Gusto auf Grado. Andreas Schwarz
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In den folgenden Jahren bedeutete Grado für die Kinder vor allem eines: Urlaub und Spaß. Die Familie zog zunächst wieder nach Rubbia, weil sich das dauerhafte Zusammenleben mit den beiden Tanten doch ein wenig mühsam gestaltete. Man kam nur für die Saison von Mai bis September nach Grado – und die Kinder kamen in den Schulferien. »Da waren wir am Strand und haben viele Blödsinne gemacht«, erzählt Federico Bianchi – ja, mit einem Augenzwinkern sagt er tatsächlich »viele Blödsinne«. Als Kind nannten sie ihn »Osso«, den Knochen. »Weil ich so dünn war. Der einzige Mensch auf Erden, der keinen Schatten warf.« Als Halbwüchsige, mit 15, machten Fri und sein jüngerer Bruder schon auf Papagalli: »Da haben wir in der Liste der Buchungen für die Ville nachgeschaut, wer heute und morgen kommt und ob da Gleichaltrige und Mädchen dabei sind. Und die mussten wir schließlich ein bisschen unterhalten …«. Die Bianchi-Buben waren die Hausherren am Strand. Sie beeindruckten die weiblichen Gäste auch mit ihren Wasserski-Künsten. »Bei der ersten Mole war die Wasserskischule ›Remo und Martin‹ aus Zell am See. In der Früh und am Abend durften wir immer gratis fahren, weil wir ein paar Kunststücke konnten und damit Gäste anlockten«, erinnert sich »Fri« Bianchi an die unbeschwerte Zeit der 1960er-Jahre.
In dieser Zeit wuchs Federico Bianchi aber auch langsam in die Hotel-Führung hinein, half seinem Vater, der die Villen nach und nach renovieren ließ. Duschen am Gang wurden gebaut, Fließwasser in alle Zimmer eingeleitet, die Zimmer wurden zusammengelegt und vergrößert, aus einst mehr als 80 wurden 48. Aber die Zusammenarbeit mit der noch regierenden Tante Mitzi (Tante Lo war schon 1962 gestorben) war »nicht immer leicht«, wie Marie Therese Rossetti erzählt, »mein Vater wollte mehr Modernes hineinbringen in die Villen, da gab es einige Konflikte.« Gleichwohl: Die Villen waren voll. Die Gäste kamen nach wie vor hauptsächlich aus Österreich und aus Deutschland, alte Bekannte und Familien schon in zweiter und dritter Generation – das Altösterreichische der Villen zog unverändert an. »Von den Spannocchis bis zu den Attems, alle waren sie da. Alle waren irgendwie miteinander und auch mit uns verwandt, meine Großmutter war ja eine Attems. Aber alles waren zahlende Gäste«, sagt Federico Bianchi. Die Nummer eins unter den Gästen war Gräfin Emma Czernin, »die war immer zwei Monate da. Tante Emu haben wir sie genannt, eine rührende Frau. Sie nahm Halbpension, damit es billiger war, und trank nur Wasser. Die hatte einen Klappsessel mit und ist am Strand von einem Sonnenschirm zum nächsten gegangen, wo sie Bekannte hatte, und hat gequatscht. Als sie starb, wollte sie auf ihrer Parte stehen haben: ›Sie lebte für Grado.‹« Auch Johanna Bianchi, eine Cousine des Vaters, kam immer für einen Monat in die Villen. Sie wollte immer – Eigenheit fast aller Bianchi-Gäste – dasselbe Zimmer und denselben Strandplatz. Und sie kam immer mit ihrem alten Volkswagen: »Das war ein Wunder-auto. Einmal haben wir 45 Gepäckstücke gezählt«.
Karl Bianchi (Mitte), Sohn des Villen-Gründers Leonard, mit seinen Kindern Federico und Marie Therese (rechts neben ihm)
Auch die Küche war zu der Zeit natürlich vorwiegend österreichisch: Das Personal kam aus Südtirol und kochte herzhafte Braten, Gulasch, Apfelstrudel und Kompott: »Zwei Vorspeisen, zwei Hauptspeisen, Obst zu Mittag, was Süßes am Abend zum Abschluss. Die Speisekarte wurde Tag für Tag neu gedruckt.« Eine der vier Damen im Bianchi-Lesezimmer erinnert sich: »Mein Vater hat einmal den Karl Bianchi gefragt, wie er das macht, dass keine Deutschen hier sind, und er sagte: ›Die sind nach drei Tagen wieder weg, weil hier alles so dominant österreichisch ist.‹« Aber für die Italienreisenden mussten es, österreichische Vergangenheit hin oder her, ab den 1960er-Jahren schön langsam »auch Fisch und Spaghetti sein, und Minestrone neben der Tirolerknödelsuppe«, wie die Gräfin Rossetti weiß. Die Küche und die Menüs wurden jedenfalls zu einem Herzstück der Villen.
Nach dem Tod der Tante Mitzi musste »Fri« Bianchi Ende der 1960er-Jahre neben seinem Vater voll ins Geschäft einsteigen, während seine Schwester Marie Therese schon geheiratet hatte und mit ihrem Gemahl Rossetti nach Triest übersiedelt war. Es folgten intensive Arbeitsjahre. Aber als die Mutter 1972 starb, war das der Anfang vom Ende der Bianchi-Ära in den Bianchi-Villen: »Die Anteile der Mutter gingen an die vier Kinder, und da ging der Streit los: Jedes wollte seinen Anteil sofort, wir konnten uns nicht einigen – und dann sagte mein Vater nach jahrelangem Gezeter: ›Wenn ich sterbe, geht das mit meinem Anteil noch einmal so los. Aus, ich verkaufe.‹« Die Rossetti hat eine andere Erinnerung: »Meine Schwester und ich hätten die Villen gerne weitergeführt, so wie Mitzi und Louise, sie hätte das Finanzielle übergehabt, ich die Leitung und das Praktische. Aber wir hatten beide kleine Kinder, und wenn man von 1. Mai bis 30. September 24 Stunden im Einsatz ist, geht das nicht.«
Gleichwie: Die fünf stattlichen Häuser wurden Ende 1978 an eine Gesellschaft von alteingesessenen Gradeser Bürgern verkauft. »Es war keine schlechte Zeit, zu verkaufen«, sagt Federico Bianchi. Denn es lag im Trend der Zeit, Hotels in viel gewinnbringendere Wohnungen umzubauen. Das hatten auch die neuen Besitzer offenbar vor. Bloß, kurz nachdem sie gekauft hatten, wurde ein Regionalgesetz erlassen, das die Umwandlung von Hotels in Wohnungen untersagte – weil nämlich zunehmend Hotels in Grado verschwanden. »Da sind die neuen Besitzer dann jahrelang auf ihrer Spekulation gesessen«, weiß Baron Bianchi, dessen Lebensweg zu der Zeit abbog: Eine In-Diskothek in Wien (das Fribi in der Himmelpfortgasse), eine enorme Erbschaft in Mogliano Veneto, Hotel- und Immobiliengeschäfte in Deutschland und Mallorca – »ein komplett anderes Leben also«.
Die Bianchi-Schwestern Mitzi und Louise (hier mit einem Gästekind) führten die Villen bis ins hohe Alter.
Die drei großen Villen am Viale Dante Alighieri kamen indessen unter die Verwaltung der Familie Grigolon. Giuseppe Grigolon war der erste Bürgermeister von Grado nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen, Giorgio Grigolon übernahm die Führung der Villen. Und behielt den Hotel-Betrieb mit 48 Zimmern bei. In den beiden Villen zum Meer hin wurden 25 Ferienappartements eingerichtet. Pläne, die Bianchi-Villen in großem Stil mit Verbindungsgängen aus Glas und einem Swimmingpool im Garten zu renovieren, scheiterten glücklicherweise am Denkmalschutz. Zehn Jahre lang, so erzählen die Bianchi, geschah in den Bianchi-Villen daraufhin »nichts«, was Erneuerung betrifft. Gegen Ende des Jahrhunderts aber wurden die Häuser aus einer Art Dornröschenschlaf erweckt, großzügig renoviert und in ihren heutigen Zustand versetzt. Carlotta Grigolon, Giorgios Tochter, war diejenige, die den Betrieb mit viel Liebe und Hingabe »schupfte« – wieder eine starke Frau! Sie verstand es, die Atmosphäre der Häuser wiedererstehen zu lassen. Diese Atmosphäre, der trotz der Renovierung verbliebene, etwas morbide Charme, die Möbelage in einer Mischung aus alten Stücken und 70er-Jahre-Schick, der Speisesaal mit seinem täglichen Mittags- und Abendritual – all das lockte weiter Stammgäste und Jungfamilien, Industrielle, Schauspieler und Medienleute an. Sie konnten sich herrlich über den gnadenlos zugeparkten Garten (apropos Denkmalschutz!) und das immer wieder neue und ungelenke Personal beim Frühstücksbuffet im Garten alterieren. Die meisten kamen dennoch immer und immer wieder, auch nach der neuerlichen Übernahme der Villen durch einen nicht aus Grado stammenden Thermenhotel-Betreiber – was schon starker Tobak für alteingesessene Gradeser und langjährige Grado-Besucher war. Aber den Villen konnte nichts so schnell etwas anhaben. Auch der italienische Barde nicht, der fortan vom Garten her zum Abendessen Schmachtfetzen servierte.
»Die Prinzen von Bayern haben damals die ganze Villa Spiaggia gemietet«, liest Marie Therese Rossetti unverdrossen in ihrer Triestiner Wohnung aus