Du darfst nicht sterben. Andrea Nagele

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Du darfst nicht sterben - Andrea Nagele

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diesmal bleibe bitte bei der Wahrheit. Ich durchschaue jede kleine Lüge.«

      Ich werde rot. »Das ist einfach. Weil ich auch gestern schon Lili war. Anne war ich noch nie.«

      Ich genieße die Verwirrung, die über sein markantes Gesicht huscht.

      »Hallo, Paul«, ertönt in diesem Moment die Stimme meiner Schwester. »Da also bist du.«

      Mit zusammengekniffenen Augen, als könne er dadurch besser verstehen, sieht er von Anne zu mir und wieder zu Anne. Dann lässt er seinen Blick auf mir ruhen.

      Er ist tatsächlich sprachlos.

      Anne und ich beginnen gleichzeitig zu lachen. Solche Situationen sind uns nicht fremd.

      »Hey.« Auch er lacht jetzt. »So ein Glück, euch gibt’s im Doppelpack.«

      Als Anne sich wortlos meinen Drink angelt und Paul einen jener besonderen Wimpernschläge zuwirft, die sie für ihre Eroberungen reserviert, bin ich verstimmt. Obwohl fünf Minuten jünger, war meine Zwillingsschwester schon immer die Schnellere, die Stärkere von uns beiden.

      »Paul ist ein Ass auf Skiern«, erklärt sie fröhlich und saugt unverschämt laut am Strohhalm meines Getränks. Das schmatzende Geräusch geht mir durch und durch.

      Na super, das läuft wieder mal komplett in die verkehrte Richtung, denke ich und stehe auf.

      »Lili?« So wie er meinen Namen sagt, hört es sich fast exotisch an.

      Ich drehe mich zu ihm um.

      »Hier.«

      Auf einmal halte ich sein Glas in der Hand. Verlegen lächle ich ihm zu.

      »Ich liebe gut erzogene und großzügige Männer.« Anne zwinkert. »Du doch auch, Lili?« Mit einer fließenden Bewegung wirft sie ihr Haar zurück.

      Seltsam, wir sehen uns zwar zum Verwechseln ähnlich, aber während sie Erotik verströmt, verbreite ich höchstens Langeweile.

      »Möchtest du uns beiden heute Abend beim Essen Gesellschaft leisten?« Keck zieht Anne an einem der beiden Hosenträger über Pauls Hemd und lässt los.

      »Nun, ich wollte eben Lili fragen, ob sie Lust auf ein Abendessen mit mir hat. Hast du?«

      Da muss ich mich wohl verhört haben. Erstaunt hebe ich meine Augenbrauen, und einen Moment lang erkenne ich Überraschung im Gesicht meiner Schwester. Überraschung, Enttäuschung und Wut.

      Das wollte ich nicht.

      Ich setze zum Sprechen an, will die Einladung ablehnen. Doch bevor ich etwas sagen kann, legt Anne ihre Hand auf meinen Oberarm. »Schon in Ordnung. Freu dich, Schwesterherz, und genieße den Abend.«

      Obwohl sie mir dabei sanft über die Wange streicht, bin ich verunsichert. Mir ist, als hätte ich etwas gestohlen, das sie bereits für sich beansprucht hat.

      Aber als ich Stunden später mit einem leichten Sonnenbrand im Gesicht und auf dem Dekolleté den Speisesaal betrete, spüre ich mein Unbehagen nicht mehr. Da ist nur noch kribbelige Vorfreude.

      Anne hat mir ihr bestes Kleid geborgt. Sie war heiter und hat mit keinem Wort erwähnt, was ich zuvor zu spüren vermeinte. Im Gegenteil, sie scheint sich für mich zu freuen.

      Mein blondes, frisch gewaschenes Haar, das mir weich über die Schultern fällt, dreht sich an den Spitzen leicht nach außen.

      Paul sieht mich an und steht langsam auf. Er trägt über einem hellblauen Buttondown-Hemd einen dunkelblauen Anzug, der gut zu seinem rotbraunen, akkurat gestutzten Bart passt. Er ist der erste Mann, bei dem mich ein Bart nicht stört. Als er mir einen leichten Kuss auf die Wange drückt, weht mir ein Hauch Irisch Moos entgegen. Auf einmal verstehe ich, was es bedeutet, jemanden gut riechen zu können.

      Überall schimmert Kerzenlicht, und vor den Fenstern hat es wieder sanft zu schneien begonnen. Feine Flocken wirbeln durch die Luft, angestrahlt vom gelblichen Schein der Laternen. Besteck klappert, Gläser klirren, Menschen unterhalten sich, untermalt von leiser Hintergrundmusik. Alles ist, wie es sein soll. Nur eine Spur besser.

      Wir reden ununterbrochen, ich komme kaum zum Essen. Ständig fragt er mich etwas, will alles ganz genau wissen. Und nie lässt er mich dabei aus den Augen.

      Es sind sehr braune Augen, und ich frage mich, was sich wohl dahinter verbirgt.

      »Ich glaube, Lili, es gibt da so einiges, das ich vertiefen möchte. Wir sollten unser gemeinsames Essen sehr bald wiederholen.«

      Dann verabschiedet er sich, und seine Lippen streifen so leicht meine Wange, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich es mir nur eingebildet habe.

      Als ich die Tür zu unserem Hotelzimmer aufsperre, bin ich voll von Worten. Ich kann es kaum erwarten, meiner Schwester alles zu erzählen.

      »Anne!«, rufe ich und wundere mich, dass kein Licht brennt.

      Aber Anne antwortet nicht.

      Sie ist nicht da.

      ANNE

      »Was hältst du davon, wenn wir später Brüder heiraten?«, fragte Lili mich einmal in der Grundschule. »Oder besser noch andere eineiige Zwillinge? Wir bauen unsere Häuser nebeneinander, natürlich an einem See, und bekommen gleichzeitig unsere Babys.«

      »Meine Idee ist besser«, sagte ich damals. »Wir wohnen gemeinsam in einem Haus und haben nur einen Mann, den wir uns teilen. Ist doch praktischer so.«

      Lili, die normalerweise länger braucht, um auf Touren zu kommen, verstand blitzschnell: »Und nur eine von uns muss ein Kind bekommen. Ja, da bin ich dabei.«

      Das Flurlicht ist gedimmt – es ist ja schon spät. Trotzdem erkenne ich ihn sofort. Schnellen Schrittes geht er über den Teppichläufer, dessen Farbe sich mit dem Blau seines Anzugs beißt. Er hält den Kopf gesenkt. Auch als er ihn hebt, bemerkt er mich nicht. Erst als ich »Paul« flüstere, bleibt er ruckartig stehen, und das Lächeln, das eben noch auf seinem Gesicht zu sehen war, macht einem überraschten Ausdruck Platz.

      »Anne?« Es klingt nicht freundlich.

      Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und hauche einen Kuss auf seinen Hals. Er riecht himmlisch.

      »Das ist keine gute Idee.«

      »Nein?«

      »Nein.« Verärgert schiebt er mich weg.

      Ich lehne mich gegen die Wand, strecke mich und verschränke die Beine. Es ist eine gute Methode, das Kleid höherrutschen zu lassen und dabei elegant auszusehen. Sofort wandert sein Blick zu meinen Oberschenkeln in den durchsichtigen Strümpfen und verweilt dort, wo man neben dem Strumpfband einen Streifen nackte Haut sieht.

      »Du warst es doch, der sich gefreut hat, dass es uns im Doppelpack gibt.«

      »So war das nicht gemeint.« Unsanft geht er um mich herum zu seiner Zimmertür und hält die Schlüsselkarte an den Scanner.

      »Paul, ich möchte doch nur unser Gespräch vertiefen, an einem ruhigeren

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