Paar auf dem Königsthron, beide zusammen hatten es fertiggebracht, Spanien zu einigen, die spanischen Granden davon zu überzeugen, daß nur ein einiges Land stark sein konnte im europäischen Konzert der Mächte, daß aber zu einer politischen Einheit auch die religiöse vonnöten war. Und so hatten sie von allen Seiten starke Unterstützung erhalten, als vor allem Isabella begann, gegen die Mauren und Juden in Südspanien vorzugehen und versuchte, das Kalifat von Granada zu stürzen. Im Jahre 1492 war es dann endlich soweit, die letzten Mauren, die die schweren Kämpfe überlebt hatten, wurden vor die Wahl gestellt, entweder die katholische Religion anzunehmen oder das Land zu verlassen. Grausam ging man auch gegen die Juden vor, denen man Geschäftemacherei und Wucher vorwarf. Die katholischen Majestäten zeigten wenig christliche Nächstenliebe, sondern hielten Feuer und Schwert für probate Mittel im Kampf gegen die Andersgläubigen.
Aber sie hatten Erfolg: ein einiges Spanien war ihr Ziel gewesen, und das hatten sie erreicht. Und Isabella war es auch, die mit ihrem Weitblick die Fähigkeiten eines Christoph Kolumbus erkannt hatte, die dem Genuesen, der schon überall abgewiesen worden war, drei Schiffe zur Verfügung stellte, mit denen er neue Länder für die spanische Krone entdecken konnte.
Ferdinand hingegen stand, solange seine Frau am Leben war, fast in ihrem Schatten, und viele bezeichneten ihn gar als einen Pantoffelhelden, der seine Talente erst zeigen konnte, als Isabella ihr Reich Kastilien ihrer Tochter Juana vererbt hatte.
Maximilian hatte bei der Wahl der spanischen Prinzessin natürlich angenommen, daß eine Tochter aus einem solchen Elternhaus sicherlich auch besondere Begabungen besitzen müsse. Er wußte wenig über die spanischen Prinzessinnen, nur so viel, daß die jüngste Tochter nicht ohne Reiz war, und das war wichtig für seinen liebesdurstigen Sohn Philipp.
Juana, die im November 1479 das Licht der Welt erblickt hatte, war schon als kleines Kind anders als ihre Geschwister; sie spielte am liebsten allein in den weiten Parkanlagen, las, sobald sie konnte, Bücher, die eigentlich nicht ihrem Alter entsprachen und war von großem Ernst. Außerdem war das Kind ungewöhnlich fleißig und sprachbegabt, es dauerte nicht lange, und sie konnte sich mit ihren Lehrern in den Sprachen unterhalten, die eben unterrichtet worden waren. So sprach sie fließend Latein, außerdem natürlich Spanisch, Portugiesisch, Französisch und später Flämisch. Für Politik allerdings interessierte sich Juana überhaupt nicht, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, die immer wieder versuchte, sie in politische Dinge einzuweihen. Das Mädchen hörte gar nicht erst zu, wenn die Mutter es belehren wollte, es beschäftigte sich nur mit den Dingen, für die es Interesse hatte, und Politik gehörte nicht dazu.
Ganz anders war es mit der Religion. Juana war durch ihre Eltern fest im Glauben erzogen worden und befolgte alle Regeln genau. So wurde mindestens dreimal am Tag gebetet, sämtliche religiösen Feiertage wurden mit allen vorgeschriebenen Zeremonien begangen, und Juana dachte und tat nichts, was Priester und Bischöfe verboten hatten. Sie war in allem eine typische Spanierin, auch äußerlich. Dunkles Haar umrahmte ein ungewöhnlich apartes Gesicht, in dem die merkwürdig grünen Augen als Besonderheit auffielen und auf alle, die sie sahen, faszinierend wirkten. Sie sah ihrer Großmutter väterlicherseits, Johanna von Kastilien, sehr ähnlich, und ihre Mutter Isabella nannte sie manchmal scherzhaft »Schwiegermutter«. Sittenstreng, wie Juana erzogen worden war, fügte sie sich auch ganz dem Wunsch ihrer Eltern, als sie hörte, daß sie Philipp, den Sohn des Kaisers, heiraten sollte.
Ob Juana von Philipp vorher schon etwas gehört hatte, ist nicht bekannt; jedenfalls soll sie von seinem Anblick entzückt gewesen sein, als die Gesandten des Kaisers ihr ein Medaillon mit dem Bildnis des Bräutigams überreichten. Man mußte dem jungen Prinzen nicht schmeicheln, wie das die Maler gerne taten, die im Auftrag eines Herrschers ein Konterfei herstellten, das dann dem zukünftigen Ehepartner übersandt werden sollte: Er war ein makelloser junger Mann, und die unerfahrene spanische Prinzessin verliebte sich auf den ersten Blick in ihn. Philipp hingegen war nicht gerade begeistert, als der Hochzeitstermin immer näher kam, erkannte er doch, daß er sein lustiges Leben zumindest vorübergehend aufgeben mußte, und das war etwas, woran er nicht einmal denken mochte. Von frühester Jugend auf war er an allerhand Abwechslungen gewöhnt, die sich ihm in den Niederlanden und im Reich boten. Dazu gehörten nicht nur seine vielfältigen Liebesabenteuer (die manchmal dazu führten, daß der kaiserliche Prinz im letzten Moment aus dem Fenster eines Hauses springen mußte, wenn er den gehörnten Ehemann die Treppen heraufkommen hörte), sondern auch die rauschenden Feste, auf denen er nächtelang tanzte und den Wein in vollen Zügen genoß. Das Leben war bunt und schön für einen freien Mann in Flandern, und Philipp dachte mit Schaudern an die Fesseln, die ihm sein Vater anlegen wollte. Außerdem hörte er, daß seine Braut sehr sittenstreng erzogen worden war, daß sie sich kasteite, wenn die Fastengebote dies verlangten, daß sie streng nach dem katholischen Glauben lebte. All dies war nicht dazu angetan, ihn mit Freude an die Zukunft denken zu lassen. So beschloß er, wenigstens die letzten Monate